Kultur
Erinnerungen ans Kriegsende vereinen

Katerina Kovacková präsentiert ihr Buch „Mai 1945 in der Tschechoslowakei“. Es erzählt von deutsch-tschechischem Miteinander.

03.05.2021 | Stand 16.09.2023, 3:13 Uhr
Monika Kammermeier
Rosa Kern (88) in der Schule in Altrohlau, die Protagonistin der Lesung von Katerina Kovackova −Foto: Monika Kammermeier

„Deutsche und tschechische Menschen haben viel mehr Gemeinsames als Trennendes“. Das hat Dr. phil. Katerina Kovacková anlässlich ihrer Vorstellung des 2020 im LIT Verlag erschienenen Buches „Mai 1945 in der Tschechoslowakei. Erinnerungen jenseits und diesseits der Grenze“ gesagt.

Ihre Präsentation fand bei einer Online-Veranstaltung mit dem Webkonferenzsystem BigBlueButton statt. Kovacková war aus Pilsen zugeschaltet. 62 Teilnehmer loggten sich ein. Veranstalter waren die Katholische Erwachsenenbildung Cham mit Geschäftsführer Michael Neuberger und das Institutum Bohemicum der Ackermann-Gemeinde. Neuberger half, sich technisch zurechtzufinden, und stellte die Referentin vor.

Zehn Geschichten vom Mai 1945

Das Buch erschien in Deutsch und Tschechisch. Es handelt sich um zehn Geschichten – Erzählungen von Zeugen der Zeit um Mai 1945, die sich an Ereignisse erinnern, die sich damals an unterschiedlichen Orten der Tschechoslowakei ereigneten. Die Zeitzeugen waren damals fünf und 15 Jahre alt. Geschichtliches Wissen, und dabei sei nicht das Daten-Auswendiglernen gemeint, sei die beste Prophylaxe gegen Populismus und Manipulation, sagte Kovacková. In ihrem Buch zeichnete sie Lebensbilder mit erzählender Geschichte.

Die Deutschen und die Tschechen hätten viel mehr Gemeinsamkeiten als das, was sie trenne, meinte Kovacková, zum Beispiel die Küche und den Humor. Vor 1989 sei das Deutsche in der Tschechoslowakei ein Tabuthema gewesen. Sie habe in einer kommunistischen Zeit als Kind gelebt, und da seien Deutsche kein Thema gewesen. Erst in ihrem Studium erkannte sie, was in ihrem Land passiert sei. Mehr als ein Drittel der Menschen seien verschwunden, weil sie deutscher Nationalität waren und in der Tschechoslowakei wohnten. Die Sprache sei unter Hitler und Stalin das Spaltende gewesen. So gab es die Deutsch-Böhmen, die Deutsch-Mähren und die Sudetendeutschen.

Kommunismus und Nationalsozialismus sorgten für viele Grausamkeiten

Tschechienhabe eine kommunistische Vergangenheit. Wenn man in Ruhe leben wollte und die Kinder studieren sollten, musste man in der kommunistischen Partei sein. So ähnlich sei das im Nationalsozialismus gewesen. Man habe sich durch Propaganda und Gehirnwäsche in die Irre führen lassen. Von Ort zu Ort sei die Willkür im Mai 1945 unterschiedlich gewesen, sagte Kovacková. Die Deutschen seien die erste Zeit wie vogelfrei gewesen.

ReferentinZeitzeuginGeschichte:
: Katerina Kovacková ist 1981 in Pilsen geboren. Sie ist Germanistin, Autorin und Kulturvermittlerin und studierte in Pilsen, Regensburg, Berlin und München. 2013 promovierte sie in der Neueren deutschen Literatur in München. Nach zwölf Jahren Deutschland lebt sie in Pilsen. 2019 erhielt sie den Brückenbauer-Preis. Veröffentlichungen: „Böhmisches. Allzu Böhmisches?“ (Aschendorff 2017); „Figuren des „Anderen“ in der deutsch-böhmischen Literatur“ (ROGEON 2015).: Die Referentin las aus ihrem Buch „Mai 1945 in der Tschechoslowakei“ die Geschichte der Zeitzeugin Rosa Kern. Diese ist heute 88 Jahre alt und war damals bei der Übersiedlung 13 Jahre.In ihrer Geschichte wird erzählt, dass die Eltern 1946 ihre Heimat verließen in dem Glauben, dass sie zurückkehren würden. Rosa Kern hatte keine schlechten Erinnerungen, weder an die Russen noch an die Tschechen.

Sie brachte das Beispiel des Films „Habermanns Mühle“, wo das Ende im Film verdreht worden sei. In Wirklichkeit wurde Habermann meuchlings von einem Schieberermordet. Dieser habe sich am Vermögen Habermanns bereichert. Später wurde der Schieber nicht verurteilt, weil damals, als die Sudetendeutschen vogelfrei waren, soviel Grauen geschah, dass die tschechische Regierung alle Täter dieses Zeitabschnitts amnestierte.

Buchstaben vermitteln einen Geschmack der Zeit

Kovacková las die Geschichte der Rosa Kern vor, die bei der Vertreibung 13 Jahre alt war. Die Erzählung im Buch ist sprachlich schlicht, im Duktus der jeweilsErzählendenund übermittelt die Atmosphäre, das Gefühl, den Geschmack der Zeit. Kovacková will sensibel machen für die Geschichte an sich und ein Bewusstsein schaffen, damit man gefeit sei gegen Manipulation, Indoktrinierung, Polarisierung und Populismus. Es gebe zwischen Schwarz und Weiß einen ganzen Regenbogen. Das Buch sei kein Geschichtsbuch.

Für die Ausreise musste man 1945 an die Tschechoslowakei zahlen. Erstaunlich viele Sudetendeutsche durften bleiben. Wer nach Bayern ausreisen durfte, in die amerikanische Zone, wähnte sich im großen Glück. Bayern nahm die meisten Flüchtlinge aus dem Ostgebiet auf. Jede vierte Familie habe hier böhmische Wurzeln, sagte Kovacková. Die meisten Zeitzeugen stammten aus Nord-West-Böhmen.

Die Geschichte von Rosa Kern

Auszug aus Kovackovás Lesung: „Rosa Kern, geboren 1933 bei Karlsbad in Nordwestböhmen, dem Egerland. Der Vater war Dachdecker, die Mutter arbeitete in der Porzellanfabrik. Sie hatte vier ältere Geschwister. Wegen der Arbeit kamen sie nach Altrohlau. Rosa sei ein lebhaftes und ungezogenes Kind gewesen. Der Vater war kriegsuntauglich und froh darüber, nicht in der NSDAP sein zu müssen.

Rosa ging in die Altrohlauer Grundschule bis 1944, danach kam Schulbesuch für Deutsche nicht mehr in Frage. Sie siedelten 1946 um. 36 Viehwagen waren es, pro Waggon 35/36 Leute. Für Rosa nicht tragisch. Rosa hatte keine schlechten Erinnerungen weder an die Russen noch an die Tschechen, wusste aber, dass Mädchen ins Lager gelockt wurden. Einmal wollten die Russen die Haustür mit dem Gewehrkolben einhauen, um an die jungen Mädchen zu kommen – die Tür hielt stand.“ Die Resonanz auf Kovackovás Vortrag und ihrer Lesung war überaus positiv.