Geschichte
Als die Bomben Chams Bahnhof trafen

Britische Bomber zerstörten im April 1945 das gesamte Areal. 63 Menschen starben. Nun wurden die Ereignisse rekonstruiert.

11.08.2021 | Stand 16.09.2023, 1:20 Uhr
Holder Hierl
Das Chamer Bahnhofsareal nach dem Bombenangriff vom 18. April 1945 −Foto: Stadtarchiv Cham/Stadtarchiv Cham

Ein Schwerpunkt der historischen Führung von Stadtarchivar Timo Bullemer zum Kriegsende vor 75 Jahren ist der Bombenangriff britischer Flugzeuge auf das Gebiet rund um den Bahnhof am 18. April 1945. Dieser Angriff hatte sich schon ein paar Tage vorher angekündigt, wie Bullemer recherchiert hat und den interessierten Gästen erzählte.

Was wenige wissen, ist, dass in der ehemaligen Weißbierbrauerei Höchstetter am Meranweg ab 1940 französische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit untergebracht waren. Sie hätten sich am Tag relativ frei in der Stadt bewegen können, nachts wurden sie aber eingesperrt. Einer von ihnen warnte den Brauereibesitzer am Vortag des Bombenangriffs, wie er in seinem Tagebuch vermerkte, und sagte: „Chef, heute Nacht musst du in den Keller.“

Bullemer vermutet, dass die Menschen mitbekommen hatten, dass am Vortag unter anderen der Bahnhof in Schwandorf bombardiert worden war. Dadurch konnten viele Züge aus Richtung Furth nicht weiterfahren und mussten in Cham am Güterbahnhof zwischenparken, so dass sich hier eine ganze Reihe von ihnen staute. Damals gab es eine große Gefahr durch Tiefflieger, da Cham keine Luftabwehr und keine Truppen hatte. Die stehenden Züge, darunter ein besonderer mit SS-Truppen, Geschützen und Munition, der von Pilsen aus in Sicherheit gebracht werden sollte und nun ebenfalls in Cham hängenblieb, waren also ein lohnendes Ziel.

Nur einer von vielen Angriffen

Die Alliierten flogen ihre Angriffe aber nicht wegen dieses einen Zuges, das Ziel ihrer Bomben waren Bahnanlagen und Industriegebiete, um so die Infrastruktur empfindlich zu schwächen und vor allem Truppenbewegungen per Bahn zu verhindern. So hatten britische Kundschafter schon im Dezember 1944 die Bahnhofsgegend und die Betriebe in der Frühlingstraße sowie den Militärflughafen in Michelsdorf in Luftbildern als Zielpunkte von Luftangriffen festgehalten. Diese Entwicklungen in der Region hatte natürlich auch die Chamer Bevölkerung mitbekommen, viele versuchten, bei Verwandten auf dem Land unterzukommen.

Der Bombenangriff auf Cham am 18. April 1945 sei nur einer von vielen in dieser Nacht gewesen, wusste Bullemer. Die Amerikaner seien von Bogen und Thüringen aus zur tschechischen Grenze vorgerückt und im Vorfeld wurden die Bahnhöfe, Gleise und Brücken in dem Gebiet zerstört. Am 16. April fiel der Bahnhof von Regensburg den Bomben zum Opfer, am 17. der von Schwandorf, am 18. April folgten Cham, Straubing und Passau. Cham war dabei keineswegs unwichtig, denn damals gab es noch eine Zugstrecke nach Straubing, über die ausgewichen werden konnte, wenn die Strecke über Schwandorf unpassierbar war. Und diese Ziele wurden beim Bombenangriff in der Nacht des 18. April zerstört.

ToteNamensgeber
Bei dem Angriff kamen 63 Chamer, Soldaten und Ausländer ums Leben. Besonders tragisch war der Tod einer Schülergruppe aus dem Banat, die mit ihrem Lehrer Ludwig Schwan vor den heranrückenden russischen Truppen über Ungarn und Tschechien geflohen waren, um nicht noch im Volkssturm verheizt zu werden, und im Chamer Bahnhofsviertel Unterschlupf gefunden hatten. Der Lehrer und fünf Schüler wurden Opfer der Bomben.2015 wurde daher der Bahnhofsplatz in Ludwig-Schwan-Platz umbenannt. (chi)

Bullemer zeigte Bilder des Bahnhofgeländes mit den ausgebrannten Zügen am einstigen Güterbahnhof und ein Luftbild mit den ganzen Bombenkratern rund um Bahnhof, Frühlingstraße und auch auf den südlichen Regenwiesen. Der Stadtarchivar argumentierte gegen Meinungen, die sagen, dass die Bomben eigentlich dem Stadtkern gegolten hatten, aber die Zielmarken durch den starken Ostwind abgetrieben worden seien. Seiner Meinung nach machten die Zielfotos der Briten, aber auch die Auswertung des Angriffs durch die Briten deutlich, dass sehr wohl die Bahnanlagen und die Betriebe daneben das Ziel waren. Außerdem sei der Angriff über den Katzberg erfolgt, hätte man die Stadt treffen wollen, wäre man von Süden angeflogen.

317 Tonnen Sprengsätze

Zwischen drei und vier Uhr in der Früh luden die Bomber ihre Last über Cham ab, 317 Tonnen Sprengsätze fielen innerhalb weniger Minuten auf die westliche Stadt. Darunter auch solche mit Zeitzünder, die sich bis zu drei Tage nach dem Abwurf selbst zünden hätten können.

Diese perfide Gefahr diente dazu, Reparaturarbeiten an den Gleisen eine Zeit lang zu verhindern. Viele Geschosse zündeten nicht und lagen oder liegen als Blindgänger im Boden Cham-Wests.

Zwei Männer verhinderten Beschuss Chams

Am 23. April 1945 rückten die Amerikaner in Cham ein. Stadtarchivar Timo Bullemer erzählte die Geschichte am Sonntag bei einer Stadtführung zum Kriegsende. Zwei mutige Männer hatten dabei einen großen Anteil am friedlichen Ablauf.

Am Vormittag des 23. April war in Cham eine große Unruhe. Man wusste, dass die Amerikaner anrücken, aber es waren noch viele SSler in der Stadt. Doch die setzten sich noch vor 11 Uhr Richtung Straubing ab. Von Westen drangen das Dröhnen der Panzer und Gefechtslärm nach Cham, und über Untertraubenbach stieg eine Rauchsäule auf. Dort hatten Bewohner auf die anrückenden Soldaten geschossen, die darauf das halbe Dorf in Brand steckten. Auch die Wachsoldaten des Michelsdorfer Flughafens wollten das Gelände nicht kampflos räumen.

Angreifer starb im Hospital

Die Amis näherten sich Cham von Janahof her und kamen über den Steinmarkt zur Schanze. Gegenüber dem jetzigen cha13 war ein Haus, in dem ein Geistlicher im Ruhestand wohnte. Der ging den Soldaten mit einer weißen Fahne entgegen. Aber über der ehemaligen Metzgerei Luttner (Spielothek) hatte sich ein SSler verschanzt und warf eine Handgranate aus dem Fenster auf die amerikalischen Soldaten. Zwei von ihnen wurden verletzt, der Angreifer starb nach einem Bauchschuss später im Hospital. In der ehemaligen Präparandenschule (heute Elektro Vogel), war die Kreisleitung der NSDAP untergebracht. Ein paar Schritte weiter, heute Witt, eröffnete nach dem Krieg ein Ex- KZ-Häftling ein Café mit dem Namen „Café Viktoria“, Siegescafé.

Die Übergabe der Stadt erfolgte im Rathaus. Im 1. Stock war das Bürgermeisterzimmer. Dort marschierte ein gebürtiger Stuttgarter, Ernst Stockinger, der im Kaufhaus Frey wohnte, hinein, stellte sich vor als Mitglied des Widerstands und erklärte, dass der Bürgermeister abgesetzt sei. Der sagte, dass da die NSDAP-Kreisleitung zustimmen müsse, was den Mann nicht beeindruckte: „Die Kreisleitung ist ebenfalls abgesetzt.“ Darauf gingen beide zur Polizeistation gleich neben dem Rathaus, doch auch die Beamten widersetzten sich nicht der Amtsenthebung.

Stuttgarter als Bürgermeister

So eroberte der Widerständler nur mit klaren Worten den Rathaussessel. Er soll dann auch veranlasst haben, dass auf dem Turm von St. Jakob eine weiße Fahne gehisst wird, damit Cham nicht beschossen wird. Als die Amerikaner kurz drauf in der Stadt waren, erklärte Stockinger, er sei der Bürgermeister. Auch die Amis hatten nichts dagegen, und so leitete Stockinger die Amtsgeschäfte bis Ende Juni 1945.

Bullemer zeigte Bilder vom Marktplatz, der damals auch sehr belebt war, aber nur von Militärfahrzeugen und Soldaten der Amis. Alle Gebäude rund um den Platz waren beschlagnahmt worden für Wohnungen für die Soldaten oder KZ-Häftlinge, im Café Krone hatten die Offiziere ihr Casino. Die einstigen Bewohner waren eine ganze Zeit lang aus ihren Häusern vertrieben.

Bei der Fleischtorbrücke (Hof des Baloo) war eine Sammelstelle für Kriegsgefangene, ehe in Janahof, auf zwei feuchten Wiesen bei der Quadfeldmühle bzw. bei der heutigen Siemens, größere Lager eingerichtet wurden. Dort wurden auch russische und ungarische Gefangene interniert, die deutschen bekamen nicht einmal Zelte. Die Brücke sollte gesprengt werden, um die Amis zu hindern, in die Stadt zu kommen. Neben der Brücke hatte Ludwig Schierer senior sein Geschäft. Er entfernte er nachts die Zünder von den Sprengsätzen, so dass die Brücke heil blieb und die Stadt vor Beschuss bewahrt wurde. (chi)