Engagement
Laura aus Hemau macht Bundespolitik

Die Zwölfjährige lebt im Nardini-Kinderheim in Hemau. Jetzt ist sie eines von zwölf Mitgliedern des Landesheimrats Bayern.

08.08.2018 | Stand 16.09.2023, 5:57 Uhr
Heiner Stöcker

Laura in ihrem Zimmer im Kinderheim Nardini in Hemau. Foto: Stöcker

Sie ist zwölf Jahre alt, clever und setzt sich für die Rechte anderer Kinder und Jugendlicher ein: Laura ist frisch in den Landesheimrat (LHR) Bayern gewählt worden. Finanziert wird der LHR vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration. Laura und elf andere Kinder, Jugendliche und junge Volljährige bilden nun ein selbst organisiertes Gremium, das sich für die Wahrnehmung der Rechte von Bewohnern in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Bayern einsetzt. Das heißt, es geht um Kinder, die in Heimen leben.

„Das Konzept setzt auf Partizipation“, sagt Klaus Hetényi. Er ist Leiter des Nardini-Kinderheims in Hemau. Dort lebt die Förder-Schülerin Laura in einer der drei Gruppen. Die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollen in die Gestaltung ihrer Lebensumwelt aktiv eingebunden werden – sie haben ein Mitspracherecht. „Deshalb wählt jede Gruppe hier im Haus zwei Vertreter, die dann zusammen mit zwei gewählten Erwachsenen der Einrichtung einen Beirat bilden.“ Diese Mitsprache sei für die Kinder uns Jugendlichen unheimlich wichtig, sagt Hetényi. Oft seien die Kinder im Heim, weil die eigentlichen Erziehungsberechtigten nicht in der Lage sind, sich um die Kinder zu kümmern. Die Partizipation nehme den zum Teil schwer traumatisierten Kindern und Jugendlichen seiner Einrichtung unter anderem das Gefühl der Fremdbestimmung.

„Wir haben im Gremium zuletzt zum Beispiel die Neugestaltung des Spielhofs oder die Organisation eines Grillfestes von Kindern für Kinder besprochen“, sagt Laura. Häufigstes Thema sei aber das Handy. „Wer darf zum Beispiel ein Handy haben und welche Apps darf derjenige installieren.“Seit WhatsApp in diesem Jahr seine Altersbeschränkung auf 16 Jahre angehoben hat, ist das Dauerthema.

Die Wahl des Landesheimrats erfolgte auf der dreitägigen Jahrestagung „Ipsheim“. Ipsheim steht dabei nicht nur für den Veranstaltungsort in Mittelfranken, sondern auch für „Initiative Partizipations-Strukturen in der Heimerziehung“. Dorthin, auf die Burg Hoheneck, entsenden die Bayerischen Einrichtungen ihre Delegierten. Laura war in diesem Jahr zum ersten Mal dabei, hat sich aufstellen lassen und ist von den rund 50 Teilnehmern der Jahrestagung gewählt worden.

Große Themen

Jetzt sieht sich die Zwölfjährige auf einmal mit bundespolitischen Themen konfrontiert. Der LHR befasste sich zum Beispiel in der Vergangenheit mit der Problematik minderjähriger Flüchtlinge und bietet Unterstützung für die Heimleiter und Betreuer der Einrichtungen in allgemeinen Fragen rund um Kinder und Jugendliche.

Eine Gesetzgebung stößt Laura besonders sauer auf: „Wir wollen versuchen, die 75-Prozent-Regel zu kippen – oder zumindest fairer zu gestalten.“ Jugendliche, die in einer Einrichtung der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Bayern leben und Geld verdienen, erhalten nur ein Viertel ihres eigenen Gehalts ausbezahlt. Den Rest kassiert der Staat.Im Sozialgesetzbuch – achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfeheißt es im Paragraf 94 „Umfang der Heranziehung“ dazu: „Bei vollstationären Leistungen haben junge Menschen und Leistungsberechtigte [...] 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen.“

„Die anderen Mitglieder des LHR, ich und viele andere Jugendliche empfinden das als unfair.“ Bei den Jugendlichen, die in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe leben, komme das an wie eine Bestrafung.

Klaus Hetényi hat Verständnis für den Unmut des LHR. „Wenn man als junger Mensch einen Job oder eine Ausbildung macht, freut man sich auf den ersten Lohnzettel.“ Aber wenn dann beispielsweise von 600 Euro Lehrlingsgehalt auf einen Schlag 450 Euro einbehalten würden – „das ist frustrierend“.

„Ich hatte das schon oft, dass Jugendliche vor mir stehen, die die Welt nicht mehr verstehen, wenn sie ihr Gehalt bekommen sollten.“ Viele würden es zwar verstehen, dass sie sich an den an ihnen erbrachten Leistungen beteiligen müssten.„Aber einsehen – und dann die Höhe des Betrags: Ich kann ihnen das nicht so erklären, dass ein Jugendlicher sagt ‚ja, stimmt so’.“

Ein Politikum

Es sei ein Politikum. Heimleitungen und Jugendämtern seien die Hände gebunden. „Es ist Gesetz und wir können das nicht verändern – aber es bleibt für die Jugendlichen nicht nachvollziehbar.“

Deshalb fordert der Landesheimrat eine Entlastung der Kinder und Jugendlichen in der stationären Jugendhilfe bei der Höhe der Selbstbeteiligung. „Die Heranziehung sollte den Anteil von 50 Prozent des Einkommens keinesfalls überschreiten. Außerdem soll ein Freibetrag von 250 Euro im Monat im Eigentum und zur freien Verfügung des jungen Menschen verbleiben“, heißt es in einer Erklärung aufwww.landesheimrat.bayern.de. „Wir werden dran bleiben“, sagt Laura. „Weiter Briefe schreiben, weiter mit Leuten reden.“ Und das tut der LHR – über Mitglieder-Generationen hinweg. Die Fluktuation im Zwölfer-Gremium ist hoch. Meistens, weil die Mitglieder aus Altersgründen ausscheiden. „Selbst die haben gesagt, sie sind stolz, dass sie da was angeschoben haben – auch wenn sie von einem vielleicht künftigen Erfolg selbst nichts mehr haben werden.“