Schwandorf und Amberg
Betroffene schildert Kampf gegen Essstörung – Caritas Suchtambulanz hilft

10.11.2022 | Stand 15.09.2023, 2:59 Uhr
Essstörungen in der Bevölkerung nehmen zu – und bringen große Gefahren mit sich. −Foto: Symbolbild: Monique Wüstenhagen, dpa

In Amberg und Schwandorf nimmt die Zahl der Essstörungs-Fälle seit der Pandemie zu. Suchtberater Johannes Karl gibt Einblick in die Ursachen. Eine Betroffene schildert ihre Erfahrungen im Kampf gegen die psychische Krankheit.

Eine Essstörung ist die psychische Krankheit mit der höchsten Sterberate vor allem bei Jugendlichen. Das stellt Johannes Karl, psychologischer Suchtberater der Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme in Amberg, fest. Und auch in der Region erkranken mehr Menschen daran. Die Ursachen sind vielfältig.

Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen hätten die Zahlen von Betroffenen einer Essstörung zugenommen. Laut eines Berichts der DAK sei die Krankheit im Zeitraum von 2019 bis 2021 bundesweit bei Mädchen von 15 bis 17 Jahren um 54 Prozent angestiegen, bei gleichaltrigen Jungen gab es dagegen einen leichten Rückgang. Bei noch jüngeren Mädchen habe sich die Zahl der Betroffenen ebenfalls um 33 Prozent erhöht. Auch in der Suchthilfe in Amberg zeigt sich nach Aussage von Karl eine Zunahme der Klienten mit einer Essstörung. „Seit der Pandemie ist ein vermehrter Anstieg zu sehen“, sagt Johannes Karl.

Lockdown löste Angst vor Kontrollverlust aus

Grund hierfür waren laut des Suchtberaters zum einen die Lockdown-Beschränkungen. Betroffene hätten bei dieser Krankheit oft Angst vor einem Kontrollverlust. Gerade zu Beginn der Pandemie, als Unsicherheit zum Alltag dazugehörte, hätten Betroffene durch exzessive Kontrolle ihres Essverhaltens ein Stück weit Sicherheit zurückgewinnen wollen.

Bei dieser psychischen Erkrankung, die unter anderem stark von psychischem Stress und negativen Emotionen geprägt sei, komme es in solchen Ausnahmezuständen wie der Pandemie nicht selten zu unangemessenen Bewältigungsstrategien. Als Folge könnten die drei Hauptformen von Essstörungen, Magersucht (Anorexie), Ess-Brechsucht (Bulimie) und die Binge-Eating-Störung, die sich durch Heißhunger und Essanfälle bemerkbar mache, auftreten. „Die Essstörung ist ein Ausdruck dafür, Kontrolle durch Selbstwirksamkeit zu erlangen“, sagt Karl.

„Ideale“ im Netz blenden

Ein weiterer Grund seien die sozialen Medien und die dort suggerierten Schönheitsideale. Mit den Corona-Einschränkungen habe der Konsum sozialer Medien und somit die Konfrontation mit diesen vermeintlich erstrebenswerten Körperformen zugenommen. Der Abgleich mit der Realität sei durch das „zu Hause sitzen“ weggefallen.

Ein verändertes Verhalten und Aussehen konnten zudem beispielsweise wegen des häuslichen Unterrichts nach außen hin nicht auffallen. „Eltern sind da häufig zu nah dran“, so Karl. Eine Therapie ist laut des Suchtberaters sehr sinnvoll. „Je früher, desto besser“, sagt er. Die Suchtberatungseinrichtungen der Caritas würden eine erste Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige und andere Personen bieten. Dort könne man sich jederzeit kostenlos informieren. Zudem sei die Suchtambulanz auch in den Bereichen Beratung, Begleitung und Vermittlung tätig. Da nach Aussage von Karl für ambulante Psychotherapien sehr lange Wartezeiten herrschten, helfen die Beratungsstellen, diese Zeit zu überbrücken.

Nathalie Lochner schildert ihre Erfahrung mit der Essstörung in einem Bericht

Wie geht es Betroffenen mit der Krankheit? Nathalie Lochner schildert das. Sie wohnt in Kemnath und hat im Oktober eine Ausbildung zur Buchhändlerin begonnen. Die 25-Jährige hat für die Caritas einen Erfahrungsbericht mit dem Titel „Von der Essstörung zurück ins Leben“ verfasst. Darin schildert sie, wie es zu ihrer Essstörung kam, wie die Krankheit ihren Alltag beeinflusste und wie sie es letztendlich mit Hilfe der Suchtberatung geschafft hat, die Essstörung hinter sich zu lassen.

Wie Lochner im Gespräch mit der Mittelbayerischen berichtet, habe sie schon immer psychische Probleme gehabt. Ihre Beziehung habe ihr jedoch geholfen, die Symptome zu verdrängen. Im Oktober 2019 entwickelte sich aus den psychischen Problemen eine Essstörung, nachdem die Partnerschaft, die ihr bis dahin immer Halt gegeben habe, endete. „Ich begann Kalorien zu zählen, Lebensmittel in die Kategorien ‚gesund’ und ‚verboten’ einzuteilen und viel Sport zu treiben. Es lief gut und ich verlor immer mehr an Gewicht. Zumindest sagte mir das die Waage, denn komischerweise sah ich es noch immer nicht an mir selbst“, schreibt sie in ihrem Bericht.

Abnehmen bis der Körper sich wehrt

Ihr „Abnehmwahn“ habe sich so lange durchgezogen, bis ihr Körper an dem Punkt gewesen sei, nicht mehr weiter abnehmen zu wollen. „Ich versuchte es immer mehr, aß immer strenger, immer kontrollierter. Verzichtete auf immer mehr Lebensmittel, machte immer mehr Sport. So lange, bis sich mein Körper zurückholte, was ich ihm so lange verwehrt hatte“, so Lochner. Von da an habe sie begonnen, immer mehr zu essen. Ihr Heißhunger führte zu, wie sie schreibt, „Fressanfällen“, die darin endeten, dass sie sich übergab. „Jede Woche wurde es schlimmer. Aus zwei bis drei Anfällen in der Woche wurden fünf am Tag. Und das war die Zeit, in der ich es körperlich und nicht mehr nur psychisch gemerkt habe, dass etwas nicht stimmte“, heißt es in ihrem Bericht.

Ihre Oma habe sie eines Tages auf ihren Zustand angesprochen. Daraufhin habe sie sich Hilfe bei der Suchtberatung geholt. Nathalie Lochner erzählt, dass sie sich dabei geschämt habe, weil Personen mit psychischen Problemen oft als, wie sie sagt, „gestört“ oder „verrückt“ abgestempelt werden. „Zudem war ich mir unsicher, ob es mir schlecht genug geht. Ich hatte immer den Gedanken: ‚Es gibt Leute, denen geht es schlechter als mir’“, sagt sie.

Aufgrund ihres schlimmen Zustands wurde sie zu Beginn der Behandlung für dreieinhalb Wochen in einer Akutklinik untergebracht. Danach habe sich ein sechswöchiger Aufenthalt in einer Spezialklinik angeschlossen. „Die ersten drei Wochen waren sehr hart. Der Weg aus der Krankheit ist nicht leicht, aber durch die Aufarbeitung wird es leichter“, sagt die 25-Jährige. „Ich bin unendlich dankbar für die Pfleger und Betreuer, die mich in dieser Zeit begleitet haben. Ich erinnere mich immer daran, wo ich angefangen habe und wo ich jetzt bin“, sagt Lochner.

Eine Arbeit, die Früchte trägt

Durch ihre Behandlung habe sie gelernt, mit anderen Personen offen über ihre Essstörung zu sprechen. Zudem wisse sie jetzt, dass sie sich jederzeit Hilfe suchen könne und sie nicht alleine mit der Krankheit fertig werden müsse.

Mit ihrem Erfahrungsbericht möchte sie über die Essstörung aufklären. Vor allem möchte sie nach eigener Aussage erreichen, dass es zur Normalität wird, offen über das psychische Befinden zu sprechen. „Man denkt immer, man ist die einzige Person, der es so geht. Aber es kann jeden treffen. Auch das Mädchen von nebenan kann Probleme haben, selbst wenn es nicht danach aussieht“, sagt Lochner.

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Sie selbst habe vorher nicht gewusst, dass es die Suchtambulanz gibt und dass auch Betroffene einer Essstörung das Hilfsangebot nutzen können. Auch jetzt gehe sie immer noch gerne und regelmäßig zur Beratung. Das gebe ihr Sicherheit und es tue ihr gut, mit jemanden reden zu können. „Ich bin froh und dankbar über diese Möglichkeit“, sagt Lochner, die ihren Erfahrungsbericht mit den Worten „Ein glückliches Leben ist so viel mehr Wert als eine Größe 34“ beendet.

Hilfe und Beratung

Einrichtungen:Caritas Fachambulanzen für Suchtprobleme gibt es in Amberg, Schwandorf, Weiden, Tirschenreuth und Cham.

Info-Nummer:Das Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist täglich unter (0221)892031 zu erreichen. Dort kann sich jeder bei Fragen zum Thema Essstörung melden.