Protest
Landwirte gehen auf die Straße

Aus dem Orga-Team Cham des LSV Bayern waren Franziska Aumer, Martina Rötzer, Jonas Vogl und Markus Simon live bei Demos.

23.02.2021 | Stand 16.09.2023, 4:16 Uhr
In Deggendorf machten Bauern mit ihren Kindern auf die existenzbedrohende Lage der Bauernhöfe aufmerksam. Stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (vorne r.) und Kultusminister Dr. Michael Piazolo (l.) hörten sich die Sorgen von Martina Rötzer (Mi.) aus dem Kreis Cham an. −Foto: Martina Rötzer/Martina Rötzer

Ungeachtet massiver Kritik aus der Landwirtschaft und den Bundesländern hat das Kabinett das „Insektenschutz-Paket“ an den Bauern vorbei beschlossen – trotz schon seit Wochen andauernder Demonstrationen in vielen Städten für mehr gemeinsame Gespräche und Kooperation.

Die Landwirte Jonas Vogl und Johannes Kastl aus Bad Kötzting nahmen den weiten Weg nach Berlin auf sich, um den Landkreis Cham gebührend zu vertreten. Beide waren trotz nass-kaltem Wetters „begeistert von der Demo und dem bewegenden Gemeinschaftsgefühl“. Zusätzlich sollte die erneute Aktion der Grünen Kreuze die Solidarität der heimischen Bauern mit der Berliner Demonstration zeigen und die Verbraucher sensibilisieren. Die Proteste in der Hauptstadt laufen seit Ende Januar. Täglich gibt es Traktorkorsos in Berlin-Mitte und Mahnwachen von vielen unterschiedlichen Bauernverbindungen.

„Wir helfen gerne der Natur“

„Den Bauern reicht es“, sagt Rötzer. „Wir helfen gerne der Natur“, erklärt Aumer. Es existierten bereits mehrere erfolgreiche Programme zum Thema Arten-, Umwelt- und Klimaschutz in Bayern (KULAP, VNP), welche seit Jahren stetig erweitert werden. Diese würden von den Landwirten sehr gut angenommen, Mehraufwand sowie Kosten seien bisher durch eine Förderung ausgeglichen worden, so profitierten Natur und Mensch. Dieser Ansatz des kooperativen Umweltschutzes funktioniere seit Jahren gut. Die Landwirte seien sich ihrer Verantwortung bewusst, und die Artenvielfalt sowie eine intakte Umwelt seien für die Landwirtschaft essenziell.

Das neue „Insektenschutz-Paket“ verzichte leider auf jegliche Kooperation in der Planung wie auch in der Ausführung und setze auf Zwang ohne Aufwandsentschädigung. „Die kostenintensiven Auflagen treiben Landwirte in der ohnehin schon prekären finanziellen Situation noch mehr in den Ruin“, so die protestierenden Bauern. Zudem seien viele Maßnahmen absolut praxisfremd, und es fehle die valide wissenschaftliche Grundlage“, kritisiert MdB Frank Sitta (FDP), was dazu führen werde, dass die ambitionierten Ziele nicht erreicht werden könnten.

„Gut gemeint, aber leider nicht gut gemacht“: Ein Beispiel hierfür sei auch das Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ Es sei mit den besten Absichten gestartet worden. Leider seien in der konkreten Umsetzung nicht die Praktiker miteinbezogen worden, welche die Maßnahmen umsetzen sollten und auch ihre Kompetenz anbieten könnten. Das habe im Endeffekt zu fachfremden und kontraproduktiven Ergebnissen geführt, welche weder Mensch, Natur noch Biene nützten. Das zeige, dass wichtige Entscheidungen gemeinsam getroffen werden müssten, mit allen Beteiligten, und vor allem mit den Menschen, deren tägliche Arbeit es betrifft.

Wie Martina Rötzer und Franziska Aumer informierten, waren einige LSV-Mitglieder aus dem Landkreis Cham auch in München beim Schlepperkorso sowie bei der Mahnwache vor der Staatskanzlei. Fünf Tage lang hätten Landwirte gegen das von der Bundesumweltministerin Svenja Schulze im Alleingang geplante Insektenschutz-Paket demonstriert.

„Landwirte aus dem gesamten Freistaat sind nach München gekommen. Die Mahnwache ist ein wichtiges politisches Zeichen“, sagt Aumer. „Es geht darum, auf die aktuelle Situation der Landwirte aufmerksam zu machen.“ Auch Rötzer erklärt, weshalb sie dabei ist: „Der Grund ist ganz einfach. Ich finde es wichtig, dass ein Land eine eigene Lebensmittelproduktion hat, denn wenn alles importiert werden muss, macht sich das Land abhängig und damit erpressbar. Ich habe fünf Kinder und würde mir wünschen, dass diese ebenso wie wir noch in ein paar Jahren hier erzeugte Nahrung essen können.“

Rötzer und Aumer erzählten über ein besonderes Erlebnis in München: „Das Highlight auf der Demo waren definitiv drei Kinder im Alter von zehn bis 13 Jahren, die bei uns vorbei- kamen. Sie fragten, ob wir gegen die Bauern protestieren, weil hier eine Frau Schulze den Bauern auf dem Plakat die Köpfe abhackt. ‚Nein, sagten wir, wir sind die Bauern, denen die Köpfe abgehackt werden. Wir demonstrieren, dass es die heimischen Landwirte auch in Zukunft noch gibt.‘ Die Kinder erzählten, dass sie viel ihrer Freizeit bei Bauern verbringen und die Zeit dort sehr genießen. ‚Wo sollen wir denn sonst unser Essen herbekommen?‘, fragte eins der Mädchen.“

„Ein paar Stunden später besuchten uns die Kinder erneut und schenkten uns ein selbstgemaltes Protestbild. Es war schön zu sehen, dass unsere Aktion bei unseren kleinen Verbrauchern auf so viel Interesse und Verständnis gestoßen ist. Sie hatten in kürzester Zeit verstanden, um was es hier geht und wie wichtig das Thema ist“, so die Chamer Mitstreiterinnen.

Unter dem Motto „Mit der Landwirtschaft stirbt auch das Ehrenamt“ war in Deggendorf beim Politischen Aschermittwoch der Freien Wähler eine Mahnwache angemeldet. Auch dort war der Landkreis Cham gut vertreten. Stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger und Kultusminister Dr. Michael Piazolo ließen es sich trotz des knappen Zeitplans nicht nehmen, mit den Landwirten und ihren Kindern samt Trettraktoren vor der Halle ins Gespräch zu kommen. „Die Begeisterung von Minister Aiwanger für die kleinen Bulldogs und die ungewöhnliche Demonstration war nicht zu übersehen“, berichten die Teilnehmer aus dem Landkreis Cham. Die überraschende Aktion und die Lage der Landwirte seien später auch ein Teil seiner Rede gewesen.

Viele Bürger haben die Demonstrationen begleitet und sich über die aktuelle Situation der Landwirte, das Insektenschutzpaket sowie das Höfesterben informiert, so die Chamer Vertreter. Diese Öffentlichkeitsarbeit sei wichtig, um dem Verbraucher den landwirtschaftlichen Alltag mit seinen Problemen näherzubringen. Die Landwirtschaft brauche den Rückhalt der Verbraucher, genauso wie der Verbraucher die heimische Landwirtschaft brauche. Diese sei wichtig, um eine regionale Produktion zu gewährleisten und so auch klima- und umweltschädliche Importe zu vermeiden.

Gemeinsam Zukunft gestalten

Die deutsche Landwirtschaft müsse zahlreiche Auflagen, seitens der EU sowie Deutschlands einhalten. Diese Auflagen seien wichtig, kosteten aber Zeit, Arbeit und Geld. Der Mehraufwand müsse sich künftig mehr im Preis widerspiegeln, sonst könne der deutsche Landwirt nicht auf dem globalen Markt mit umweltschädlichen Billigproduktionen aus dem Ausland konkurrieren.

Hier gilt es jetzt, gemeinsam die Zukunft der Landwirtschaft neu zu gestalten – weg von der „Geiz-ist-Geil Mentalität“, weg von gegenseitigen unsachlichen Anschuldigungen und Vorwürfen. Es werde Zeit, dass gemeinsam nach Lösungen und Gesprächen gesucht wird. Das gelte für Bürger, Politik, Handel und Landwirtschaft gleichermaßen. (rjm)