Freiwilligendienst

Hier werden Zivilisten zu Reservisten

Nicht gedient? Kein Problem - die Bundeswehr bildet in Roding auch Freiwillige aus, um ihre Reservistenreihen zu füllen.

11.11.2019 | Stand 16.09.2023, 5:23 Uhr

„Probieren Sie doch mal!“- Spieß Johann Händlmayer (li.) lud die Ausbildungsinteressierten zur Anprobe von Helm und Schutzweste ein.

An diesem Abend ist es an der Zeit, die Kopfbedeckung schon einmal probeweise zu wechseln. Statt Hut gibt es heute Helm, statt lockeres Hemd etwas Gewichtigeres. „Wie fühlt sich das an?“, fragt der mit der gelben Schnur den neu Angekleideten in der schweren Schutzweste.

Der das fragt, der mit der Schnur, das ist der Spieß, Johann Händlmayer. Der hat das Sagen hier. Das weiß von dem Dutzend am Tisch, die zur Infoveranstaltung für die Ausbildung zum Reservisten in die Stadthalle Roding gekommen sind, keiner.

Nur Ungediente gefragt

Denn, es sind durch die Bank sogenannte Ungediente, Männer und Frauen ohne jedes Bundeswehr-Basiswissen. Deshalb hat Händlmayer auch heute keinen Befehlston drauf, sondern die im Soldatenmaßstab eher leise, humorige Variante mit viel Dialekt. Und er erklärt, was die Zwölf erwartet, wenn sie das werden wollen, was seit 2018 hier möglich ist: Reservist, ohne je bei der Bundeswehr gewesen zu sein.

Gerade das Ungedientsein ist die Grundvoraussetzung für das, wofür der Spieß, wie Hauptfeldwebel Thomas Klapper oder auch Helga Reiter vom Reservistenverband aktuell werben. Selbst 24 Stunden in Uniform reichen, um hier durchs Raster zu fallen, sagt der Rodinger Thomas Klapper: „Wer einen Tag gedient hat, der ist automatisch Reservist!“ Und damit disqualifiziert für die Ausbildung zum freiwilligen Reservisten. Die würden dann gebraucht, wenn die Aktiven im Ausland im Einsatz seien oder, wenn Bundeswehrkräfte bei Katastrophen im Inland angefordert werden.

Mit Gefechtsübung und Biwak

Was die Zwölf am Tisch antreibt, ist die Suche nach dem Besonderen, nach einem Dienst für ihr Land, nach etwas Abenteuer im Alltag oder auch nach dem Probelauf für einen neuen Job in Uniform. Und sie wollen am Ende auch irgendwie ein dreckiges Dutzend werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das Abenteuer Bundeswehr mit Schießen, Gefechtsübungen und Biwak-Wochenenden bringt das einfach mit sich.

Module:Erfahrung:Interesse:Termine:
Seit 2018 bietet der Regionalstab Ost am Standort Roding eine Allgemeine Streitkräfte gemeinsame Soldatische Ausbildung (ASSA) für Ungediente an. In der ASSA für Ungediente werden die Rekruten zu Wach- und Sicherungssoldaten ausgebildet.Die erste Ausbildung 2018 war so begehrt, dass Bewerbern abgesagt werden musste. Die 30 Teilnehmer waren zwischen 18 und 59 Jahren. Auch Ältere bestehen die körperlichen Anforderungen. Eingesetzt werden Reservisten etwa bei Schneekatastrophen oder zur Sicherung militärischer Anlagen.Wer Interesse hat, kann sich an den Regionalstab Ost (J. Händlmayer, Tel. 09422/8083810, RegStBogFGG1@bundeswehr.org) oder an die Reservistenverbands-Geschäftsstelle Cham (Tel. 09971/ 6725, cham@reservistenverband.de) wenden. Dort gibt es auch die Bewerbungsmappe.Die Ausbildung findet im August 2020 in Bogen statt. Das erste Modul fürs Basiswissen startet am 3. 8. und dauert bis 14.8., das zweite fürs Wissen rund um Wach- und Sicherheitsdienste ist vom 17. bis 21. 8. und die Gefechtsausbildung ist vom 24. bis 28.8. geplant. Bewerbungen müssen bis 31. Januar 2020 eingegangen sein. (ck)

Das klingt nach viel befriedigendem Adrenalin, nach Erlebnis-Versprechen á la Jochen Schweizer. Nur der nimmt viel Geld für den Verkauf seiner Abenteuerangebote. Hier ist das andersherum, erläutert Johann Händlmayer. Geht es zur Ausbildung oder zum Einsatz, sollten die Reservisten in der Regeln vom Arbeitgeber dafür freigestellt werden. „Die Bundeswehr springt dann ein, zahlt den Lohn und sonstiges“, sagt der Spieß. Und das könne sich durchaus lohnen.

Um die Reservistenreihen zu füllen und Einsatzkräfte im Inland bereit zu halten, lässt sich die Verteidigungsministerin nicht lumpen. Da gibt es mehr als nur ein kostenfreies Bahnticket. Das bestätigen auch die beiden, die an diesem Abend mit am Tisch sitzen und das Ausbildungsprozedere bereits 2018 mitgemacht haben. Markus Bleicher (27) kommt aus Neumarkt, Simon Hecht (30) ist in Roding zu Hause. Beide haben die Ausbildung, die in drei Module eingeteilt ist, vergangenes Jahr durchlaufen.

Und nicht bereut, wie sie sagen. Beide wollten bereits 2010 ihren Grundwehrdienst ableisten. Doch der Freiherr ließ sie nicht: der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg strich die Wehrpflicht. So sind sie nun 2018 freiwillig Reservist geworden. „Ich wollte auf jeden Fall hin, durfte dann aber nicht“, erinnert sich Simon Hecht. Der Maurermeister arbeitet heute bei der Stadt und denkt, dass die Garnisonsstadt Roding nichts dagegen hat, dass er Reservist ist, und etwa im Katastrophenfall zum Dienst fürs Land gerufen wird.

„Die Ausbildung ist ja auch eine Bereicherung für den Arbeitgeber“, sagt Hecht. Er sei jetzt bei seinem Arbeitgeber der Ersthelfer, ergänzt Bleicher, eben weil auch eine Sanitätsausbildung dabei ist. Vielleicht will er auch einmal aus der Freiwilligkeit raus bei der Bundeswehr anheuern: „Das ist für mich eine Option.“ Und einig ist er sich mit Markus Bleicher auch, was bislang das Schönste war in ihrem neuen Freiwilligenjob: der Gefechtsdienst und das Biwak. Also das, wo das Abenteuer lockt und die Uniform nicht sauber bleibt.

Karina Schimmel hat sich schon immer so etwas gewünscht, wie ihr eben präsentiert worden ist. Ein modernes Abenteuer, das zudem Sinn macht und auch noch honoriert wird. Und die Dominanz der Männer? „Das habe ich sowieso schon in meinen Beruf“, sagt sie. Karina Schimmel wohnt in Sulzbach-Rosenberg und arbeitet in der Entwicklungsabteilung bei Siemens: „Da wimmelt es von Männern!“ Von daher sieht sie da als künftige Reservistin kein Problem und lässt sich auch von der Kleiderordnung Helm statt Hut nicht weiter abschrecken.

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