Bayern
AfD denkt im Chat über Bürgerkrieg nach

Die Politik ruft nach Überwachung durch den Verfassungsschutz, während sich die Bayern-AfD auf die Meinungsfreiheit beruft.

01.12.2021 | Stand 15.09.2023, 22:48 Uhr
Nach dem Bekanntwerden schockierender Chats der bayerischen AfD fordern viele die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz. −Foto: Angelika Warmuth/dpa

Es sind beängstigende Aussagen aus einem internen AfD-Chat, die dem Bayerischen Rundfunk zugespielt wurden und der sie nun veröffentlicht hat: „Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir keinen Kurswechsel“, Wahlen „helfen nicht mehr“, zitiert der BR aus der AfD-Telegram-Gruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“. Schon seit einigen Jahren sollen Mitglieder der bayerischen AfD hier radikale Positionen gegen Staat, Politiker, Demokratie und Andersdenkende ausgetauscht haben. Nun fordern viele Politiker die Beobachtung der bayerischen AfD durch den Verfassungsschutz.

Regierende als „Verbrecher“

Was in den Chats zu lesen sein soll, schockiert: Das demokratische System sei „korrupt“ und „kriminell“, die Regierenden „Verbrecher“. Was den Vorgang politisch so überaus brisant macht: Bei denen, die in dem Chat unterwegs sind, handelt es sich offenbar nicht nur um einfache AfD-Mitglieder – 16 der 18 bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten, elf der zwölf bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten sowie zehn der 13 Mitglieder des AfD-Landesvorstandes sollen Teil der insgesamt 200 Personen umfassenden Chatgruppe sein.

„Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden“, wird etwa die AfD-Landtagsabgeordnete Anne Cyron zitiert. In der Gruppe soll darüber spekuliert worden sein, einen Schweinekopf vor einer Moschee abzulegen, die Rede ist von „Untermensch“ und „Pavianbande“, auch um „Impfapartheid“ und „Impfdiktatur“ gehe es und darüber, dass man den „Schulterschluss mit 30 bis 50 Prozent Impfskeptikern“ üben müsse.

Der Landesvorsitzende der Bayern-AfD, der Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka, selbst Mitglied der Chat-Gruppe, gab sich dem BR gegenüber erstaunt – es gehöre „doch auch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung dazu, dass man verschiedener Meinung ist“. Gruppenmitgliedern soll er derweil bei Journalisten-Anfragen geraten haben: Nichts sagen, Kontakt beenden.

Handelt es sich dabei nun um Stammtisch-Gerede? Oder Revolutions-Fantasien? „Natürlich, da hat Gruppendynamik eine Rolle gespielt. Man wähnte sich im geschlossenen Kreis, und da wollte so mancher noch eins drauflegen“, erklärt Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, im Gespräch mit der Heimatzeitung. Dennoch kommt sie zu einem klaren Urteil: „Das war kein einmaliger Austausch, eben nicht nur eine ‚bsoffene Gschicht‘. Nein, da äußern sich immer wieder Leute, die bewusst Stimmung machen wollen: gegen Grundsätze unserer rechtsstaatlichen Demokratie. Da werden zum Beispiel gezielt und bewusst Falschinformationen über Impfstoffe verbreitet. Und zwar deshalb, weil man offenbar hofft, davon zu profitieren, wenn die Pandemie womöglich aus dem Ruder laufen würde und weitreichende Maßnahmen ergriffen werden müssten.“ Was sie besonders schockiert: „Da waren Leute darunter, deren Mandat aus unseren Steuergeldern finanziert wird. Und die hetzen gegen diesen Staat, schwadronieren vom angeblich ‚meuchelnden System‘ und verunglimpfen seine gewählten Repräsentanten.“

Bayerns SPD-Partei- und –Fraktionschef Florian von Brunn findet deutliche Worte: „Damit zeigt die AfD einmal mehr ihr wahres Gesicht, auch wenn einige in dieser üblen Truppe den Wolf im Schafspelze geben. In der tiefbraunen Chatgruppe tummeln sich offenbar zuhauf Abgeordnete mit purer Nazi-Gesinnung, die den Umsturz und die Abschaffung der Demokratie in Deutschland planen.“ Er fordert: „Wir müssen mit allen rechtlichen Mitteln gegen sie vorgehen! Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz in Bayern ist überfällig.“

Martin Hagen, Chef der Bayern-FDP und Fraktionschef, stellt bezüglich der AfD-Landtagsabgeordneten zudem auch die Charakterfrage: „Mich überrascht bei diesen Leuten nichts mehr. Wir bekommen es im Landtag ja hautnah mit. Ein ganz unangenehmer Haufen, auch im Umgang. Was da während Plenarsitzungen regelmäßig für beleidigende und frauenfeindliche Kommentare fallen.“

Schulze gibt sich rigoros

Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze gibt sich rigoros: „Angesichts der offen demokratieverachtenden und gewaltverherrlichenden Äußerungen“, die nun bekannt wurden, „ist es höchste Zeit, dass auch in Bayern die gesamte Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird.“ Andere Bundesländer wie Brandenburg, Sachsen oder Thüringen seien da längst aktiv geworden. Sie „verstehe das Zögern hier in Bayern nicht“, sagte sie der Heimatzeitung. „Die AfD in Bayern wird schon lange vom Flügel der Partei dominiert. Diese Kräfte streben einen Systemwechsel und die Etablierung eines autoritären Regimes an.“ Die AfD stelle sich damit „klar weit außerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ist eine Gefahr für die Sicherheit“. Die Staatsregierung fordert Schulze auf, endlich tätig zu werden.

Die AfD-Landtagsfraktion teilte gestern auf Nachfrage mit, sie stehe „als Rechtsstaatspartei fest auf dem Boden des Grundgesetzes“. Sie trete in allen Parlamenten dafür ein, den Bürgern „eine demokratische Alternative zur Politik der Altparteien zu bieten, die sich in vielen Bereichen von der Lebenswirklichkeit der Menschen und den Prinzipien unseres Grundgesetzes entfernt hat“. Aus diesem Grund verwahre man sich „gegen alle Versuche, die AfD zu diffamieren, etwa mit aus dem Kontext gegriffenen Aussagen einzelner Personen in einer Chat-Gruppe“. Ein Sprecher: „Die Mandatsträger unserer Partei sind rechtstreue, patriotisch orientierte Demokraten, für die das Wohl unserer Heimat an erster Stelle steht. Rechtswidrige und undemokratische Äußerungen oder gar Verhaltensweisen, die den Bürgern unseres Landes sowie unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung schaden, lehnen wir entschieden ab.“

So einfach will CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer die AfD aber mit dieser Erklärung nicht davonkommen lassen: „Wer zum Bürgerkrieg aufruft und Umsturz oder Revolution fordert, bewegt sich nicht auf dem Boden der Verfassung. Da dies auch von führenden Vertretern der AfD in Bayern getan worden ist steht fest, die AfD ist eine rechtsradikale Partei“, erklärte er gegenüber der Heimatzeitung. Daher sei es „richtig, dass die Verantwortlichen und die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Denn diese Personen müssen daran gehindert werden, ihre radikalen und skurilen Vorstellungen in die Tat umzusetzen.“ Persönlich könne er „nur alle AfD-Mitglieder auffordern, es dem Landtagsabgeordneten Josef Seidl gleich zu tun und diese Partei zu verlassen. Die CSU-Fraktion hat nie mit der AfD im Landtag zusammengearbeitet und wird dies auch in Zukunft nicht tun. Wir werden jede radikale Tendenz im Parlament entschieden bekämpfen“.

Unterdessen gab Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) gestern zu Beginn der Plenarsitzung bekannt, dass der niederbayerische Abgeordneten Josef Seidl die AfD-Landtagsfraktion verlassen hat und vorerst als Fraktionsloser weitermacht. Mit ihm hat die AfD seit ihren Einzug in den Landtag 2017 bereits den vierten Abgeordneten verloren. Seidl soll zudem auch der Partei den Rücken gekehrt haben.