Pandemie Angst vor den Corona-Mutationen
Im Freistaat sinken die Covid19-Fallzahlen. Doch die Sorge vor Virus-Varianten ist groß. Darauf muss sich Bayern einstellen.
Berlin.Wie viele Mutationen gibt es in Bayern?
Viren mutieren ständig. „Es ist quasi eine Überlebensstrategie“, erklärt Christoph
Spinner, Oberarzt für Infektiologie am Klinikum rechts der Isar. Nur weil sich das
Virus verändert, sei es nicht automatisch ansteckender oder hat schlimmere Krankheitsfolgen.
Theoretisch könne sich ein Virus auch in eine günstigere Richtung entwickeln. In Bayern
sind gerade zwei Mutationen besonders im Fokus: Die Variante B.1.1.7 aus Großbritannien
und die Variante B.1.351 aus Südafrika. Die südafrikanische Variante wurde nach Informationen
des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom Freitag im Landkreis
Rosenheim nachgewiesen. Die britische Variante ist laut LGL Stand Freitag bei zwei
Proben in München aus dem Landkreis Dingolfing bestätigt worden. In Erding, Bayreuth,
Passau und im Landkreis Landsberg am Lech gab es jeweils einen bestätigten Fall der
britischen Variante.
Warum gibt es plötzlich so viele Verdachtsfälle?
Vermutlich gab es auch schon davor zahlreiche Fälle, aber es hat sie schlichtweg keiner
untersucht. Erst seit 19. Januar werden zumindest fünf Prozent aller positiven Corona-Ergebnisse
bundesweit im Hinblick auf eine Mutation analysiert. Die Methoden dafür müssen gerade
erst in einer Reihe von privaten und staatlichen Laboren in Bayern etabliert werden,
erklärte eine LGL-Sprecherin. Aber auch diese Labore können meistens nur mit einem
PCR-Verfahren eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Mutation herausfinden – es handelt
sich also um Verdachtsfälle.
Warum dauert die Bestätigung in Bayern so lange?
Ob der Verdacht wirklich stimmt, kann nur mit einer sogenannten Gesamtgenom-Sequenzierung
überprüft werden. Dafür braucht es spezialisierte Labore, berichtet Christoph Spinner.
Erst müsse das Erbgut des Virus decodiert werden, danach würden die Ergebnisse bewertet.
Das „ist ein sehr aufwendiges und kostenintensives Verfahren und benötigt je nach
Labor und Probenumsatz zwischen circa 7 und 14 Tagen“, teilte die Sprecherin des Landesamts
für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mit.
Im LGL könnten momentan rund 80 Proben pro Woche sequenziert werden.
Wie gefährlich sind die Neuen Mutationen?
Mit der Bewertung von Varianten muss man grundsätzlich vorsichtig sein: Es gab bereits
Tausende von Mutationen im Laufe der Pandemie“, sagte die LGL-Sprecherin. Ob eine
Variante besonders ansteckend sei, lasse sich nur mit zahlreichen Experimenten und
Daten bestimmen. Besorgniserregend seien in Bayern momentan die Varianten aus Großbritannien
und Südafrika. „Man befürchtet eine leichtere Übertragbarkeit, was in letzter Konsequenz
eine stärkere Belastung des Gesundheitssystems zur Folge hätte“, teilte die Sprecherin
mit. Hinweise auf einen schwereren Krankheitsverlauf gebe es nicht.
In den Landkreisen Neu-Ulm, Ansbach und Berchtesgadener Land gab es zuletzt auch einige Verdachtsfälle der dänischen Variante. Das Virus mutierte in Nerzen, die in Dänemark massenhaft getötet wurden. Inzwischen scheint die sogenannte Cluster-5-Variante eigentlich nicht mehr bei Menschen zu zirkulieren, meinte die Sprecherin. Es gebe aber auch keine Hinweise, dass die dänische Mutation gefährlicher sei.
Sind die Schutzmassnahmen verhältnismässig?
Wegen Verdachtsfällen gilt im Klinikum Bayreuth Aufnahmestopp. Mitarbeiter dürfen
nur noch ohne öffentliche Verkehrsmittel zur Arbeit kommen und sind sonst in Quarantäne.
Ähnliche Regeln gelten für Angestellte eines Unternehmens im Landkreis Hof und des
Altenheims in Selb. In Teilen Oberfranken müssen die Abschlussklassen weiter im Distanzunterricht
lernen – auch hier nur wegen Verdachtsfällen.
Schon bei einem Verdacht sei Vorsicht geboten, meint Oberarzt Christoph Spinner, der in einem Podcast über die Gefahren des Coronavirus aufklärt. „Insbesondere den Mutationen, die mit einem hohen Risiko erhöhter Transmission einhergehen sollte wirksam entgegengetreten werden.“ Noch handle es sich bei der britischen Variante hierzulande nur um Einzelfälle.
Wie wird es in Bayern weitergehen?
Die Verbreitung der ansteckenden Mutationen sei „auch in Bayern nur eine Frage der
Zeit“, befürchtet Spinner. Die Untersuchung der Mutationen soll deshalb weiter ausgebaut
werden, es laufen Absprachen mit den bayerischen Universitätskliniken. Aber auch die
komplizierte Sequenzierung wird extra vergütet. Mit dem finanziellen Anreiz sei davon
auszugehen, „dass nach und nach mehr Labore diese Feindiagnostik durchführen werden“,
meinte die Sprecherin des LGL.
Selbst wenn die Corona-Fallzahlen sinken, sind weitere Lockerungen im Freistaat wohl erst einmal nicht in Sicht. Eine Verbreitung der Mutation parallel zu einer überstürzten Lockerung wäre „toxisch“, hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erst vor wenigen Tagen betont. (dpa)
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