Eigenartiger Brauch
Schubkarrnschuim: Das harte Los des „Gize“ in Ottenzell und Haibühl

08.11.2022 | Stand 15.09.2023, 3:01 Uhr
Regina Pfeffer
Finstere Gestalten, dargestellt von einer größeren Gruppe junger Burschen und Männer aus Ottenzell, ziehen mit Musikbegleitung durchs Dorf und erbetteln dabei von den Bürgern laut der Überlieferung Kejchei und Rupfheiwe. −Foto: Fotos: Regina Pfeffer

Kirchweihbräuche gibt es zuhauf in der Oberpfalz. Das Kirchweihfest war ein wichtiger Bestandteil des ländlichen Lebens. Ein etwas seltsam anmutender Brauch, der nur in Ottenzell und Haibühl beheimatet ist, ist das „Schubkarrnschuim“.

Es ist ein Spektakel, das es nur alle fünf bis sechs Jahre gibt, nämlich dann, wenn im Kalender der 31. Oktober auf einen Montag fällt, also ein Brückentag zum nachfolgenden Fest Allerheiligen ist, so wie heuer.

Rußgeschwärzte Gestalten ziehen dann lärmend durchs Dorf. Angeführt werden sie von mehr oder weniger passgenauen Tönen der Musikanten.

Der alte Bettel-Brauch ist aus der Not heraus entstanden, wissen ältere Dorfbewohner zu berichten. Die einfachen Leute, Knechte und Musikanten, wollten sich für die kommenden Tage etwas sichern von den übrig gebliebenen Schmankerln der Kirchweih.

Der Ärmste im Dorf

Der „Gize“ war der Überlieferung nach der Ärmste im Dorf, wobei ihm die anderen nicht viel nachstanden. Ein schützender Strumpf über dem Kopf vermummte ihn, und die rußgeschwärzten Gesichter der Übrigen verbargen deren Identität. Schließlich hatte man ja auch noch seinen Stolz, trotz Armut.

Ein Kamerateam des BR interessierte sich 2011 für den althergebrachten Brauch und begleitete die ausgelassene Horde den ganzen Nachmittag über. Redakteurin Beatrix Ziegler und Kameramann Arnd Frenger interviewten mehrere Mitwirkende und Zuschauer. Der Beitrag wurde in der Rubrik „Aus Schwaben und Altbayern“ gesendet. Und auch in das Buch „Mir hom Kirwa!“ (Kirchweihfreuden in der Oberpfalz von Uli Piehler) hielt der Brauch Einzug.

Damit der Brauch nicht in Vergessenheit gerät, hat sich sowohl in Ottenzell als auch in Haibühl eine Gruppe von „Schuibern“ und „Zuigern“ zusammengefunden, die mit dem auf weichem Stroh gebetteten „Gize“ auf seinem fahrbaren Untersatz in Form eines hölzernen Schubkarrens durchs Dorf zog. Er war die Hauptfigur des seltsamen Geschehens, der nur seinen Mund aufzumachen brauchte, wenn ihn der Durst überkam. Sogleich wurde er mit edlem Gerstensaft versorgt.

Während es in Ottenzell vor allem Burschen des FC waren (Organisator FC-Boss Hermann Zapf), hatten sich in Haibühl 13 Mitglieder der Dorfvereine zusammengefunden (Organisator FFW-Vorsitzender Michael Klingseisen). Traditionsgemäß waren neben dem Gize auch der Wirt, Schubkarrnschuiber, Pferde, Kirmträger und Musikanten dabei.

„Kejchl her oder Stroh vor d’Tür!“, so der Ruf vor jeder Haustür.

Aber wo früher die Bäuerinnen ihr Schmalzgebackenes hervorholten, wurde den fordernden Männern heutzutage Bier oder Schnaps gereicht. Kamen die Hausherren der Forderung nicht nach, musste man sich des eigenen Besens bedienen, denn die schwarze Meute kippte eine Ladung Stroh samt „Gize“ vor die Tür. Wo aber das Gegenteil der Fall war, wurde ihnen zum Dank der Eingangsbereich vor der Haustür zumindest symbolisch sauber gekehrt. Im Laufe des Tages hatten sie dann auch sämtliche Passanten, vorzugsweise junge Mädchen und Frauen, mit Ruß geschwärzt.

Vor allem der „Gize“ hatte ein schweres Amt zu bestehen. Oftmals ausgekippt dürften die blauen Flecken nicht wenig gewesen sein. Der Kontakt mit sämtlichen Pfützen und Misthaufen tat geschmacklich das seine, und auch seine Trinkfestigkeit wurde einer harten Belastungsprobe unterzogen.

Lodernder Strohhaufen

Bei Einbruch der Dunkelheit erreichte die wilde Horde wieder den jeweiligen Dorfplatz, wo der „Gize“ unter Beifall und vieler Juchizer auf einem lodernden Strohhaufen im Flammenmeer sein Ende findet. So sieht es der Brauch vor.

Dieser natürlich symbolische Akt soll den Teufel und die bösen Geister vertreiben sowie eine gute Ernte bescheren. Hier konnte der Darsteller seinen Mut beweisen und zeigen, wie lange er es in seinem „heißen Bett“ aushält. Wohlbehalten entrollte er sich rechtzeitig dem lichterloh brennenden Flammenhaufen.

Im Dorfwirtshaus wurde weitergefeiert. Ein Dank ging an die Wirtsfamilie Meindl für die Aufnahme und nachfolgende Brotzeit. Für längere Zeit ist nun Ruhe eingekehrt, bis es erst 2033 wieder heißt: „Auf geht’s zum Schubkarrnschuibm in Ottenzell und Haibühl“.