Die Hölle stand im Erzgebirge

Weil sie aus der DDR fliehen wollte, wurde Manuela Polaszczyk unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt.

13.11.2009 | Stand 16.09.2023, 21:07 Uhr
Christian Kucznierz

Regensburg.Manuela Polaszczyk hat nur ein Wort, das auf das DDR-Frauengefängnis Hoheneck passt. „Hölle. Man ist in der Hölle.“ 15 Monate saß sie dort, in der 700 Jahre alten Burg im Erzgebirge, die schon vor DDR-Zeiten aufgrund ihrer katastrophalen Zustände berüchtigt war. Polaszczyk war eine von 1600 Häftlingen, eine der „Politischen“. Sie sitzen zusammengepfercht mit Gewaltverbrecherinnen, werden schikaniert von Wärterinnen, kontrolliert von Stasi-Spitzeln in den Zellen. Dabei hatte Manuela Polaszczyk nur einen Wunsch: „Ich wollte denken können, was ich will, und dieses Denken wollte ich auch aussprechen. Deswegen wollte ich aus der DDR raus“, erzählt die heute 45-Jährige. Diesen Wunsch musste sie teuer bezahlen.

1964, als sie ein halbes Jahr alt war, zieht die Familie von Sindelfingen im Westen in den Arbeiter- und Bauernstaat. Manuela Polaszczyk wächst in der DDR auf, fühlt sich aber nie dort wohl. Sie läuft bereits aus dem Kindergarten weg. Sie besucht die Schule, macht eine Ausbildung, will sich aber nie anpassen. Im Februar 1984 geht ihr Vater in den Westen. Allein. Angeblich will er wiederkommen. Was Manuela Polaszczyk nicht weiß: Er ist Stasi-Mitarbeiter. Für seine Reise nach Westen hat er seine Tochter als Pfand missbraucht. „Er hat der Staatssicherheit versprochen, dass er wiederkommen wird.“

Ihr Vater kommt nicht wieder. Manuela Polaszczyk weiß, was das bedeutet. Er ist geflohen, ihr droht die Haft. Als sie von Freunden erfährt, dass sie abgeholt werden soll, entschließt sie sich zur Flucht. Die Elbe war ihr zu gefährlich, die Mauer unüberwindbar. Manuela Polaszczyk war als Kind Leistungsschwimmerin und so kommt sie auf die Ostsee als Fluchtweg. Es ist der 18. Juli 1984, als der Versuch misslingt. Polaszczyk und ihre Freundin werden inhaftiert, am 23. Juli landet die damals 20-Jährige in Hoheneck. Urteil: Zwei Jahre, vier Monate.

Regensburg.Wecken um fünf, militärischer Drill bis abends um 10 Uhr. Dann Licht aus. An Schlafen war aber kaum zu denken. Da war die Angst, sagt Polaszczyk. Angst vor den Mithäftlingen, weil man als politischer Häftling Freiwild war. Hoheneck hatte eine sogenannte Wasserzelle, in der die Häftlinge stundenlang im Wasser stehen mussten. „Es gab Vergewaltigungen und Ähnliches, von dem heute niemand mehr etwas wissen will“, sagt Manuela Polaszczyk. Oder die Duschen. Sie erinnert sich: Das Wasser lässt sich nur von außen ein- und ausschalten. Man sperrt sie dort ein. Eine halbe Stunde kaltes Wasser in einer kalten Burg. „Versuchen Sie das mal“, sagt sie. „Da löst sich die Haut ab.“

Einige von Polaszczyks Leidensgenossinnen verletzten sich selbst, um wenigstens ein paar Tage in die Krankenstation zu kommen. Sie selbst hält durch. Einmal allerdings wird es knapp. Polaszczyk attackiert eine Wärterin, die besonders boshaft gewesen ist, wie sie sagt, versucht, sie über das Geländer zu werfen, sie zu töten. Polaszczyk wird gestoppt. „Eigentlich hätte ich dafür noch ein paar Jahre mehr bekommen müssen. Aber damals war schon klar, dass ich auf Transport komme.“ Auf Transport, das bedeutete, dass sie von der Bundesrepublik freigekauft wurde.

Fünfzehn Monate war sie in Hoheneck. Manuela Polaszczyk sagt, sie sei um 50 Jahre gealtert in dieser Zeit. Seelisch und körperlich. Am 11. September 1985 trifft sie in Gießen ein. Ihr Vater holt sie ab. Später zieht sie mit der Freundin, mit der sie fliehen wollte, nach Regensburg. Sieben Jahre verbringt sie hier, sehr glückliche Jahre, betont sie. 2006, an Weihnachten, erfährt sie aus den Akten, dass ihr verstorbener Vater in der DDR für die Stasi gearbeitet hat. Dass er Informationen verkaufte, ihren Freundeskreis bespitzelte. Dass ihre Stiefmutter für die Stasi arbeitete. Es ist der zweite Verrat, den Manuela Polaszczyk erfährt. Es ist etwas Hartes in ihrer Stimme, wenn sie davon erzählt.

Heute lebt Manuela Polaszczyk in der Nähe von Karlsruhe. Sie ist nicht verheiratet, hat keine Kinder. Lange habe sie nicht über das reden können, was ihr widerfahren sei, erzählt sie. Dann fing sie an zu schreiben. Heute sind es vier Bücher, in denen sie ihre Vergangenheit verarbeitet hat. Heute kann sie über alles sprechen, sagt sie. Auch über die Hölle.

Das Schicksal von Manuela Polaszczyk ist Thema bei Spiegel TV: „Die geheimen Schicksale der DDR-Frauen“, Heute, Samstag, 20.15 Uhr, Vox.

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