Tiere
Vom Kuscheltier zur Zielscheibe

Kevin Richardson ist „Der Löwenflüsterer“. Er kämpft um den König der Tiere – um sein Ansehen und sein Überleben.

30.01.2019 | Stand 16.09.2023, 5:52 Uhr

Als „Löwenflüsterer“ ist Kevin Richardson Autodidakt. Zu vielen Löwen hat er mittlerweile eine Beziehung auf Augenhöhe aufgebaut und wurde in ihre Familie aufgenommen. Foto: Jeroen Hofman

Mia kuschelt sich in die große, weiße Mähne von Charlie. Er legt beschützend seine große Pranke um die Schulter des jungen, blonden Mädchens. Sie hat keinerlei Scheu vor der Wildkatze, der Löwe beschützt Mia wie einen Teil seiner Familie. Mia sagt „Gute Nacht“ zu ihrem besten Freund und geht zurück ins Haus. Als sie am nächsten Tag zum Gehege geht, ist es leer. Charlie ist weg. Abgeholt von Rangern, die Charlie an eine Amerikanerin verkauft haben zur kommerziellen Jagd. Charlie ist zum Abschuss freigegeben – aus Spaß.

Die Szene stammt aus dem Film „Mia und der weiße Löwe“. Ein Film über ein junges Mädchen, das in Südafrika auf einer Tierfarm aufwächst und deren bester Freund ein weißer Löwe ist (Kinostart: 31. Januar). Die Geschichte ist fiktional, der Film ein Spielfilm. Die Löwenjagd in Südafrika aber ist pure Realität. Diese kommerziellen Jagden sind sogar legal. Über 18000 Jagdtouristen, vor allem aus Europa und den USA, reisen jedes Jahr nach Afrika, um auf seltene Tiere zu schießen.

Je nach Budget sind fast alle Wildtierarten zu haben – sogar geschützte Arten wie Löwen. Auf Löwenfarmen in Südafrika schießen Jäger sogar gezüchtete Löwen in Gefangenschaft. Bei diesen sogenannten „Canned Huntings“ (frei übersetzt: „Dosenjagd“) sind die Löwen markiert auf einer begrenzten Fläche – sie haben noch nicht mal eine faire Chance auf eine Flucht.

Wandel vom Egoisten zum Mitglied einer Familie

Kevin Richardson kämpft gegen diesen unsinnigen Touristen-Spaß und um den Erhalt eines „fühlenden Wesens“. Der Südafrikaner, bekannt geworden auch unter dem Titel „The Lion Whisperer“ (der Löwenflüsterer), ist Zoologe, Tierschützer und Inhaber des „Kingdom-of-White-Lion“- Parks in der Gauteng-Provinz in Südafrika.

Das erste Mal in Kontakt mit einem Löwen kam er mit 22 Jahren im „Lion Park“ in der Nähe von Johannesburg. „Ein Löwe fühlt sich ähnlich an wie ein Hund“, beschreibt Richardson, „die Mähne eines ausgewachsenen Männchens ist recht rau und kraus, aber das Fell am Bauch ist samtweich“. Am Anfang kam er den Löwen natürlich nicht gleich so nahe. Löwen sind Wildtiere. Aber anders als andere Raubkatzen leben sie in einem sehr engen sozialen Gefüge, in dem jeder seinen Platz hat. Stück für Stück wurde Richardson ein Teil ihrer familiären Gemeinschaft.

„Als ich begann, mit Löwen zu arbeiten, sah ich als Allererstes mich, und wie großartig ich bin, dass ich mit diesen riesigen Wildtieren zusammen bin“, sagt Richardson rückblickend. „Erst mit der Zeit habe ich begriffen, dass ja sie mich in ihre Familie mit aufnehmen.“ Aber das war nicht das Einzige, was der heute 44-Jährige über die Jahre hinweg festgestellt hat. In seiner Zeit im „Lion Park“ lernte er immer mehr über die Streichelzoos, die Touristen anlocken, die Knochenindustrie und den Verkauf nach Asien, die Fotosafaris und auch die kommerziellen Jagden kennen.

Das Geschäft mit Löwen ist lukrativ für Südafrika. 2007 erhöhte die Regierung die gesetzliche Ausfuhrquote für Löwenskelette von bisher 800 auf 1500 pro Jahr. Exportiert werden die Knochen hauptsächlich nach Vietnam, China und Thailand, wo sie zu traditioneller Medizin verarbeitet werden. Als kleine Löwenbabys werden sie in Zoos zum Streicheln gehalten, sind sie größer – und damit nicht mehr süß, sondern gefährlich – werden sie für die Jagd zum Kauf angeboten. Vom Kuscheltier zur Zielscheibe.

„Wie man die bedrohten Löwen retten kann? Da gibt es eine einfache Schlussfolgerung: Nicht mehr streicheln, nicht mehr schießen.“Kevin Richardson Tierschützer, Zoologe, Löwenflüsterer

Dabei steht der Löwe auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. Laut WWF (World Wide Fund For Nature) gibt es weltweit noch 18 000 bis 32 000 Individuen. Trend: abnehmend. Status: gefährdet. Als größte Bedrohung nennt Kevin Richardson den Verlust von Lebensräumen (größtenteils durch menschliches Eingreifen), Konflikte zwischen Menschen und Löwen (Vergeltungsmaßnahmen und vorbeugende Tötungen), illegaler Buschfleischhandel (Konsequenzen, die das wahllose Einfangen von Raubvögeln und den Raub der Beute einschließen), skrupellose Jagdtrophäen, Löwen-Wilderei (für den Löwenknochenhandel im Fernen Osten) und in geringerem Maße Krankheit.

„Durch meine Arbeit mit den Löwen habe ich gemerkt, dass ich ihnen eine Stimme geben muss. Dass ich die Plattform nutzen muss, um über dieses Thema aufzuklären.“ Richardson schrieb Bücher mit Ansichten über die Löwenzucht, die Jagd und die Bedrohungen der Löwen. Er publizierte in lokalen und internationalen Nachrichtenmagazinen, trat in Fernsehsendungen bei Sky News, CNN, ABC News oder NBC auf und drehte Dokumentationen und Kinofilme.

Außerdem gründete er ein Raubtierreservat. Er sieht seine Aufgabe darin, durch Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und Finanzierung das schnelle Absterben großer Raubtiere in Afrika zu stoppen. „Die Löwenbevölkerung macht weniger als 20 Prozent ihres früheren Verbreitungsgebiets in Afrika aus. Wenn das so weitergeht, werden wir in weniger als 20 Jahren keine Löwen mehr in der Wildnis haben“, prophezeit Richardson.

Ein echter Löwe, keine digitale Nachbearbeitung

Mit dem Kinofilm „Mia und der weiße Löwe“ will Kevin Richardson wieder neue Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Er selbst hat als „Löwen-Experte“ am Film mitgearbeitet, außerdem sind sechs seiner Löwen am Film beteiligt. Der Film wurde über drei Jahre lang gedreht. Die Geschichte dreht sich um Mia, die als Elfjährige mit ihren Eltern von London in die Wildnis nach Südafrika ziehen muss. Sie eröffnen dort eine Wildtierfarm. Weil Mia unglücklich ist, schenkt ihr ihr Vater ein kleines, weißes Löwenbaby. Das Besondere an dem Film ist: es gibt keine Visual Effekts, der Löwe wurde später niemals digital eingefügt, er ist immer echt. Daher auch die Dreharbeiten über drei Jahre.

Der Zuschauer kann nämlich sowohl den Löwen – im Film namens Charlie, in echt heißt er Thor – als auch Mia (gespielt von der Südafrikanerin Daniah de Villiers) beim Älterwerden zusehen. Die meisten Teile im Film spielt Thor, als Löwenbaby wurde er ab und zu von weiteren Löwenbabys gedoubelt. Kevin Richardson war die ganzen drei Jahre bei den Dreharbeiten dabei und hat vor allem die junge Schauspielerin Villiers gecoacht, wie sie mit dem Löwen umgehen soll, vor allem bei den sehr nahen und intimen Szenen. „Dadurch, dass Daniah und Thor zusammen aufgewachsen sind, hatten sie auch eine Beziehung zueinander“, erklärt Richardson.

Bei allem Kampf für die Rechte und Freiheit der Löwen kommt da unweigerlich die Frage auf, warum Richardson Löwen für Filme trainiert. Bei dieser Frage muss er ein wenig schmunzeln. „Natürlich haben viele meiner Kritiker nur auf so etwas gewartet“, sagt Richardson und fügt süffisant hinzu: „Aber glauben sie mir, die mögen meine Arbeit so oder so nicht. Daran ändert dieser Kinofilm nichts.“ Durch den Film wolle er grundsätzlich erst einmal wieder auf die Tiere aufmerksam machen und zeigen: Löwen sind keine Kuscheltiere.

Sie sind aber auch keine skrupellosen Killer, die dich in Stücke reißen. So würden Löwen oft dargestellt. Alle Löwen im Film wären geeignet für die Trophäenjagd gewesen. „Thor wäre wahrscheinlich mit einem Jahr abgeschossen worden. So hat er drei Jahre lang an einem Filmset gelebt, wo er wahrscheinlich besser behandelt wurde als jeder A-Listen-Schauspieler“, und ergänzt: „Die Botschaft, die wir durch den Film weitergeben können, ist viel größer als die vermeintlich verletzten Ideale, die mir die Kritiker vorwerfen.“

Furcht vor Wildtieren ist falsch

Ein großes Ideal von Kevin Richardson ist der Respekt gegenüber den Tieren, gerade wenn es um das Zähmen oder Trainieren geht. Das Zähmen von Löwen geht viele hunderte Jahre zurück. In Zirkussen oder Arenen wurden die Wildtiere an Ketten vorgeführt und Kunststücke gezeigt. „Wenn sie mich also fragen, ob man ein Wildtier zähmen kann, ist die Antwort ja. Aber das ist Unterwerfung. Das mache ich nicht.“ Richardson ist aufgewachsen mit den Werten, dass Tiere geliebt werden und man sie nicht unterwirft. Er baut eine Beziehung zu seinen Löwen auf, sodass sie ihn in ihre Familie aufnehmen. „Ich bin von ihnen akzeptiert.“

Wildtiere bleiben sie trotzdem. Der Mensch ist darauf ausgerichtet, wilde Tiere wie Haie, Krokodile, Bären, Wölfe oder Löwen zu fürchten. „Das ist nicht ganz richtig“, so Richardson. „Natürlich sage ich nicht, dass sich jeder diese Arten als Haustiere halten soll. Aber wir müssen sie nicht fürchten. Wir müssen sie respektieren.“ Und dann fügt er hinzu: „In meinem Land müssen sogar eher die Löwen den Menschen fürchten.“

Der Südafrikaner hatte ebenso eine gewisse Vorsicht, als er begann, mit Löwen zu arbeiten. „Natürlich war ich von vornherein nicht total cool und gelassen.“ In seinen jüngeren Jahren gab es auch die ein oder andere Situation, die etwas heikler war. „Einmal wollte ich mich einem Löwen nähern, weil ich Mitleid mit ihm hatte. Er kam zu uns, weil er woanders misshandelt wurde. Als ich zu ihm ging, dachte er, ich will in sein Territorium eindringen. Das war auch mein Fehler, wir hatten noch keine wirkliche Beziehung aufgebaut. Aber aus diesem Revierkampf habe ich viel gelernt.“

Angst ist trotzdem der falsche Ansatz für den Löwenversteher. „Respekt ist dagegen immer eine gesunde Sache.“ Das sei bei jedem Tier so. „Wenn Sie sich einen Hund zulegen, können Sie dann mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass der Hund Sie nicht beißt?!“ Viele Menschen sagen den Satz: „Mein Hund beißt nicht, ich kenn’ ihn.“ Und trotzdem gibt es die Statistiken und Berichte über Hundeattacken, vergleicht Richardson.

Die Gesetze müssen geändert werden

Wie aber kann man die Löwen nun retten? „Das werde ich oft gefragt. Als Allererstes: Es geht nicht ums Geld!“, stellt Richardson klar. „Es geht uns auch nicht um böse oder beleidigende Twitter-Einträge und Facebook-Kommentare. Damit wollen die Leute zeigen, dass sie gegen die Jagd sind, aber das verändert leider nichts.“ Es geht um die Gesetze, die müssen geändert werden. „Da gibt es eine einfache Schlussfolgerung: Nicht mehr streicheln, nicht mehr schießen.“ Heißt konkret, wenn die Touristen nicht mehr nach Südafrika kommen, um in die Streichelzoos zu gehen, besteht keine Nachfrage mehr. Diese Löwenbabys sind dann auch nicht mehr die, die, nachdem sie ausgewachsen sind, abgeschossen werden können, weil sie sonst nicht mehr gebraucht werden.

Ebenso natürlich sollen die kommerziellen Jagden an Nachfrage verlieren. „Dann kann man Druck machen auf die Regierung, dass die Gesetze geändert werden.“ Jagdskandale wie die Trophäenjagd mit Pfeil und Bogen des amerikanischen Zahnarztes auf den weltweit berühmten Löwen Cecil oder der Abschuss eines der letzten großen Elefantenbullen in Simbabwe durch einen Berliner Jäger empörten zwar zunehmend die Weltöffentlichkeit. Doch sie sind ja bei weitem kein Einzelfall. Die Regierungen müssen umdenken.

Kevin Richardson hat noch lange nicht aufgegeben. „In Rente gehen kann ich sowieso nicht. Die Löwen sind meine Familie. Das ist wie bei Kindern. Als Eltern kann man ja auch nicht in Rente gehen“, und dann fügt er mit der Überzeugung seiner „Artgenossen“ hinzu: „Der Kampf ist noch lange nicht vorbei.“

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.