REISE-REPORTAGE
Das Super-Schaf: In den Dolomiten lebt eine seltene Rasse

25.10.2024 |

Die markante schwarze Pigmentierung um die Augen, die einer Sehhilfe ähnelt, verpasste dem Brillenschaf seinen Namen. Es ist die älteste Schafrasse Südtirols. − Fotos: Isabel Metzger



Lange Zeit hat sich kaum jemand um dieses Schaf mit seinen auffälligen dunklen Augenringen geschert, weswegen die seltene Rasse eigentlich schon ausgestorben wäre. Gäbe es da nicht die Villnösser, ihre Liebe zur Südtiroler Heimat und ihre guten Ideen.

Schaf müsste man sein. Oder Schwein. Dann könnte man auf den saftigen Wiesen in den ursprünglichen Villnösser Bergen grasen. Oder sich in der Erde suhlen und dann in der eigens gebauten Höhle Schatten und Ruhe suchen. „Wenn ich im nächsten Leben ein Tier wäre, würde ich bei einem Bauern wie mir leben wollen. Bei mir sind alle in Freiheit.“ Recht hat er mit seinem Eigenlob, der Günther Pernthaler, dessen kleine Hütte samt Grund in 1350 Metern Höhe in den Dolomiten nicht umsonst den Namen „Maiers Paradies“ – nach dem Hofnamen seiner Familie – trägt.
 „Pampalo, pampalo, sesesei“, ruft Pernthaler über die Weide. Was das heißt? Das weiß nicht mal er selbst. Den Lockruf der Schafhirten kannten jedoch schon sein Vater und sein Großvater – denn der zeigt Wirkung. Wenn Günther Pernthaler zu „Pampalo, pampalo, sesesei“ ansetzt, dann laufen die Schafe mit ihrer markanten schwarzen Pigmentierung um die Augen, die ihnen den Namen Brillenschaf verpasst hat, und ihren schwarzgefärbten Ohren schnurstracks zu ihm.

Auch Reinhold Messner besitzt Brillenschafe



600 bis 700 gibt es von ihnen im Villnößtal. Eine Zahl, die durchaus erstaunlich ist. Denn eigentlich gilt das Brillenschaf – die älteste Schafrasse Südtirols ist eine Kreuzung aus Bergmaskenschaf und Paduaner Seidenschaf – als ausgestorben. Zuchtverbände sichern heute die Existenz des im 18. Jahrhundert entstandenen Tieres, als dessen Botschafter inzwischen Günther Pernthaler gilt. Bei Wanderungen mit Urlaubern oder auf Messen rührt er die Werbetrommel für die seltene Super-Schafrasse mit dem zarten, vergleichsweise fettarmen und milden Fleisch sowie der hochwertigen wärme- und feuchtigkeitsregulierenden Wolle. Und einen Passenderen hätte sich Villnöß für diesen PR-Job gar nicht wünschen können, verkörpert Pernthaler mit seinem Filzhut, den Schafwollsocken („Die trage ich jeden Tag – im Winter wie im Sommer“) und dem ergrauten Rauschebart doch Südtiroler Authentizität.
 Der 53-Jährige, Vater von vier Kindern, ist studierter Agrartechniker. Er leitet zunächst ein Lebensmittel-, dann ein Milchlabor. Mit 25 weiß er aber: „Das ist nicht meine Welt.“ Er wird Bergbauer, pachtet zwei Höfe und schafft sich „Maiers Paradies“. „Wer viel hat, hat viele Sorgen“, gibt er zu bedenken und blickt dabei über seinen eher ideellen Reichtum, der ihn zufrieden macht. Aktuell hat Pernthaler 50 Brillenschafe – darunter welche, die seinem langjährigen Freund, der Bergsteiger-Legende Reinhold Messner, gehören –, drei Rinder, zehn Schweine, 60 Truthähne, zehn Legehennen, drei Ziegen und 90 Bienenvölker. Pernthaler baut Obst und Gemüse in Permakultur an, neuerdings auch Wein. Mit den Reben auf 1350 Metern sei es wohl der höchste Weinberg Europas, sagt er über sein Versuchsprojekt. Sein Ziel: So autark wie nur möglich leben, und das im nachhaltigen Umgang mit der Natur.

Bauern waren stolz auf das Ergebnis ihrer harten Arbeit



Dafür braucht es freilich Ideen, dank derer aus dem fast vergessenen Brillenschaf inzwischen eine Marke geworden ist. Die kreativen Köpfe, die dahinter stecken, sind die Freunde Oskar Messner und Kurt Niederstätter, die mit ihrem Unternehmen „Furchetta“ Spezialitäten aus der Heimat verfeinern und bekannt machen wollen. Ihr Konzept geht auf: Das feinfaserige Lammfleisch wird mit ihrer Rezeptur zu Schinken, Salami, Kaminwurzen und Ragout verarbeitet und unter dem Label „Villnöß“ verkauft.

Als Oskar Messner (51) den heimischen Landwirten in seinem Lokal „Pitzock“ seinen Lammschinken mit Spargel als Beilage auftischte, „hatten einige Tränen in den Augen“, erinnert er sich an das zurückliegende und noch immer prägende Erlebnis: „Die Bauern waren zum ersten Mal mit einem veredelten Produkt ihrer harten Arbeit konfrontiert.“

Doch damit war es für den Koch und auch Botschafter Pernthaler nicht getan. Zwar wird seither das Fleisch der Brillenschafe geschätzt. Aber was ist mit der hochwertigen Wolle? „Vor sieben, acht Jahren haben wir die Wolle nach der Schur einfach weggeworfen“, macht Pernthaler die Verschwendung deutlich. Die Schur eines Schafes koste etwa 4,50 Euro. Der Wollmarkt habe diesen Preis aber nicht hergegeben, der lediglich 20 Cent pro Kilo zahlen wollte. Also landete die qualitativ beste Wolle der alpinen Schafrassen, darin sind sich die Villnösser Experten einig, im Müll.

„Wir wollten den Wert der Wolle spürbar machen“



„Wir wollten aber spürbar machen, welchen Wert die Wolle hat“, betont Oskar Messner. Bekannte Namen wie die Outdoor-Bekleidungsfirma Salewa und auch das Modeunternehmen Luis Trenker wurden auf die rührigen Villnösser aufmerksam und stiegen ins Geschäft ein: Beide verarbeiten Brillenschafwolle in ihren Produkten.

Einer der größten Schafwoll-Fans ist sicherlich Valentin Niederwolfsgruber (54). In seinem „Naturwoll“-Betrieb in Villnöß mit seinen jahrhundertealten Maschinen, den er 1998 von seinem Vater übernommen hat, gibt es Socken, handgehäkelte Mützen, Bettdecken, Kopfkissen, Pantoffeln, Handschuhe, Baby-Schuhe und Seifen – alles vom heimischen Schaf. Wenn es um die heilende Wirkung der Naturprodukte geht, untermauert Valentin Niederwolfsgruber diese gerne mit einer Anekdote: Ein Freund binde sich immer, wenn er mit Halskratzen eine beginnende Erkältung verspürt, die handgestrickten Schafwollsocken um. „Das hilft“, betont der Woll-Experte. „Der schwört darauf.“ Kein Wunder – bei Super-Schafen.


INFORMATIONEN

Das Villnößtal liegt in den Dolomiten. Prominentester Bürger ist die Bergsteiger-Legende Reinhold Messner (80), der in St. Peter aufwuchs. Das Tal ist die erste Slow-Food-Travel-Destination in Südtirol; ihr Fokus liegt auf der bäuerlichen Kultur und der Nachhaltigkeit durch die Lebensart der Einheimischen.

ÜBERNACHTEN

Hotel Tyrol in St. Magdalena; www.tyrol-hotel.eu

ESSENTraditionelle Gerichte, aber neu interpretiert, gibt es bei Koch Oskar Messner im Restaurant „Pitzock“ in Villnöß; Info: www.pitzock.com.

WOLLE VOM FEINSTEN

Valentin Niederwolfsgruber verarbeitet im Betrieb „Naturwoll“ in Villnöß Schafwolle zu Naturprodukten; weitere Infos unter www.naturwoll.com.

www.villnöss.com


Redakteurin Isabel Metzger recherchierte mit Unterstützung von IDM Südtirol.

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