Erinnerungskultur

Jüdisches Leben in Burglengenfeld

Christian Birk von der Sophie-Scholl-Mittelschule hat mit Schülern geforscht. Im Zentrum ihrer Arbeit: Dr. Zemenszky-Földes.

13.11.2021 | Stand 15.09.2023, 23:10 Uhr
Mittelschullehrer Christian Birk hat im Geschichtsunterricht seiner Klasse ein Projekt angestoßen, in dem es um die Spuren jüdischen Lebens in Burglengenfeld geht. Dafür hat er im vergangenen Jahr in Archiven umfangreiche Recherchen angestellt. −Foto: Thomas Rieke

Die Klasse 7M der Sophie-Scholl-Mittelschule Burglengenfeld hat sich zusammen mit ihrem Lehrer Christian Birk auf die Suche nach jüdischem Leben in der Stadt gemacht. Sie entdeckten Dr. Edith Zemenszky-Földes.

Der Ausgangspunkt der Suche war das Stadtarchiv Burglengenfeld. Dort zeigte sich schnell, dass es kaum Informationen und Belege über jüdisches Leben in Burglengenfeld gibt. Stadtarchivar Dr. Thomas Barth hatte aber bereits Material über Dr. Edith Zemenszky-Földes gesammelt. Über sie war bekannt, dass sie in den Kriegsjahren und auch einige Jahre danach an der Hauptstraße 7 die Fachdrogerie und Fotohandlung Dr. Edith Simon betrieb. Zudem sei es damals ein offenes Geheimnis gewesen, dass sie Halbjüdin war. Belegen konnte man dies bisher jedoch nicht.

Arolsen Archiv schickte 100 Seiten Dokumente

Danach begann eine spannende Suche. Archive im In- und Ausland wurden angeschrieben, um die These nach der jüdischen Abstammung zu überprüfen. Fündig wurde das Team erst beim Arolsen Archiv in der nordhessischen Stadt Bad Arolsen, das sich auf die Forschung über die nationalsozialistische Verfolgung und den Holocaust spezialisiert hat. Die Antwort hatte es in sich: Knapp 100 Seiten an Dokumenten über das Leben von Zemenszky-Földes und ihrer Familie bekam der Lehrer zugeschickt. „Damit konnten wir arbeiten und das Leben von Zemenszky-Földes weitgehend rekonstruieren.“

Edith Simon wurde am 29. April 1914 in der niederösterreichischen Stadt Neunkirchen geboren. Ihre Eltern waren der Fabrikbeamte Franz Simon und Nina Simon, eine ungarische Beamtentochter mit dem Mädchennamen Feinsilber. Die Überprüfung der Konvertiten-Liste in Wien bestätigte die Vermutung. Die Mutter war tatsächlich Jüdin, was ihrer Tochter Edith fortan das Leben erschwerte. Edith besuchte die Schulen in Neunkirchen und begann später ein Universitätsstudium der Fächer Geschichte und Geografie in Wien. Am 20. Dezember 1939, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurde sie zum Dr. phil promoviert.

In den Kriegsjahren begann eine recht unstete Zeit für sie, die von ständigen Ortswechseln geprägt war. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Sicher sei aber, dass sie im Januar 1941 nach Oettingen kam und dort im Familienstandsbogen bereits die Berufsbezeichnung Drogistin auftauchte. Von 1942 bis 1945 steigerte sich noch einmal die Frequenz der Ortswechsel. Edith wechselte öfter zwischen den Orten Oettingen, München, Nördlingen und Burglengenfeld hin und her. Der Hauptwohnsitz zu dieser Zeit sei aber laut Birk wohl Burglengenfeld gewesen.

Am 29. Mai 1945 heiratete sie den Ungarn Dr. Karl Zemenszky-Földes. Beide hatten sich wohl am Kriegsende in Oettingen kennengelernt. Er wurde dort als Kriegsverwundeter im Krankenhaus behandelt. Höchstens drei Monate nach dem Kennenlernen schlossen sie den Bund fürs Leben, und etwa ein Jahr später kam die gemeinsame Tochter Elisabeth zur Welt.

Nach dem Krieg blieb die Familiensituation weiter diffus. Während der Ehemann nach kurzer Kriegsgefangenschaft als Rechtsberater für das Central Hungarian Office in München, später dann auch in Amberg, arbeitete, betrieb die Ehefrau weiter die Fachdrogerie und Fotohandlung Dr. Edith Simon, die sie wohl Anfang 1943 in Burglengenfeld eröffnete. Sicher ist aber, dass die Familie nach dem Krieg die Ausreise aus Deutschland forcierte und sich dazu an die International Refugee Organization (IRO) wendete, die das Anliegen aber zunächst ablehnte.

Die Familie emigrierte in die USA

„Karl insistierte weiter auf die Hilfe der IRO und schrieb dazu im März 1948 einen längeren Brief an die Organisation. Er argumentierte, dass seine Frau zu den politisch verfolgten Personen gehörte und deshalb die Hilfe der IRO verdiene“, sagt Birk. Drei Jahre später war die Familie schließlich erfolgreich. Sie emigrierte in die USA. Auf einem Dokument der IRO vom 6. Juni 1951 tauchten die Familiennamen auf. Mit dem Schiff ging es von Bremerhaven nach New York City. Dort verliert sich dann die Spur.

Unterricht: Erinnern:
„Das Beste, was man gegen das Vergessen tun kann, ist, sich aktiv mit der Geschichte auseinanderzusetzen“, sagt Birk zum Anlass des Geschichtsprojekts. Die Verbrechen im Nationalsozialismus würden im Unterricht behandelt, aber die Verantwortung, die die Gesellschaft auch heute noch habe, werde im reinen Buchunterricht nicht deutlich genug.„Unsere Schule ist nach Sophie Scholl benannt, vor dem Eingang hängt das Schild ‚Schule ohne Rassismus‘. Wir wollen uns nicht nur mit Etiketten schmücken, sondern tatsächlich couragiert handeln und bewusst an jüdisches Leben erinnern“, erklärt der Pädagoge.

„Unser Plan ist es nun, unsere Forschungsergebnisse in einer Ausstellung im Februar 2022 zu präsentieren. Dazu haben wir uns mit dem Bezirksheimatpfleger Florian Schwemin bereits kompetente Unterstützung geholt“, sagt Birk. Zudem würde man sich über die Mithilfe der Burglengenfelder freuen. Wer weitere Informationen über das Geschäft Fachdrogerie und Fotohandlung Dr. Edith Simon bzw. die Familie Zemenszky-Földes hat, also beispielsweise Fotos, Zeitungsartikel, aber auch Geschichten, möge sich an die Sophie-Scholl-Mittelschule Burglengenfeld wenden: Kontakt: info@msbul.de oder (09471) 604930

URL: https://www.mittelbayerische.de/archiv/1/juedisches-leben-in-burglengenfeld-11671712
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