Hamburg.
Das Wirtschaftswunder wirkt bis heute nach

Mit der Währungsreform und dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft begann der Aufstieg der Bundesrepublik.

22.05.2009 | Stand 22.05.2009, 12:54 Uhr

Von Andrej Sokolow, dpa

Kolonnen von VW Käfern auf der Autobahn, lachende Menschen, die sich über den ersten Adria-Urlaub oder einen Fernseher freuen – diese Bilder lassen die Wirtschaftswunder-Jahre als tiefste Vergangenheit erscheinen. In Wirklichkeit ist diese Zeit heute noch allgegenwärtig: Die Soziale Marktwirtschaft, die Indus-trie-Struktur, die Gastarbeiter, die großen Konsum-Marken, die Abhängigkeit vom Export, die europäische Einheit – viele der heutigen Stärken und Schwächen Deutschlands gehen auf die 50er Jahre zurück.

Ludwig Erhard, der Wirtschaftsminister von 1949 bis 1963, der als Architekt des Aufschwungs gilt, mochte den Begriff „Wirtschaftswunder“ gar nicht. Weil es ja eben kein Wunder, sondern ein Ergebnis harter Arbeit und richtiger Entscheidungen gewesen sei. Doch denkt man an die Ausgangslage und das Tempo des Wandels, fällt aus heutiger Sicht kaum ein anderes Wort ein.

1945 war Deutschland ein von Krieg gezeichnetes, geteiltes Land. Die Reichsmark war nahezu wertlos, die Industrie lag danieder, die Lebensmittel waren rationiert, die „Wirtschaft“ – das waren hauptsächlich Tauschhandel und Schwarzmarkt. Große Teile der Verkehrs-Infrastruktur waren zwar unversehrt geblieben, doch wegen zerbombter Brücken und Knotenpunkte kaum benutzbar. Zugleich war ein Großteil der Industrie in den westlichen Besatzungszonen erhalten und wartete darauf, benutzt zu werden.

Den Grundstein für den Aufschwung legte die Währungsreform von 1948. Mit dem grundsätzlichen Umtauschverhältnis von 10:1 – am Ende gab es für die meisten nur 6,50 DM für 100 Reichsmark – wurde auf einen Schlag überschüssiges Geld aus dem Kreislauf gezogen. Der Schwarzmarkt verschwand, auf einmal gab es alles in den Läden. Das neue Geld wurde ausgegeben statt gespart – denn den Haushalten fehlte es an allem. Die Industrie bekam so Einnahmen, die sie wieder investieren konnte.

Korea-Krieg brachte den Schub

1949 kam der nächste Baustein des Wirtschaftswunders dazu – das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. „Wohlstand für alle“, rief Erhard als Devise aus. Ja zur Privatwirtschaft, aber Nein zum „liberalistischen Freibeutertum“ und dem „freien Spiel der Kräfte“. Widerstände gab es viele. Die Alliierten, die SPD und selbst Teile der CDU hielten eine stärkere Rolle des Staates für notwendig. Zudem sprang die Wirtschaft nicht sofort an, eher im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit stieg 1950 auf zwölf Prozent an, die Bundesbank hatte alle Mühe, die Inflation zurückzuhalten, Erhards Kurs wurde immer mehr in Zweifel gezogen.

Den Durchbruch brachte erst der Korea-Krieg 1951. Die Produktion in der westlichen Welt wurde verstärkt auf Rüstungsgüter umgestellt – und das öffnete ein Fenster für deutsche Waren. Alles zahlte sich auf einmal aus: Der Fokus auf Maschinen und Konsumgüter, Autos und Kunststoffe. Auftrieb gab zudem, dass die deutschen Autos, Kühlschränke und Traktoren nicht in den überall knappen Dollar bezahlt werden mussten. Für die deutsche Wirtschaft gab es kein Halten mehr. Sie wuchs in den 50er Jahren jedes Jahr im Schnitt um 7,6 Prozent, 1955 gab es mit 11,5 Prozent den Höhepunkt. In diesem Jahr bürgerte sich auch das Wort „Wirtschaftswunder“ fest ein. Von 1950 bis 1960 wurden Bruttosozialprodukt und Exporte verdoppelt. Die Arbeitslosigkeit schrumpfte 1955 auf nur noch zwei Prozent – also Vollbeschäftigung.

Erste Gastarbeiter kamen ins Land. Wie der Name schon sagt, ging man davon aus, dass sie nicht für immer bleiben würden. Der Wohlstand breitete sich aus. Sicheres Zeichen in Deutschland: Die Zahl der Fahrzeuge auf deutschen Straßen verzehnfachte sich auf 3,7 Millionen. Der Wohnungsbestand erreichte den Vorkriegsstand, während nach dem Krieg einige Prognosen noch 50 Jahre für einen Wiederaufbau veranschlagten.

Auch mit wenig zufrieden

Spricht man heute mit denen, die diese Jahre erlebt haben, ist frappierend, wie niedrig die Schwelle für das persönliche Wirtschaftswunder war: Ein neues Kleid, ein Braten auf dem Tisch, ein Spielzeug. Das offenbart ein weiteres Erfolgsgeheimnis von Erhards Politik: Es waren reichlich qualifizierte Beschäftigte vorhanden, die so arm waren, dass sie auch für wenig Geld sehr viel arbeiten würden.