Krankheit
Nico – ein schweres Kinderschicksal

Der Junge aus Roding leidet an der Mukopolysaccharidose oder auch Morbus Sanfilippo, ein unheilbarer Gendefekt. Betreuung rund um die Uhr ist nötig.

16.08.2013 | Stand 16.09.2023, 7:24 Uhr
Peter Nicklas

Peggy J. mit ihrem Sohn Nico: Sie hält seine Hand und ist immer für ihn da. Fotos: Nicklas

Nico ist hellwach, er sitzt im Rollstuhl. Doch er kann kaum stillsitzen, wirft sich immer wieder nach vorn, greift nach dem Stuhl daneben und schüttelt ihn. Seine Lippen wirken geschwollen, das strohblonde Haar kringelt sich in Locken. Seine Mutter Peggy sitzt neben ihm, streicht ihm liebevoll über den Kopf. Auf ihrem linken Unterarm hat sie den Namen ihres Sohnes eintätowiert. Wie lange sie ihn noch hat, das weiß weder sie noch wissen es seine Ärzte. Der Junge leidet an einer Krankheit, wie sie eines von rund 60.000 Kindern in Deutschland trifft. Sie wird als Mukopolysaccharidose bezeichnet oder auch Morbus Sanfilippo. Der Arzt Dr. Sanfilippo hatte sie mit einer Arbeitsgruppe erstmals 1963 beschrieben. Es handelt sich um einen unheilbaren Gendefekt.

Das Beste für den Sohn

„Der Körper baut die verbrauchten Zellen nicht mehr ab“, bringt Peggy J., die ihren vollständigen Namen und ihren Wohnort nicht genannt haben möchte, die Krankheit ihres Sohnes auf einen einfachen Nenner. Sie wirkt keinesfalls verhärmt oder wehleidig, sie tut das Beste für ihren Sohn und das ist keineswegs immer einfach.

Aus Halle an der Saale stammend hat sie in Westdeutschland geheiratet, ist aber jetzt geschieden und alleinerziehend. „Mein Mann ist mit dem Sohn nicht zurechtgekommen“, erzählt sie von ihrem Schicksal, nun hat sie auch noch ihre Arbeitsstelle verloren. Nicht, weil sie den Anforderungen nicht gewachsen war, die Krankheit ihres Sohnes hat sie zu oft über Gebühr in Anspruch genommen – und beides, sein Betreuung und die Arbeit, waren wohl nicht mehr vereinbar.

„Mein Sohn braucht 24 Stunden am Tag jemanden um sich“, berichtet Peggy J. Dies bestätigt auch das Kinderhospiz Sankt Nikolaus, in dem Nico erst vor kurzem wieder für 14 Tage in Behandlung war. „Nico ist in der zweiten Phase der Mukopolysaccharidose Typ III (MPS III), in seinem Verhalten zeigt er sich umtriebig, unruhig und hyperaktiv.“ Aus diesem Grunde benötige er auch über 24 Stunden am Tag eine intensive Begleitung und Aufsicht, um zu vermeiden, dass er sich oder Dritte gefährdet.

In diesem von Chefarzt Dr. Herterich unterzeichneten Gutachten heißt es weiter: „Er zerrt an allem, was in seiner Reichweite ist, steckt alles in den Mund und kaut darauf herum. Zudem ist sein Gang im Verlauf der letzten Monate deutlich unsicherer geworden, so dass man ihn nicht alleine laufen lassen kann, ohne einen Sturz oder darauf folgend eine Verletzung zu riskieren“.

Höchstens zwei Stunden Schlaf

„Nico schläft höchstens zwei Stunden, dann wacht er auf und ist wieder unruhig“, erzählt die Mutter, auch ein Schlaflabor konnte da kaum helfen. Die Krankheit schreitet immer weiter fort, weil sich die Mukopolysaccharide, das sind lange Ketten von Zuckermolekülen, in allen Organen ablagern. Normalerweise werden sie vom Körper selbstständig abgebaut, bei Nico bleiben sie in den Zellen, die dadurch immer mehr ihre Funktion verlieren. Bisher gibt es noch keine Medikamente, die hier wirksame Abhilfe schaffen könnten.

Wie lange wird Nico noch leben? Bei Gesprächen in Selbsthilfegruppen und mit betroffenen Eltern hat Peggy J. erfahren, dass die Lebensdauer dieser Kinder ganz unterschiedlich sein kann. Auch bei Nico wissen oder können die Ärzte nicht sagen, wann sein Lebenslicht erlischt. Bis dahin will ihm seine Mutter das Leben so erträglich wie möglich gestalten, will ihn so gut wie möglich betreuen.

Das aber ist beileibe nicht einfach. Ihr Sohn spricht kaum noch, kann immer schlechter laufen, sich alleine gar nicht mehr auf seinen Füßen fortbewegen. Er schlägt oder wirft mit seinen Spielsachen um sich, weiß nicht wohin mit seiner noch vorhandenen Energie. Seine Hyperaktivität nimmt immer stärker zu. Die Essenszeit beträgt bis zu einer Dreiviertelstunde, auch das Trinken fällt schwer, oft verweigert es der Siebenjährige.

Im vergangenen Jahr hat Nico im Pater-Rupert-Mayer-Zentrum in Regensburg die Schulvorbereitende Einrichtung besucht, heuer wird er dort eingeschult. Dort soll er betreut und gefördert werden, soweit dies möglich ist. „Ich möchte alles tun, damit es ihm gutgeht“, sagt seine Mutter. Das fällt ihr auch deswegen nicht leicht, weil sie beileibe nicht mit weltlichen Gütern gesegnet ist. Nun steht auch noch ein Umzug bevor, und das 13 Jahre alte Auto will auch nicht mehr so recht. Dabei muss sie ihren Sohn oft fahren, auch über weite Strecken, und seinen Rollstuhl mitnehmen. Sie will und wird es tun und für ihn da sein, so lange ihr Junge an ihrer Seite ist...

Wer Peggy. J. und damit auch ihrem Sohn helfen will, etwa über einen Fahrdienst oder ein Transportmittel, kann sich unter der Nummer (094 61) 944613 an unsere Redaktion wenden. Wir geben gerne ihre Adresse weiter.

Die Krankheit Mukopolysaccharidose

Die Mukopolysaccharidose Typ 3 (MPS III) ist eine lysosomale Speicherkrankheit aus der Gruppe der Mukopolysaccharidosen und gekennzeichnet durch den schweren und schnellen Verlust geistiger Fähigkeiten.

Die Krankheit wird wegen der allgemein nur leichten Dysmorphien (medizinischer Fachausdruck für Fehlbildungen des menschlichen Körpers) nicht immer diagnostiziert. Mit zwei bis sechs Jahren treten die ersten Symptome in Form von Verhaltensstörungen (Hyperkinesie, Aggressivität), Verlust geistiger Fähigkeiten, Schlafstörungen und sehr leichten Dysmorphien auf.

Die neurologische Beteiligung wird im Alter von etwa zehn Jahren deutlicher, mit Verlust der motorischen Fähigkeiten und mit gestörter Kommunikation. Nach dem zehnten Lebensjahr treten oft auch zerebrale Krämpfe auf. Auch einige wenige Fälle mit abgeschwächter Symptomatik wurden bereits beschrieben.

Die Knochenmark-Transplantation ist nicht geeignet, da sie den geistigen Abbau nicht verhindern kann, auch dann nicht, wenn sie vor dem Einsetzen der Symptome durchgeführt wird.

Der neurologische Abbau geht mit einer Vielzahl von Komplikationen einher, und eine angemessene symptomatische Behandlung erfordert deshalb ein multidisziplinäres Vorgehen. Die Prognose ist schlecht, die meisten Patienten mit Typ III A sterben am Ende des zweiten Lebensjahrzehnts.

Aus: orphonet, Portal für seltene Krankheiten