Menschen

Das zweite Leben des Dr. Vetter

Das Abgeordnetenzimmer im Landtag ist leer, der Schlüssel abgegeben: Dr. Karl Vetter erzählt vom neuen Lebensabschnitt.

25.10.2018 | Stand 16.09.2023, 5:56 Uhr

Der Landtagsabgeordnete Dr. Karl Vetter zeigte zwar nie mit dem Finger auf Andere, gab aber manchen Fingerzeig, wenn er eine Richtung für gut hielt. Foto: rsu

Es war der Moment, als das letzte Bild abgehängt war, das Zimmer leer und der Chamer Abgeordnete Dr. Karl Vetter den Schlüssel im Schloss seines Büros im Maximilianeum ein letztes Mal herumdrehte. „Da habe ich schon einen Anflug von Wehmut gespürt. Es waren schließlich zehn Jahre, die ich dort verbracht habe.“

Der „Charly“, wie ihn seine Freunde gerne nennen, beginnt einen neuen Lebensabschnitt und wird philosophisch: „Dein zweites Leben beginnt, wenn Du gemerkt hast, dass du nur das eine besitzt!“ Auch die Landtagspräsidentin Barbara Stamm hatte am Dienstag Tränen in den Augen, als sie die scheidenden Abgeordneten ein letztes Mal empfing. Auch deshalb, weil sie ihren Sitz im Landtag selber aufgegeben hat.

Nun sitzt MdL a. D. Dr. Karl Vetter in seinem Büro in der Altenstadter Straße und wickelt sich selbst ab. Er ist ein Mann der klaren Entscheidungen. Das war auch vor zehn Jahren so. „Als mich die Freien Wähler zur Kandidatur überredet hatten, war klar, dass ich das durchziehen werde.“ Das hat er getan und es nicht bereut. „Es war eine gute Entscheidung und eine gute Zeit. Aber es war komplizierter, als ich es mir vorgestellt hatte“, gibt er zu. Es müsse ja nicht nur zu jeder Sache nach einer Lösung gesucht werden, es gebe auch jedes Mal verschiedenste Interessen. „Arbeitnehmer sehen eine Entscheidung zum Beispiel sofort anders als der Arbeitgeber!“

Seiner klaren Linie ist er auch treu geblieben, als die Frage aufkam, wie lange er Abgeordneter bleiben wollte. „Es sollte nach zehn Jahren enden. Ich werde 65. Und dann nochmal fünf Jahre? – Nein!“ Da lockte Dr. Vetter auch nicht die Aussicht auf den Posten des Gesundheitsministers. Nach all den Jahren als gesundheitspolitischer Sprecher wäre die Sache nun auf ihn zugelaufen. Doch das Nein blieb ein Nein.

Der etablierte Chamer Sportarzt, Orthopäde und Chiropraktiker hat bis heute Patienten, die im Röntgenbilder bringen und fragen: „Was rätst Du mir? Wo soll ich hingehen.“ Gerade erst hat Dr. Vetter erlebt, wie sein Lebenswerk buchstäblich in Einzelteile zerfiel. Das orthopädisch-chirurgische Zentrum OCZ am Bahnhof, das er mit aufgebaut hatte, schließt 2019. „Das tut schon weh“, sagt Dr. Vetter, der schon Angebote bekommen hat, jetzt als Arzt wieder einzusteigen. Vielleicht zwei Tage in der Woche?

Vielleicht doch wieder Doktor?

„Ich schließe eine Rückkehr in meinen Beruf nicht aus, aber jetzt auf keinen Fall“, sagt Dr. Vetter. Er will sich jetzt erst einmal auf seine Familie konzentrieren. Tochter Tina ist schwanger mit Ehemann und Enkel aus den USA nach München zurückgekehrt, just vor fünf Tagen. „Da bin ich am Umzug sicher beteiligt“, sagt Dr. Vetter. Und er möchte nun endlich tun, was er in den letzten zehn Jahren vernachlässigt hat: Sich um die Familie kümmern und reisen. Die Südsee reizt ihn seit seiner Jugend, Australien und Neuseeland locken und auch Europa.

Natürlich lässt ihn die Politik so übergangslos nicht los. Noch immer rufen Leute bei ihm an und haben Anliegen. Seine 2,5 Angestellten und die Gesundheitsreferentin in München wissen schon lange, dass der Job bei ihm zu Ende geht. Sie gehen in den Ruhestand oder haben eine andere Arbeit gesucht. Auch seinen Abgang bereut e nicht: „Ich mag nimmer!“ Immer wieder sei er gefragt worden, ob er nun mehr arbeiten müsse als damals, als er noch Arzt war. Seine Antwort: „Mehr nicht, aber länger!“ Da gebe es eben auch die endlosen Fahrten durch Bayern, 50 000 Kilometer im Jahr, und ewig lange Ausschuss-Debatten mit vorhersehbarem Ausgang. Das wird er nicht vermissen. Aber der Abgeordnete ist noch nicht a. D. genug, um nicht zu bedauern, dass sein Nachfolger nicht Robert Riedl heißt und aus Bad Kötzting kommt: „Wir hatten in der Oberpfalz das beste Ergebnis. Es ist sehr schade, dass es nicht gereicht hat!“

An der Zeitenwende beteiligt

Aber er tröstet sich mit vielen guten Erinnerungen: „Als das G 9 wieder kam, das war zum Beispiel ein guter Tag. Oder als die Hausarztverträge durchgeboxt waren.“ Im Rückblick bedauert er, dass bei vielen Diskussionen zu früh überlegt worden sei, wie das beim Wähler ankommt, was man gerade tut: „Wie das in die Hose gehen kann, sieht man gerade bei der CSU!“ Das Land, da ist er überzeugt, hat wenig Grund zur Klage. Man habe sich durch endlose Asyldebatten zu lange davon abhalten lassen, die echten Probleme anzupacken wie Rente und Pflege. Bei der Pflege müsse man die Angehörigen besser einbeziehen und bei der Rente den Spagat finden, dass die heute 60-Jährigen mehr bekommen, ohne dass kommende Generationen die Zeche zahlen müssen.

„Die Renten-Lösung habe ich aber auch nicht in der Tasche“, gibt Dr. Vetter zu. Aber er weiß, dass es nun besser wird, weil es mehr gute Kompromisse gibt, wenn die CSU in die Koalition muss. Und das ist es, was einem Dr. Vetter zum Abschied ein gutes Gefühl gibt: „An dieser Zeitenwende war ich beteiligt!“

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