Bundestag
Im Sommer ist SPD-Politikerin Marianne Schieder die „Queen“ von Voithobuga

16.08.2022 | Stand 15.09.2023, 4:00 Uhr
Ein Piratenboot darf nicht fehlen: Es wurde eigens für das Zeltlager zusammengezimmert, LED- -Leuchten für die Nächte inklusive. Marianne Schieder setzte dafür ihren Schwager in Marsch. −Foto: is

Um 7.30 Uhr schallt das Lied „Guten Morgen Sonnenschein“ aus den Lautsprechern des Zeltlagers. 120 Buben und Mädchen sollen möglichst fröhlich aus dem Schlaf gerissen werden. Marianne Schieder ist zu diesem Zeitpunkt schon längst unterwegs.



Mit einer Riesenladung Semmeln und Brot fürs Frühstück im Gepäck rollt sie wenig später mit dem Auto auf den Hof. Im normalen Leben hält die Oberpfälzer Abgeordnete als Chefin der SPD-Landesgruppe im Bundestag Parteifreunde auf Linie – im Sommer aber nimmt sie sich seit nun 40 Jahren immer eine Auszeit vom politischen Betrieb. Im Zeltlager des Bunds der Katholischen Jugend (BDKJ) in Furth im Wald, das heuer unter dem Piraten-Namen „Voithobuga“ firmiert, hat sie jetzt wieder beim Aufbau geholfen, ihren Schwager Klaus nebenbei zum Zimmern eines Piratenschiffes verpflichtet. Schieder übernimmt dieses Mal eine Woche die Lagerleitung, führt eine weitere Woche in der Küche das Regiment, um in rauen Mengen Spaghetti Napoli zu produzieren – und Schokomilch „nach Geheimrezept“.

Schafkopfen gegen Heimweh

Friedlich sei es hier, sagt sie, obwohl sie von den Kindern ununterbrochen in Beschlag genommen wird. Was in Berlin passiert, bekommt sie ausnahmsweise stark verzögert mit. Das gilt selbst für die jüngsten Ankündigungen von Kanzler Olaf Scholz, der Folgen der Energiekrise bei Menschen mit wenig Einkommen abfedern will. Schieders Standpunkt ist ohnehin klar: „Der soziale Ausgleich muss funktionieren.“ Niemand könne wollen, „dass ein Drittel der Gesellschaft abgehängt wird“.

Im Zeltlager spielt Politik keine Rolle – und auch nicht das Umfragetief, in das die SPD seit der Bundestagswahl gerutscht ist. Für die Kinder ist die 60-Jährige einfach „die Marianne“, der sie Bestnoten erteilen. „Sie ist supernett“, sagt Adelia . „Sie ist immer hilfsbereit“, ergänzt Julian. „Ein lachender Sonnenschein“, urteilt Sarina. Laurin erzählt, wie Schieder seinem Freund übers Heimweh hinweggetröstet hat. „Sie hat ihm Schafkopfen gelernt.“ Das habe perfekt abgelenkt.

Die Kinder kennen Schieders einfühlsame Seite. Auf dem politischen Parkett ist sie kerniger unterwegs. Im Dienst der Sache, wie sie sagt. Ihren Posten als Landesgruppenchefin hat sie 2021 gegen einen Herausforderer aus der Oberpfalz verteidigt: den Weidener Abgeordneten Uli Grötsch. Es gibt dazu eine Vorgeschichte: Vor der Bundestagswahl hatte sie versucht – allerdings vergeblich – ihm die Spitzenkandidatur in Bayern streitig zu machen. „Wer in der Politik ist, muss auch Führungsaufgaben anstreben. Sonst fehlt es an der Motivation“, sagt Schieder. Sie kämpfe sich nicht auf Biegen und Brechen nach vorn. „Aber so ganz hinten anstellen, will ich mich auch nicht.“

Ob im Reichstag oder auf dem Zeltplatz: Schieder spricht stets breites Oberpfälzisch. Sie sehe keinen Grund, Hochdeutsch zu sprechen, sagt sie – wohl wissend, dass sie damit bei Reden im Parlament Stenografinnen in gelinde Verzweiflung treibt. Die Rohfassung bekomme sie öfters zum Gegencheck, erzählt sie – und lacht.

Die Anfangsjahre im BDKJ-Zeltlager waren für Schieder ein Sprungbrett in die Politik gewesen. „Die Jugendarbeit an sich ist eine Kaderschmiede“, sagt sie. „Man lernt zu organisieren, zu debattieren, sich grundlegende Gedanken zu machen.“ Es würden Netzwerke fürs Leben geknüpft. Der katholische Verband hatte bis zu den Protesten gegen die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf in den 1980er-Jahren vor allem für personellen Nachwuchs in der CSU gesorgt. Danach splittete sich das Feld. Schieder, ebenfalls im Widerstand, fand ihre Heimat bei der SPD, auch die Grünen erhielten Zulauf.

Demokratie im Kleinformat

„Da hat es sich gedreht“, sagt Maria Simon, in den 1980-er Jahren BDKJ-Bezirksvorsitzende und heute Chefin der Grünen-Stadtratsfraktion in Regensburg. Über Schieder weiß sie nur Gutes: „Sie steht für das, was sie vertritt. Sie kann Menschen begeistern.“ Die SPD-Frau werde wegen ihres Dialekts und ihrer burschikosen Art von manchen nicht so ernst genommen. „Aber da unterschätzt man sie.“ Schieder kämpfe nicht nur in der Politik für Veränderungen, „sie setzt es auch für sich im Kleinen um“. Im Zeltlager habe sie lange vor dem Bio-Boom darauf geachtet, dass Lebensmittel aus der Region gekauft werden.

Vieles bei Schieder dreht sich um das Zeltlager. Sie lerne von den Kindern – auch für Berlin – „dass man bereit sein muss, sich hinterfragen zu lassen. Dann können ganz neue Ideen entstehen“. Die Kinder wiederum unterrichtet sie als „Queen“ von Voithobuga ein wenig in Demokratie. Sie dürfen im Zeltlager mitreden, nicht nur bei der Nutella-Ration für den Frühstückstisch.

Diese Woche ist Schieder Küchendienst. Sie wird Zwiebeln schnibbeln, Salat putzen, Nudeln kochen. Und an heißen Tagen für süße Abkühlung sorgen. „Sie glauben gar nicht, wie viel Eis Kinder essen können.“

Zur Person: Marianne Schieder

Vita:Die SPD-Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder hat ihre Wurzeln in Wernberg-Köblitz (Lkr. Schwandorf). Hier wuchs sie als älteste von fünf Töchtern auf einem Bauernhof auf.

Politik:In die SPD trat Schieder 1990 ein – zuvor hatte sie sich im Protest gegen die WAA Wackersdorf engagiert. Sozialisiert wurde sie davor durch ihr Engagement in der Katholischen Landjugend.

Funktionen:Schieder war von 1994 bis 2005 Landtagsabgeordneter, wechselte dann sie in den Bundestag. Dort ist sie aktuell Parlamentarische Geschäftsführerin und Vorsitzende der SPD-Landesgruppe.