Kritik der Länder
Was löst wann neue Corona-Regeln aus? Bund schiebt Verantwortung ab

10.08.2022 | Stand 15.09.2023, 4:05 Uhr

Eine Corona-Maske liegt neben einer Kaffeetasse. Auch in der Gastronomie ist ab dem Herbst wieder eine Maskenpflicht möglich. −F.: Bein, dpa

Als die Minister vor einer Woche die neuen Corona-Regeln vorstellten, die ab dem 1. Oktober geplant sind, taten sie so, als wisse schon längst jeder intuitiv, wann sie benötigt würden. „Wenn die Situation es gebietet“, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach.



Sein Kollege, Justizminister Marco Buschmann (FDP), betonte die Notwendigkeit von weitergehenden Maßnahmen, „wenn das Pandemiegeschehen dies erfordert“.

Alles klar? Mitnichten. Die Minister haben sich um die Frage, was die neuen Corona-Regeln auslöst, herumgedrückt. Und werden dies wohl auch weiterhin tun. Denn schon in dem Konzept heißt es: „Stellt ein Landesparlament für das gesamte Bundesland oder eine konkrete Gebietskörperschaft anhand bestimmter, gesetzlich geregelter Indikatoren eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen fest, können dort Maßnahmen angeordnet werden.“

Der Bund überträgt die Verantwortung zur Festsetzung von Parametern, Indikatoren, Schwellenwerten also auf die Länder. Der Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann (FDP) sagte der Mediengruppe Bayern: „Die vorgeschlagenen Corona-Maßnahmen sehen eine dezentrale Bekämpfung der Pandemie vor. Die Landesregierungen können sich ein gutes Bild von der Lage vor Ort machen. Sie sollten je nach Gefahren- und eigener Datenlage entscheiden.“

Bund arbeitet an neuen Parametern

Doch die Länder wollen so viel Autonomie gar nicht. Ein Sprecher von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte unserer Zeitung: „Wir brauchen klare Indikatoren und Schwellenwerte, um festzulegen, wann welche Maßnahme greifen soll. Dies muss der Bund machen, denn wenn jedes Land selbst entscheidet, kommen wir nie zu einheitlichen und nachvollziehbaren Regeln, sondern erhöhen nur die rechtlichen Risiken.“

Der Bund bietet den Ländern aber lediglich an, seinen Teil zur besseren Lage-Einschätzung beizutragen. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums verweist zunächst auf die bereits bestehenden Maßgaben im Infektionsschutzgesetz. Dort wird eine „konkrete Gefahr“ definiert, wenn sich eine Virusvariante ausbreitet oder aufgrund der hohen Anzahl an Neuinfektionen eine Überlastung der Krankenhauskapazitäten droht. Indikatoren hierfür seien dann: „Abwassermonitoring, 7-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen und der Hospitalisierung, RKI-Surveillancesysteme und stationäre Versorgungskapazitäten.“

Darüber hinaus sei die verpflichtende Erfassung aller PCR-Testungen, „auch der negativen“, vorgesehen. Schließlich sollten weitergehende Studien ermöglicht werden, um repräsentative Auswertungen zu Erkrankungs- und Infektionszahlen und Durchimpfungsraten zu erhalten. „Die Datenlage wird also deutlich verbessert.“ Das Ministerium gibt mithin zu: Der Großteil möglicher Indikatoren steht aktuell noch gar nicht zur Verfügung.

Das wird seit Langem beklagt. So gibt es Abwasser-Überprüfungen nur stichprobenartig, die Bettenzahl auf Normalstationen wird noch nicht erhoben. Die Inzidenz gilt ohnehin schon seit Langem als nicht mehr aussagekräftig. Keiner weiß, wie hoch die Rate Genesener in der Bevölkerung ist. Selbst beim Impfstatus gibt es Zweifel. Wer mit oder wegen Corona im Krankenhaus liegt? Unklar.

Kein Wunder, dass die Länder die ihnen verliehene Verantwortung nicht wollen. „Grundsätzlich sind das sinnvolle Werkzeuge“, heißt es in München. „Aber wir brauchen dazu praktikable Richt- und Schwellenwerte.“ Die will der Bund nicht definieren.

Forderung nach einheitlichen Kriterien

Verbände wie die kassenärztliche Bundesvereinigung fordern dagegen mit Nachdruck bundeseinheitliche Kriterien. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagt: „Wichtig ist, dass in Zukunft im ganzen Bundesgebiet einheitliche Maßnahmen ergriffen werden, wenn bestimmte, klar definierte Kriterien erfüllt sind. Hier bleibt das Konzept leider noch im Vagen.“

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Tino Sorge, fordert eine Einigung: „Im Sinne der Akzeptanz wird es im Herbst wichtig sein, Schutzmaßnahmen auch an konkrete Parameter zu knüpfen.“ Die Minister Lauterbach und Buschmann sollten gemeinsam mit den Ländern endlich definieren, unter welchen Bedingungen dieser Instrumentenkasten geöffnet werden solle und wann nicht.

„Maßnahmen im Herbst und Winter müssen viel stärker den Anteil schwerer oder tödlicher Krankheitsverläufe unter allen Fällen berücksichtigen“, so Sorge. „Bleibt dieser Anteil eher niedrig, werden tiefgreifende Maßnahmen bei den Menschen nur wenig Akzeptanz finden.“