MGB exklusiv Früherer Warschauer Botschafter will Ukraine am Weimarer Dreieck beteiligen

Der langjährige deutsche Botschaft in Warschau, Rolf Nikel, hat anlässlich der Feiern zum Élysée-Vertrag eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen angemahnt und die Einbeziehung der Ukraine im Format des Weimarer Dreiecks ins Spiel gebracht.
Am Sonntag waren das Kabinett und viele deutsche Parlamentarier in Paris, um 60 Jahre Elysée-Vertrag zu feiern. Ist es ein Versäumnis, dass Deutschland und Polen kein Symbol haben, um ihre Beziehung zu zelebrieren?
Rolf Nikel: Es gibt einen solchen Vertrag: den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991. Er sieht vor, dass man sich einmal im Jahr zu Regierungskonsultationen trifft. Allerdings haben diese großen Regierungstreffen seit 2018 nicht mehr stattgefunden. Das war nicht nur eine Folge von Corona oder unterschiedlichen Wahlkalendern. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist einer sehr schwierigen Phase.
Sollte man den Vertrag feiern?
Nikel: Er war zentral und ist zentral. Zu nennen wäre auch der deutsch-polnische Grenzvertrag von 1990, der eine große Streitfrage der Vergangenheit endgültig aus dem Weg geräumt hat. Der Nachbarschaftsvertrag war auf die Zukunft ausgerichtet. Ich hatte damals mitgewirkt an der Ausarbeitung. Die Bundesregierung ist der Auffassung, die Inhalte seien im Wesentlichen umgesetzt. Die polnische Regierung sieht das anders. Der Vertrag hat mitgeholfen, die Aussöhnung zwischen den Menschen in Deutschland und Polen nach den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg voranzubringen. Trotz aller Schwierigkeiten ist und bleibt das ein politisches Wunder.
Sie sprechen von Wunder, schreiben aber in ihrem neuen Buch „Feine, Fremde, Freunde“, dass die Beziehungen seit 1989/1990 nicht so schlecht gewesen seien. Wie passt das zusammen?
Nikel: Die Lage ist schwierig. Die Deutschen haben anerkennen müssen, dass mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die langjährige von sukzessiven Bundesregierungen getragene Russland-, Ukraine- und Energieversorgungssicherheitspolitik, die ja im Einverständnis mit großen Teilen der Bevölkerung und der Wirtschaft stattfand, gescheitert ist. Polen hat uns immer wieder eindringlich vor den Gefahren einer naiven Russlandpolitik und einer allzu großen Abhängigkeit von russischen Energieträgern gewarnt. Wir haben diese Warnungen in den Wind geschlagen. In vielen Fragen ist die Gesellschaft in Polen ja gespalten, aber in dieser Frage gibt es eine große Übereinstimmung. Die Bundesregierung hat sich seit der Zeitenwende-Rede stark auf die polnische Haltung gegenüber Russland und der Ukraine zubewegt. Warschau kritisiert aber weiterhin, die aus seiner Sicht zögerliche Umsetzung der Ankündigungen. Dadurch ist das Misstrauen gegenüber der deutschen Politik auf der NATO-Ostflanke und insbesondere in Polen gewachsen
Werfen Sie auch den Polen vor, das Verhältnis zu beschädigen?
Nikel: Die polnische Regierung tut derzeit wenig dafür, es zu verbessern. Die Politikänderungen der Ampelkoalition könnten der Moment größeren Einvernehmens zwischen Berlin und Warschau sein . Doch Polen macht Deutschland öffentlich Vorwürfe. Die polnische Regierung ist drauf und dran, diesen günstigen „polnischen Moment“ nicht zu nutzen. Die Tonlage in Warschau ist für das Verhältnis zwischen befreundeten Staaten sehr ungewöhnlich. Man darf aber nicht vergessen, dass 2023 Wahlen dort stattfinden. Und Deutschland war und ist immer Teil der polnischen Innenpolitik.
Was kann man besser machen?
Nikel: Im zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Austausch liegt großes Potenzial. Neues Vertrauen muss wieder aufgebaut werden, gerade auch in der Sicherheitspolitik. Sinnvoll wäre es, das Weimarer Dreieck mit Frankreich zusammen auszubauen. Da liegt eine große Chance. Perspektivisch könnte man das Weimarer Dreieck sogar um die Ukraine erweitern, wenn es um Fragen geht, die Kiew betreffen. Das könnte eine weit über die drei Staaten hinausgehende Wirkung auf dem Kontinent und in der EU entfalten.
Deutschland will keine Kampfpanzer liefern. Was sagen Sie?
Nikel: Nach schwieriger Güterabwägung komme ich zu dem Schluss, dass wir die Kampfpanzer in einer westlichen Koalition unter noch zu bestimmenden Modalitäten schnell liefern sollten. Aus moralischen, militärischen und politischen Gründen. Man kann der Ukraine, die überfallen wurde, nicht das Notwendige zu ihrer Selbstverteidigung verweigern. Militärisch machen die westlichen Kampfpanzer derzeit eine Menge Sinn. Der amerikanische NATO-Oberbefehlshaber hält die Eskalationsgefahren für beherrschbar. Auf der östlichen Flanke der Nato gibt es eine sehr starke Bewegung, Kampfpanzer zu liefern. Die Führung Deutschlands in NATO und EU, die deutsche Politiker immer wieder fordern, steht auf dem Spiel
Polen möchte Reparationen aus Deutschland. Berlin sagt Nein. Spielt das Thema in Polen wirklich eine Rolle oder ist es eine reine Provokation der regierenden PiS?
Nikel: Die schrecklichen deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg in Polen dürfen nicht vergessen werden. Die Wunden sind nicht vernarbt. Dennoch sind die derzeitigen polnischen Forderungen vor allem innenpolitisch bedingt. Reparationsforderungen sind nach deutscher Rechtsauffassung spätestens mit dem 2+4-Vertrag erledigt. Freiwillige Gesten gegenüber Polen - wie in der Vergangenheit - bleiben aber weiter möglich. Der zentrale Ort des Erinnerns und der Begegnung in Berlin für die deutschen Verbrechen in Polen, den der Deutsche Bundestag 2020 mandatiert hat und den die von mir geleitete deutsch-polnische Expertenkommission mit einem Konzept unterlegt hat, sollte schnell geschaffen werden.
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