Gesellschaft
Ein Hippie-Leben auf La Palma

Weltweit suchen Menschen nach Wegen, alternative Lebensmodelle zu entwerfen – und ziehen schon mal in eine Höhle.

02.09.2018 | Stand 16.09.2023, 6:03 Uhr
Carola Frentzen

Gabriella steht vor dem Zugang zu ihrem Zuhause – einer Höhle auf den Kanaren. Foto: Carola Frentzen/dpa

Als die 68er-Bewegung vor 50 Jahren freie Liebe, Pazifismus und einen alternativen Lebensstil propagierte, da war Gabriella noch gar nicht geboren. Aber mit dem „Spirit“ dieser Zeit kann sich die 44-Jährige identifizieren. Sie sei ein „stolzer Hippie“, sagt sie und ihre blauen Augen strahlen aus einem sonnengebräunten, glücklichen Gesicht. Seit vier Jahren lebt die Deutsche in einem schwer zugänglichen Winkel von La Palma in einer Höhle, die einst die Urbevölkerung der Kanareninsel bewohnte.

Wer jetzt an dunkle Gewölbe denkt, an klaustrophobische Enge und Kälte, der liegt ganz falsch. Es ist gemütlich in Gabriellas Wohnhöhle, luftig und hell. Sie liegt leicht erhöht und ist an zwei Seiten offen. Ein mit einem Sonnenschutz aus hellem Stoff ausgekleidetes Fenster und der Eingang wurden von Zeit und Erosion in den Fels gemeißelt, ganz natürlich. Zwei Korbsessel an einem Holztisch, eine Küchenecke mit allerlei Schränkchen und Utensilien und ein Hochbett mit Moskitonetz leuchten bei Sonne im blauen Licht des Nachmittags. Eine sonderbare Energie liegt über dem Ort. Die Ahnen, die „Guanchen“, die einst hier lebten, seien noch immer präsent, sagt Gabriella. „Ich habe versprochen, den Ort nicht durcheinanderzubringen und nur minimal invasiv hier zu leben.“ Sollte sie eines Tages wieder fortziehen, werde alles so zurückgelassen, wie sie es vorgefunden habe.

Sie lieben die Abgeschiedenheit

Gabriellas Höhlen liegen in einem der vielen „Barrancos“ von La Palma. Das sind tiefe Schluchten, unzugänglich und unberührt, voll mächtiger Natur – darunter Feigenkakteen, duftender weißer Ginster, heimische Bäume und hohe Gräser. Die Höhlen sind so gut in die Landschaft integriert und schwierig zu entdecken. Und das ist gut so.

Denn Gabriella und ihr Lebenspartner Christian, der vor zwei Jahren zu ihr gezogen ist, lieben die Abgeschiedenheit. Bereits jetzt leben in der Schlucht weitere Aussteiger in Höhlen. Dass das Paradies von Schaulustigen überrannt und die Stille und Magie des Ortes dadurch zerstört werden könnten, ist ihrer aller Alptraum.

Nur acht Katzen und der alternde Hund von Gabriellas Tochter gehören zum Höhlenidyll – sowie gelegentlich Gäste, die „Retreats“ bei dem Paar buchen, um ihr stressiges Alltagsleben für ein paar Tage hinter sich zu lassen. Dabei helfen eine gemütliche Massagehöhle, deren Öffnungen mit Autofenstern ausgekleidet wurden, und eine etwas abseits gelegene Gästehöhle.

„Die Insel hatte von Anfang an etwas Magisches“Gabriella

Spanien ist seit Jahrzehnten ein Mekka für Blumenkinder, Aussteiger und Lebenskünstler. Auch auf Teneriffa und La Gomera und in Andalusien haben sich Menschen niedergelassen, die abseits aller Konventionen nach einem simpleren Lebensmodell suchten.

Gabriella wurde in der DDR geboren, in dem Dorf Liegau-Augustusbad bei Dresden. Ihr Stiefvater geriet mit der Stasi aneinander und ging in den Westen. Als sie 14 war, erhielt die Familie die Ausreisegenehmigung – und man zog nach Recklinghausen. Der Jugendlichen fiel es schwer, sich im Westen zurechtzufinden. Mit 15 zog sie aus, machte später eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. „Aber ich habe gemerkt, dass ich in Deutschland einfach nicht klarkam.“ Nach vielen Umwegen, Irrungen, Wirrungen und Krankheiten gelangte sie vor 20 Jahren nach La Palma. „Die Insel hatte von Anfang an etwas Magisches.“

Das Gefühl von Frieden

Gabriella lernt alles über Kräuter und deren heilsame Wirkung – eine Passion, die sie bereits in Deutschland hegte. Eine Kräuterfinca verliert sie unter unglücklichen Umständen. Weitere Dramen folgen, kurzzeitig sitzt sie sogar – unschuldig – in Haft. Der Tiefpunkt. Dann hört Gabriella von Bekannten, dass im Norden Höhlen verkauft werden. „Ich sah diese hier und wusste, das ist es“, sagt sie. „Die ersten drei Monate habe ich nur geweint, man könnte sagen, meine Seele hat sich ausgeheult.“ Da sei ein starkes Gefühl der Dankbarkeit gewesen, des Angekommenseins, des Glücks. Das sei bis heute so. „Man lebt hier in einer Echtheit, die ich in dieser Essenz noch nie erlebt habe“, erzählt Lebenspartner Christian (45).

Die Sonne geht unter und wirft Schatten auf den jetzt in weiche Grüntöne getauchten Barranco. Der Himmel strahlt orange-gelb, ein paar Vögel kreischen noch, Eidechsen huschen über den warmen Fels. Der Ausblick von der Wohnhöhle ist überwältigend. „Das alles gibt mir ein Gefühl von tiefem Frieden. Die Höhle, das fühlt sich wie Zuhause an.“

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