Todesmärsche
Nicht alle waren Täter

In Zusammenhang mit der Befreiung eines Todesmarsches bei Wetterfeld kamen auch deutsche Soldaten zu Tode, nicht alle gehörten zu den SS-Bewachern, manche waren ganz zufällig vor Ort.

03.05.2022 | Stand 12.10.2023, 10:32 Uhr
Markus Gruber
Gräber deutscher Soldaten vor dem Friedhof Pösing: Zeichnung von Ludwig Dieß aus dem Buch „Geschichte des Marktes Roding“ −Foto: Diess

Montag, 23. April 1945: Der Schicksalstag auch für Cham. Auf der „Ostmarkstraße“ stößt die 11. US-Panzerdivision rasant vor. Schon in Neunburg und Rötz entdecken die Amerikaner hunderte getötete und halbverhungerte KZ-Häftlinge, in Wetterfeld befreien sie schließlich die über 3000 Gefangenen eines Todesmarsches, den die SS aus dem KZ Flossenbürg noch hierher getrieben hatte.

Wer nicht mehr weiter konnte, wurde von den Wachen kurzerhand exekutiert, viele starben ausgemergelt an Erschöpfung. 600 Tote aller Nationen wurden hier in einem provisorischen Friedhof bestattet. In der örtlichen Überlieferung ist aber auch bekannt, dass im Raum Pösing eine Anzahl deutscher Soldaten den Tod fand. Nachforschungen im Gemeindearchiv versprechen nun einige Unklarheiten zu beseitigen: Nicht alle der fast 60 toten Militärangehörigen fielen einfach der „Rache“ zum Opfer, wie manchmal zu lesen ist, andererseits gehörten auch nicht alle zum Kreis der SS-Verbrecher.

Ein Sammelsurium an Einheiten

Schon vor dem 23. April war ein Sammelsurium von Einheiten in Pösing einquartiert, die nichts mit dem Todesmarsch zu tun hatten: Beamte des Wehrbereichskommandos Nürnberg, gestrandete Soldaten der Fährenflak, die den Bombenangriff auf Schwandorf überlebt hatten, und ein Umschulungslehrgang von Marineoffizieren des Jahrgangs 1891. Einer von ihnen, Oberleutnant Manfred Sitz, war Musiker und spielte am Abend vor seinem Tod hingebungsvoll auf der Orgel in der Kirche.

Als sich die US-Panzer am Morgen näherten, ergriffen die Marineoffiziere die Flucht in Richtung Wetterfeld. Die Panzer schossen ihnen nach, vielleicht in der Meinung, es handele sich um SS-Männer, denn diese waren mit ihren Todeskandidaten nun ebenfalls hier. „Ich kann nicht mehr“, sollen die letzten Worte des 23-jährigen Sitz gewesen sein, wie sein Kamerad Postel in einem Brief berichtete. Er selbst konnte das zur Falle gewordene Gebüsch bei Wetterfeld verlassen und ergab sich. Etwa 15 Offiziere, darunter ein Fregattenkapitän, fanden so den Tod, einige noch in der Berggasse südlich von Wetterfeld, das gegen 11 Uhr ebenfalls beschossen wurde. Auch wenn es ein einseitiges Gemetzel war: Diese Männer fielen im Kampf, die Verwundeten wurden versorgt.

Anders erging es den SS-Männern, mit denen oft kurzer Prozess gemacht wurde. Zeitzeugen zufolge wurden sieben hinter einer Scheune erschossen, fünf fand man erschlagen in einem Keller. Ein Verwundeter erhielt einen Genickschuss, nachdem ihn ein Amerikaner noch versorgen wollte. Die Dienststellen der Toten, die zusammen mit den Marineleuten vor dem Pösinger Friedhof bestattet wurden, geben ein eindeutiges Bild: SS-Wachbataillon Sachsenhausen, Sturmbann Totenkopf K.L. Oranienburg, Stab Kommandantur K.L. Wache Flossenbürg. Die Briefe der Angehörigen an die Gemeinde Pösing offenbaren aber auch Privates: Im Zivilberuf waren die SS-Schützen, die teils jenseits der Fünfzig waren, etwa Uhrmacher, Sattler, Eisenbahner. Ein anderer war erst kurz zuvor zur SS versetzt worden, so entschuldigte ihn seine Witwe, was die Erkennungsmarke auch bestätigt.

Doch genau solche normalen Männer wurden zu Mördern. Die 14000 Häftlinge des Flossenbürger Marsches wurden von 115 SS-Männern bewacht, die von 462 „Volkssturmmännern“ unterstützt wurden: Unter dieser Kategorie liefen sogenannte Funktionshäftlinge („Kapos“), die im perfiden Lagersys-tem der SS eigene Macht hatten. Vielleicht wollten einige von ihnen nun durch Vergeltung ihre vorherige Rolle verschleiern. Sicher ist, dass einer dieser Kapos, ein Schlesier, 1955 vom Landgericht Regensburg zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, weil ihm die Beteiligung an einem tödlichen Raubüberfall bei Stamsried nachgewiesen wurde.

Einen weiteren Vorfall konnte Dr. Georg Klitta, dessen Nachlass im Schwandorfer Archiv liegt, minutiös rekonstruieren: In Wulfing ergaben sich 18 Soldaten aller Waffengattungen. Erst bewacht sie ein Amerikaner, dann ein junger Mann, der keine Häftlingskluft trägt, dafür eine Maschinenpistole hat. Auf der Straße nach Stamsried, bei Wetterbach, fallen Schüsse. An die zehn Deutsche sterben, weitere später im Lazarett Cham. Ein Leutnant, der Verwandte in Wulfing hat und erst am Vorabend angekommen war, kann flüchten. Auch diese Toten wurden in Pösing bestattet.

Ein Flüchtlingsfriedhof

Die Kriegsgräberfürsorge verzeichnet für Pösing auch Angehörige des Jagdgeschwaders „Richthofen“. Dessen 2. Gruppe war (ohne Flugzeuge) auf dem Rückmarsch und hatte in Untertraubenbach Quartier genommen. Auch hier kam es am 23. April zu einem Gefecht, bei dem drei Einwohner starben. Fraglich ist, ob das Schreibstubenpersonal des Geschwaders an der sinnlosen Verteidigung beteiligt war. Zu den Toten gehörte auch der Stabsgefreite Bolislaus Skowronski aus Dortmund, dessen Familie aus Polen ins Ruhrgebiet eingewandert war. Ein Brief des Pfar-rers Weiß dokumentiert, dass es auch hier zu Übergriffen kam. Insgesamt elf Soldaten wurden im „Flüchtlingsfriedhof“ Thierlstein bestattet und später nach Treuchtlingen umgebettet. Die 41 Toten vom Pösinger Friedhof kamen nach Hofkirchen. Mühsam gestaltete sich noch nach Jahren die Suche nach Einzelgräbern, die die Staatsanwaltschaft vornahm. Ein Fazit: Fast sechzig deutsche Militärangehörige fanden am 23. April in und um Pösing noch den Tod. Einige waren zuvor Täter gewesen, andere waren nur zufällig vor Ort.