Spanien
Der Tag, an dem El Rocío erwacht

Immer am 26. Juni wird La Saca de las Yeguas gefeiert. Dann werden mehr als 1000 Pferde durch das kleine Dorf getrieben.

30.05.2016 | Stand 16.09.2023, 6:45 Uhr
Heidi Siefert
Etwa 1300 Stuten und Fohlen rennen durch das sonst menschenleere Dorf. Dazwischen die stolzen Reiter mit ihren langen Chiavatas, den Stöcken, mit denen sie die Herde dirigieren. −Foto: Fotos: Siefert

Es ist heiß, Staub juckt in den Augen, knirscht zwischen den Zähnen. Bei Almonte in der andalusischen Huelva hat sich ein besonderer Treck im hitzeflirrenden Pinienwäldchen zur Siesta niedergelassen: Männer mit flachen Hüten und Halstüchern. Großfamilien, die an langen Tafeln beieinandersitzen. Pickups, Kutschen, Traktoren und viele, viele Pferde. Es ist la Saca de las Yeguas, der Austrieb der Stuten, bei dem die wilden Pferde der Doñana zusammengetrieben, registriert und präsentiert werden. Ein archaisches Spektakel, das seit 1504 jedes Jahr am 26. Juni gefeiert wird.

Die Doñana ist Europas größtes ökologisches Reservat. Zwischen Meer und Wald, Marschland und Wanderdünen finden unzählige Tiere ideale Lebensbedingungen: Kaiseradler, Ibe-rische Luchse und die einheimische Pferderasse der Marismenos gehören dazu. Kleine, elegante, aber auch sehr robuste Pferde, die in den Weiten des knapp 54 Hektar großen Weltnaturerbe-Gebietes ideale Lebensbedingungen vorfinden. Unter anderem deshalb, weil es dort kaum Menschen gibt. Wandern oder Mountainbiken ist viel zu beschwerlich. Gängiges Fortbewegungsmittel sind die froschgrünen Busse der Nationalparkverwaltung, die in streng limitierter Zahl in den Park starten.

Wie in einem Westernfilm

Als nach wenigen Metern eine Wildschweinfamilie den Weg kreuzt, wird ihr Auftauchen noch aufgeregt kommentiert. Schon bald nimmt man sie nur noch beiläufig wahr. Viel zu viel gibt es unterwegs zu sehen: Hirsche, Rinder mit gewaltigen Hörnern, die Schatten im Gebüsch suchen, und elegante Rehe, die auf langen Beinen über das von der Hitze aufgerissene Marschland staksen. Und immer wieder Gruppen von Marismenos.

Durch die offenen Busfenster duftet es nach Pinien. Wenn im Herbst ihre Kerne geerntet werden, schlafen die Piniensammler in kleinen, Stroh gedeckten Hütten. Diese Nacht werden hier die Cowboys schlafen, die im Morgengrauen ihre Pferde zur Saca de las Yeguas treiben.

Einer davon ist Gregorio Moraver. Schlank, groß, schwarzes Haar über sonnengebräuntem Gesicht. Sein Vater Christobal gehörte 1982 zu den Gründern der Vereinigung zum Erhalt der Pferderasse. Seit 13 Jahren ist Gregorio Präsident der Nacional de Criadores de Ganado Marismeno. Neun Pferde hat er. Sechs davon weiden das ganze Jahr in der Doñana. Ziel sei es, die Zahl der Marismenos auf 4000 zu steigern und so die Rasse zu erhalten. „1800 gibt es derzeit“, sagt Georgio Maraver, während er einem seiner Pferde das cremefarbene Fell krault. Sicherheitshalber habe man Sperma eingefroren, doch die extrem fruchtbare Rasse vermehre sich auch ohne menschliches Zutun. Man ist zuversichtlich, dass die Marismenos der Doñana eine Zukunft haben.

Früh am Morgen des 26. Juni fährt auch wieder ein froschgrüner Bus in die Doñana. Glutrot erhebt sich der Sonnenball. Flamingos stehen im Wasser. El Rocío mit seiner Zuckerbäcker-Kirche liegt wie ausgestorben da. Die staubigen Straßen erinnern an Westernfilme. In wenigen Stunden werden hier tausende Schaulustiger die Pferde auf dem Weg zum Segen bei der Wallfahrtskirche bewundern.

Ein Pferd zur Geburt

Im Park haben die Reiter ihre erste Etappe schon hinter sich. Überall gibt es Koppeln, in denen Mensch und Tier pausieren. Während die Pferde getränkt werden und Grasbüschel rup-fen, sitzen die Männer beim Frühstück. In gusseisernen Pfannen werden Spiegeleier und Kartoffeln gebraten. Es duftet nach Kaffee. Während sich die einen noch stärken, packen die anderen Töpfe und Pfannen, später auch Tische und Stühle zu den zusammengerollten Matratzen auf Planwagen. Für die Traktoren und Maultiergespanne sind die alten Männer zu-ständig, denen der lange Ritt zu beschwerlich ist.

Plötzlich kommt Bewegung in die Herde. Die Koppeln werden geöffnet und mit ruhigen aber bestimmten „Oj-Oj“-Rufen dirigieren die Reiter die Wildpferde. Landwirte sind die wenigsten. So wie Gregorio Maraver, der hauptberuflich Physiotherapeut ist. Die Marismenos sind ihre Leidenschaft. „Bei uns ist es Tradition, zur Geburt ein eingerittenes Pferd zu bekommen“, erklärt der Präsident und dass er selber gerade dabei sei, seiner Nichte eines vorzubereiten. Bei den Saca de las Yeguas saß er als Siebenjähriger erstmals im Sattel. „Bei uns ist Reiten Männersache“, erklären die Cowboys – und tatsächlich sind nur wenige Frauen dabei, wenn die Herde über das weite Grasland nach El Rocío getrieben wird. Traditionell bereiten sie das große Festessen im Wald vor.

In El Rocío herrscht inzwischen reges Treiben. Dicht gesäumt sind Straßen und Kirchplatz. Polizisten auf Motorrädern machen den Weg frei. Dann kommen die Pferde. Etwa 1300 Stuten und Fohlen rennen durch das sonst menschenleere Dorf. Dazwischen die stolzen Reiter mit ihren langen Chiavatas, den Stöcken, mit denen sie die Herde dirigieren.

Kleinkinder werden den Männern gereicht. Ab jetzt sitzen Mädchen und Buben beim Papa im Sattel. Beim Segen vor der Wallfahrtskirche der Jungfrau Blanca Paloma sind sie hautnah dabei. So, wie viele Stunden später, wenn sich der Tross nach der großen Hitze wieder aufmacht, um vom mittäglichen Lager auf einer letzten kurzen Etappe sein endgültiges Ziel zu erreichen: den großen Fohlenmarkt, der mehrere Tage lang mit einer Fiesta gefeiert wird.