MZ-Kantine
Mit „Carbonara“ gelang ihm ein Ohrwurm

Die Weltkarriere mit Nina Hagen und Band hat er verpasst, aber seine Mitte hat er gefunden: Bernhard „Potsch“ Potschka.

08.08.2018 | Stand 16.09.2023, 5:58 Uhr
Alois C. Braun

„Potsch“ Potschka hat Musikgeschichte geschrieben – mittlerweile lässt es der Würzburger aber ruhiger angehen. Foto: Felix Groteloh

Bernhard „Potsch“ Potschka hat als Gitarrist und Komponist deutsche Musikgeschichte geschrieben. Mit der Lokomotive Kreuzberg spielte er erfolgreich Politrocktheater und schuf mit der ersten LP der Nina Hagen Band eines der bis heute bedeutendsten Alben der deutschen Rockgeschichte. Anschließend war er mit Spliff und Hits wie „Carbonara“, „Das Blech“ oder „Deja Vu“ aus den Charts nicht mehr wegzudenken.

Ein Biergarten. Ein langes Gespräch. Und die Erkenntnis: Dieser Mann hat seine Mitte gefunden! Potschka strahlt Ruhe aus, spricht überlegt und, auch wenn die negativen Erlebnisse seiner Karriere zur Sprache kommen, ist kein Groll zu spüren. Ohne jegliche Verbitterung erzählt er etwa über die verpasste Weltkarriere mit der Nina Hagen Band.

Potschka hat acht Geschwister, vier Schwestern und vier Brüder. „Meine Mutter war Konzertpianistin und mein Vater, ein Arzt, spielte Gitarre“, blickt er zurück auf musikalische Wurzeln in der Familie. „Sehr früh haben wir Hausmusik gemacht, zusammen gesungen. Das ist die bestmögliche Ausbildung.“ Aufgewachsen in Würzburg, zog es ihn nach dem Fachabitur 1973 nach Berlin. Dort wollte er Cello studieren. „In Berlin war es möglich, neben dem Studium das Vollabitur zu machen“, erklärt der 66-Jährige seinen Ortswechsel. Seit seinem 16 Lebensjahr spielte er jedoch auch Gitarre. „Ab diesem Zeitpunkt war in meinem Leben manch anderes unwichtiger geworden. Hatte ich zuvor ausschließlich Klassik gehört, war ich nun fasziniert von Rock und Beat“, lacht er. „Pozzokko“ hieß eine erfolgreiche Band, der er vier Jahre angehörte. „Wir waren eine Undergroundband und bis nach Frankfurt bekannt. Zusätzlich holten wir uns immer Musiker dazu, von denen wir lernen und uns weiterentwickeln konnten. Das hat uns qualitativ unheimlich weitergebracht.“ Seine Erwartungen an die Musiker in Berlin wurden dann enttäuscht. „Ich dachte, in der Großstadt gibt es jede Menge Leute, von denen ich lernen kann. Aber es war eher umgekehrt. Das frustrierte mich, deshalb spielte ich zunächst in keinen Bands mehr.“

Mit Spliff zum Erfolg

Nach knapp einem Dreivierteljahr wurde er Mitglied der damals angesagten Politrockband Lokomotive Kreuzberg. „Neben ,Floh De Cologne’ waren wir die Erfolgreichsten auf diesem Gebiet. Gingen die Leute zu den ,Flöhen‘ wegen der Texte, kamen sie zu uns, wegen der Musik.“ Die Band paarte Musik mit Theater und war in halb Europa auf Tour. „Wir wurden auch oft ins Fernsehen eingeladen, aber unsere Beiträge wurden ob der politischen Aussagen letztendlich immer herausgeschnitten“, sagt er zur Karriere der Band. Die „Lok“ löste sich Ende 1977 auf, untermauerte mit zehn ausverkauften Konzerten in Berlin aber eindrücklich ihren Status. Schon vorher hatte Potschka Nina Hagen über Klaus Renft kennengelernt. „Klaus suchte damals einen Komponisten und als mir Nina den Text von ,Naturträne‘ vortrug, wusste ich: Das ist es.“

Mit Herwig Mitteregger und Manfred Praeker hatte er bereits bei der „Lok“ gespielt. Nun kam noch Reinhold Heil dazu und fertig war die Nina Hagen Band. „Mit Reinhold verbindet mich die größte Musikerliebe meines Lebens. Da passte musikalisch von Anfang alles perfekt, wir haben sogar zweistimmige Soli improvisiert“, erzählt der verheiratete Vater von zwei erwachsenen Töchtern.

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Die Qualität der Musik war es auch, die das erste Album von Nina Hagen zu solch einem Erfolg machte. Das sorgte weltweit für Aufsehen. „Sogar Frank Zappa wurde auf uns aufmerksam. Wir trafen ihn in der Münchner Olympiahalle, denn er wollte mit uns eine USA-Tournee machen.“ Doch es kam anders. Potschka: „Nina begann plötzlich alles zu glauben, was über sie geschrieben wurde. Sie entwickelte sich zur Diva, forderte die Hälfte aller Einnahmen.“ Die Band zerbrach, mit der zweiten Platte „Unbehagen“ wurde nur noch ein Vertrag erfüllt. Da die Musiker Potschka, Heil, Mitteregger und Praeker damals schon am Konzept des Albums „Spliff Radio Show“, einer satirischen Betrachtung des Rockbusiness, arbeiteten, gestaltete sich der Übergang zu Spliff fließend. Diese englisch gesungene Platte wurde international erfolgreich, das Quartett spielte auch in England. Spätestens mit den Alben „85555“, „Herzlichen Glückwunsch!“ und „Schwarz auf weiß“ wurde die Band dann erfolgreicher als Nina Hagen.

Nach dem Ende von Spliff zog es „Potsch“ 1986 nach Spanien. „Die ersten beiden Jahre war ich noch jeweils etwa sechs Monate in Deutschland zum Arbeiten, aber ab 1988 wollte ich dann einfach aussteigen“, erinnert sich der Musiker, der auch einmal Sportlehrer als Beruf in Betracht zog. „Ich war 14 Jahre lang meiner Karriere hinterhergehechelt und musste raus in die Einsamkeit.“ Anfang der 90er Jahre begann er mit Flamencomusikern zu arbeiten, verinnerlichte diesen Musikstil. Mehrere hochklassige Alben, auch mit arabischen Einflüssen, zeigen ihn als erstklassigen Gitarristen.

Speckgürtel statt Kreuzberg

Als 1990 seine Familie zerbrach, zog es ihn zurück nach Berlin: „Ich hätte nie gedacht, dass meine Familie einmal auseinanderfliegt. Doch plötzlich saß ich allein mit zwei Kindern in der Einsamkeit.“ Im Jahr 1996 veröffentlichte er dann das Album „The Journey“. „Die Arbeit an dieser Musik war wie eine Therapie für mich“, sagt er dazu. Eine Therapie, aus der wohl auch seine Gelassenheit resultiert. Über 70000 Einheiten wurden bis heute verkauft. Seit 2015 spielt er auch wieder Rockmusik. „Die Platte ,Potschka in Rock‘ ist das Härteste, das ich je gemacht habe“, sagt er. 2018 folge mit „Potschka spielt Spliff“ eine teils radikale Neubearbeitung von bekannten Songs der Band. Insgesamt lässt es der passionierte Gartler inzwischen ruhiger angehen. „Ich wohne in Berlin im Speckgürtel, mitten in der Natur. Dort habe ich 1000 Quadratmeter Garten. Wenn ich die Zeitung aus dem Briefkasten hole, dann riecht es nach Wald und ich bin trotzdem in 30 Minuten am Ku’damm,“ erzählt er. Und auch nach Würzburg kommt immer noch mehrmals im Jahr, besucht Familie und Freunde. Wohl auch ein Grund, warum sein fränkischer Dialekt immer noch deutlich zu identifizieren ist.

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