Kriminalität
Telefonbetrüger imitieren Polizei-Notruf

Eine Regensburgerin wurde das Opfer einer ganz perfiden Masche. Der jetzt angeklagte Fall zeigt, wie die Callcenter arbeiten.

06.05.2021 | Stand 16.09.2023, 2:58 Uhr
Immer häufiger werden Senioren zu Opfern dreister Betrüger, die am Telefon um empfindliche Summen und Werte gebracht werden. −Foto: Karl-Josef Hildenbrand/picture alliance/dpa

Mit bekannten und neuen Maschen bringen dreiste Betrüger meist ältere Opfer um Bargeld, Schmuck oder Wertsachen. Auch in Regensburg und der Oberpfalz sind die Callcenterbetrüger aktiv. Mit was für miesen Tricks die gut organisierten Banden immer wieder Senioren am Telefon abzocken, zeigt ein aktueller Fall, der im Mai vor Gericht verhandelt wird – es ist einer der ersten in der Region. Wer die Drahtzieher sind und wie sie ihre „Abholer“ vor Ort rekrutieren, weiß Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher.

Am 25. November 2020 klingelt bei Ilse W. (alle Namen geändert) das Telefon. Die Person am anderen Ende warnt die Seniorin, dass ihre Wertsachen nicht mehr sicher wären. Bei einem Einbruch hätten Kollegen eine Liste mit Namen gefunden – auch den von W., wie der angebliche Polizeibeamte sagt. Die Regensburgerin ist verunsichert und wird geschickt unter Druck gesetzt. So sehr, dass sie zwei Stunden später Schmuck und Uhren im Wert von 2000 Euro übergibt.

Wer einmal zahlt, bleibt weiter im Fokus

In Wahrheit jedoch ist Ilse W. das Opfer von Callcenterbetrügern geworden. Eines von so vielen, wieder jüngste Fall in der vergangenen Woche zeigt, als eine Regensburgerin Wertsachen und sogar Zugangsdaten zum Onlinebanking herausgab. Im November hatte der falsche Polizeibeamte aber noch lange nicht genug. Tags darauf erkundigt er sich erneut bei der Seniorin nach Wertgegenständen. „Das erleben wir immer wieder“, bestätigt Thomas Rauscher von der Staatsanwaltschaft Regensburg. In diesem Fall habe die Seniorin aber ihrer Sohn und der wiederum die Polizei informiert.

So gelang die Festnahme: Die Kripo wartete auf den Abholer, als er zum zweiten Mal bei Ilse W. Beute machen wollte. Noch auf der Schwelle zur Wohnung erhielt er einen Anruf auf seinem Handy – eine vergebliche Warnung der Hintermänner. Die Handschellen klickten da bereits. Dass Callcenter und Helfer sogar bei der Abholung noch in so engem Kontakt stehen, ist laut Rauscher bekannt. „Die arbeiten mit allen Tricks.“ So fragen sie vorm Eintreffen des Abholers prophylaktisch „nach dem Kollegen bei ihnen“, um zu prüfen, ob die Polizei schon da ist.

Merke:Regeln:
Echte Polizisten fragen niemals nach Bargeld oder Schmuck. Die Polizei verwahrt weder Geld noch Wertgegenstände! Sprechen Sie ältere Angehörige auf diese Gefahren an und sensibilisieren Sie auch Nachbarn oder Freunde.Geben Sie keine Daten oder Infos von sich am Telefon preis. Rufen Sie vorher immer eine oder einen Vertrauten bzw. Verwandten an und lassen Sie sich niemals von vermeintlich Bekannten oder Polizisten unter Druck setzen.

In diesem Fall habe das Opfer „wirklich sehr gut mitgespielt“ erinnert sich der Oberstaatsanwalt. Der verhaftete Abholer war der Polizei schon bekannt, ein 30-jähriger Kleinkrimineller. Auf einem bei der Wohnungsdurchsuchung beschlagnahmten Computer finden sich Hinweise auf vier weitere Fälle und Indizien, dass die Drahtzieher wie in diesen Fällen häufig wohl in der Türkei sitzen. Und am Ende kooperiert der Verdächtige mit den Ermittlern.

Abholer wurde auf Facebook rekrutiert

Durch eine Werbeanzeige auf der Facebookseite eines Biker-Vereins rutschte der Mann in hochkriminelle Kreise ab. Die Aussicht, dass er „schnell reich werden“ könnte, lockte ihn. Via Telegram erhielt er die Infos, wann ein Betrug gelungen und wo etwas abzuholen wäre. Ab Mitte Oktober 2020 leitete der 30-Jährige das Geld per „MoneyGram“, einem Dienstleister für Auslandsüberweisungen, an seine Hintermänner weiter. Aus Zahlungen und Chatverläufen konnten Ermittler vom Kommissariat 9 – bei der Kripo Regensburg zuständig für alle Formen organisierter Kriminalität – vier konkrete Fälle rekonstruieren.

Das fanden die Ermittler heraus: Am 29. September übergab eine Frau 34 000 Euro in bar, die sie aus dem Schließfach ihrer Bank holte. Am 12. Oktober holte der 30-Jährige bei einer weiteren Regensburgerin Schmuck im Wert von rund 1000 Euro und am 3. November, erneut gut zwei Wochen später, bei einer dritten einen Umschlag mit 4000 Euro. Alle betrogenen Opfer wohnten in Regensburg. Ehe ihm am 26. November das Handwerk gelegt wurde, wurde zudem eine Frau aus Bad Abbach um 8000 Euro erleichtert.

In einem Fall wendeten die Callcenterbetrüger einen besonders perfiden Trick an. Um das Opfer in Sicherheit zu wiegen, forderten sie die Frau auf, unter der 110 deren Angaben zu überprüfen. Das tat die Seniorin auch. Doch statt aufzulegen, spielten die Betrüger wohl ein Freizeichen ein und meldeten sich, nachdem das Opfer gewählt hatte, als Polizei-Notruf. Die falsche Story bestätigten sie natürlich. „Das geht soweit, dass sogar Hintergrundgeräusche eingespielt werden, damit die Opfer glauben, wirklich mit der Polizei verbunden zu sein“, weiß Rauscher.

„Das geht soweit, dass sogar Hintergrundgeräusche eingespielt werden, damit die Opfer glauben, wirklich mit der Polizei verbunden zu sein.“Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher

Mit den wahren Hintermännern hatte der 30-Jährige jedoch nie Kontakt. Die sogenannten „Keiler“, wie die Anrufer in den Callcentern genannt werden, beschäftigen dafür eigene „Logistiker“, die ihre Abholer koordinieren. Geld und Wertgegenstände gehen meist über zahllose Konten und nie direkt zu den Drahtziehern. „An die Hintermänner war in dem Fall leider kein Rankommen“, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher. „Aber jeder, den wir erwischen, ist ein Gewinn.“

Jetzt steht der Abholer vor Gericht

Am 11. Mai muss sich der 30-Jährige, der seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft sitzt, wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in fünf Fällen vor Gericht verantworten. Das kleinste Rädchen im System der Callcenterbetrüger ist letzten Endes für ein Verbrechen angeklagt, bei dem der Strafrahmen bis zu zehn Jahre Haft vorsieht. „Aber ohne Leute wie ihn würde das ganze System auch nicht funktionieren“, betonte Rauscher.