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„Der Arzt, der um die Ecke denkt“

Professor Jürgen Schäfer ist für viele Patienten die Rettung. Er entdeckt die Krankheiten, an die vorher keiner gedacht hat.

26.02.2015 | Stand 26.02.2015, 8:00 Uhr
Patienten, die an eher unbekannten Krankheiten leiden finden oft bei keinem Arzt die richtige Hilfe. Professor Jürgen Schäfer ist für solche Patienten die Lösung. −Foto: dpa

Professor Jürgen Schäfer ist für viele Patienten die letzte Hoffnung. An der Universitätsklinik Gießen und Marburg hat der Mediziner ein Zentrum für die Diagnostik von unerkannten Krankheiten aufgebaut, das im Oktober 2013 eröffnet wurde. Bei ihm suchen Menschen Rat und Hilfe, die jahrelange Odysseen mit unzähligen Arztbesuchen hinter sich haben und oft als Simulanten eingestuft werden. Die Filmemacher Jule Sommer und Udo Kilimann haben den Arzt, der als deutscher „Dr. House“ gilt, und vier seiner Patienten über Monate begleitet. Der WDR strahlt ihre Dokumentation „Menschen hautnah – Der Arzt, der um die Ecke denkt“ am Donnerstag (26. Februar) um 22.30 Uhr aus.

Der Vergleich mit Dr. House hinkt. In der amerikanischen Serie löst ein unsympathischer Arzt mysteriöse Krankheitsfälle. Schäfer weckt dagegen schon mit seiner sympathischen Persönlichkeit und seinem Zugehen auf die Patienten deren Vertrauen. Trotzdem setzt der Professor die beliebte Sendung vor seinen Studenten ein: Sie sollen lernen, sich nicht mit einfachen Erklärungen zufriedenzugeben, neugierig zu bleiben und bei der Diagnostik nicht aufzugeben.

Schäfer nimmt sich sehr viel Zeit für die Patienten.

Stefan ist zum Beispiel erst 43 Jahre alt, abgemagert, beinahe alle Zähne sind ausgefallen, und er verträgt wegen seiner Magen-Darm-Probleme nur wenige Lebensmittel. Seine Krankheit gab den behandelnden Medizinern bislang Rätsel auf. Der Kardiologe Schäfer nimmt sich zunächst Zeit für ein ausführliches Patientengespräch. Für die zwei Stunden erhält er 30 Euro von der Krankenkasse. Ein niedergelassener Arzt könne sich dies nicht leisten, weiß Schäfer: Sein Wartezimmer würden dann vor Patienten überquellen.

Mit solchen Einschätzungen machen die Filmemacher auf einige Missstände im formatierten deutschen Medizinsystem aufmerksam. Was in Marburg angeboten wird, ist nicht die Regel. Denn die Symptome bespricht Schäfer in einem Team von 40 spezialisierten Fachärzten – auch das ein Novum in der von Fachgebieten geprägten Krankenhaus- und Arztlandschaft. Sie entschließen sich zu einer DNA-Analyse bei Stefan, die von den Krankenkassen nicht bezahlt wird. Die Spezialisten finden einen in Europa seltenen Wurm aus den Tropen, der aus Stefans Aquarium stammt und sich in seinem Körper eingenistet hat. Dass dies überhaupt möglich ist, wurde bislang wissenschaftlich noch nicht beschrieben.

Schäfer gibt seine Denkweise an die Studenten weiter

Schäfer und seine Kollegen werden den Befund beschreiben, das wird ihren Kollegen weltweit helfen. Behandlung, Wissenschaft und Lehre bilden so in der privat betriebenen Uniklinik eine Einheit. Schäfer gibt diesen ganzheitlichen Ansatz an die Studenten weiter. Er lebt das Ideal der Verbindung von Theorie und Praxis, Forschung und Lehre. Möglich ist dies nur, weil Drittmittel eingeworben wurden und die Forschungs- und Lehrarbeit von der Dr.-Reinfried-Pohl-Stiftung unterstützt wird.

Die Verbindung der hohen Fachkompetenz eines Uni-Klinikums mit der Praxis kommt vor allem den Patienten zu Gute. Seit den ersten Berichten über das Zentrum melden sich jeden Tag rund zehn Patienten aus ganz Deutschland und Österreich mit ihren Leidensgeschichten. Die Sprechstunde von Schäfer kommt an den Rand ihrer Kapazität. Daher plädiert er für den Aufbau weiterer interdisziplinärer Zentren dieser Art, in denen seltene Krankheitsbilder diagnostiziert oder das Wechselspiel bestimmter Medikamente unter die Lupe genommen werden. Zentren, in denen der Mensch und nicht die Kosten für seine Behandlung den Ausgangspunkt aller Überlegungen bildet. (KNA)

Die Dokumentation „Menschen hautnah – Der Arzt, der um die Ecke denkt“ läuft am Donnerstag, 26. Februar, um 22.30 im WDR.