Schorndorf
Schule und Homeoffice direkt am Strand - „Unglaubliche Erlebnisse“

06.06.2022 | Stand 15.09.2023, 4:58 Uhr
Arbeiten und Schule am Strand: Während der Corona-Jahre haben die Wegners das Reisen mit dem Wohnmobil perfektioniert und für sich optimiert. Solarzellen auf dem Camper machen sie unabhängig von offizielle Stellplätzen. −Foto: Wegner

„Unglaubliche Erlebnisse“: Eine dreiköpfige Familie aus Cham nutzt die Corona-Zeit und reist im Wohnmobil durch ganz Europa.

„Reisen ist das einzige, was man kauft und was einen immer reicher macht.“ Marcel Wegner wird an seinem Esszimmetisch philosophisch, wenn er auf die vergangenen zwei Jahre zurückblickt. Corona hat die dreiköpfige Familie aus Schorndorf - Vater Marcel, Mama Stefanie und Sohn Michael - wie viele erst einmal aus der routinierten Alltagsbahn geworfen. Doch schnell sehen sie in den erzwungenen Einschränkungen auch die Chance, die dahinter steckt. Kaum öffnet Niedersachsen als erstes Bundesland wieder die Campingplätze, setzen sich die Schorndorfer in ihren 130 PS starken „kleinen Elefanten“, wie sie ihren „Nexxo 569“ von Bürstner nennen, und fahren los. Sie enden an zig Stränden und hunderten besonderen Plätzen verstreut über ganz Europa. Schule am Strand, Homeoffice vor zahlreichen Schlössern in Frankreich - dass das überhaupt so einfach möglich ist, dafür haben die Wegners schon lange vorher gesorgt.

Vor sechs Jahren in Wohnmobil verliebt

„Vor sechs Jahren haben wir uns auf einer Messe in unser Wohnmobil verliebt. Klein, so dass man damit auch in Städten und winzigen Dörfern gut rangieren kann, trotzdem alles drin, was man braucht“, erinnert sich Wegner. „Früher waren Wohnmobile ja altbacken. Aber unseres ist eine andere Generation, Luxus pur mit Lederaustattung.“ Völlig klar ist zu diesem Zeitpunkt bereits, dass in dem Gefährt auch bequem zu arbeiten sein muss - die Wegners arbeiten beide in Marcel Wegners Headhunting-Firma.

„Das ist natürlich super, um unterwegs zu arbeiten, wir machen ja vor allem viel Telefon- und Recherchearbeit am Computer.“ Doch damit das unterwegs immer zuverlässig möglich ist, rüsten die Campingfans das Wohnmobil technisch auf den allerneuesten Stand um. Pflastern das gesamte Dach des Campers mit Solarzellen voll. Lithium-Batterien, um Energie zu speichern. „Inzwischen ist es so, dass wir wohl eine Woche lang irgendwo stehen könnten, völlig unabhängig“, erzählt Wegner stolz. Das war dann auch während Corona notwendig.

80.000 Kilometer auf dem Tacho

Denn von Niedersachsen aus geht es weiter in aller Herren Länder in ganz Europa. 14 Länder kommen die Wegners während der Homeschooling-Phasen ab. 80.000 Kilometer sind inzwischen auf dem Tacho, insgesamt ein ganzes Jahr netto waren die Schorndorfer unterwegs. „Wir waren an der Nordsee ganz allein auf einem Leuchtturm, wo es normalerweise von hunderten von Besuchern wimmelt, wir waren einsam und allein auf dem Markusplatz in Venedig, allein am Trevi-Brunnen in Rom.“ Und immer wieder suchen die Wegners einsame Strände und Plätze fernab der üblichen Routen. „Durch unsere Solarzellen sind wir wirklich unabhängig von Stellplätzen. Dort, wo es erlaubt ist, stehen wir abseits von Campingplätzen.“ Um noch mobiler zu sein, haben sich die Wegners drei kleine E-Bikes angeschafft. „Die sind immer dabei. Damit kommt man dann noch weiter abseit der Touristenorte“, schwärmt Wegner.

Ansonsten sind die drei Familienmitglieder inzwischen zu Minimalisten geworden. „Wir haben wirklich nur noch das Allernötigste mit. Mit der Zeit merkt man ja, was man unbedingt braucht. Und das ist erstaunlich wenig. Drei Messer, drei Gabeln, drei Löffel - mehr braucht man nicht“, grinst Stefanie Wegner, ganz auf einer Linie mit ihrem Mann. Die beiden teilen ein inniges Lächeln. „Sechs Wochen und länger auf so engem Raum, da merkt man, ob es passt. Das kann man nur, wenn man sich wirklich liebt. Man kann sich ja nirgends zurückziehen“, erklärt Marcel Wegner.

Und auch der elfjährige Sohn hat diese Art zu Reisen schnell adaptiert. „Er weiß schon genau, wenn wir wo ankommen und uns einrichten, muss er erst einmal aus dem Weg“, grinst Mama Stefanie. Michael erledigt seine Schularbeiten während der Fahrzeit im Fonds des Wohnmobils mit einem kleinen Tischchen vor sich. Und an den Reisezielen angekommen, findet er fast immer schnell Bekanntschaften zum Spielen, sind die Eltern erleichtert. „Dass wir heute da und morgen dort sind, das macht ihm nichts aus“, sind sie überzeugt.

Spontane Reiseänderungen

Denn spontane Reiseänderungen sind genau das, was die beiden so fasziniert am Camperleben. „Wir haben im Grunde zwei Apps, die wichtig sind: eine Wetter-App und eine App für Campingplätze in ganz Europa.“ Da kommt es schon vor, dass das Wetter an einem Morgen auf einmal umschlägt und sich die Wegners von der Wetter-App mal eben 300 Kiometer weiter südlich lotsen lassen - „und dann hat man nach zwei, drei Stunden Fahrzeit den ganzen Tag Sonne pur“, grinst Wegner.

Gänsehaut pur und Freiheisrausch - so beschreibt er das Gefühl, wenn es ans Planen einer Reise mit dem Wohnmobil geht. „Man sitzt ja nicht vor einem PC und sucht ein Hotel, sondern sitzt vor einer Karte und überlegt, wo es hingehen soll. Was trauen wir uns zu? Wo wollen wir hin?“

Schweden, Dänermark, Frankreich, Italien, Holland, Portugal, Lichtenstein und Kroatien - nur einige der 14 Länder, die die Familie bereist hat. Kompromisse sind auch dabei wichtig. „Ich bin eher die, die Städte und Sehenswürdigkeiten besichtigen will, Marcel will immer in die Einsamkeit“, lacht Stefanie Wegner. So wechseln sich ruhige Strandtage und Radtouren in der Natur mit Schlössser- und Stadttouren ab.

Video hat 50 000 Aufrufe

Wie sehr die Familie ihre Art zu reisen inzwischen verinnerlicht hat, zeigt ein Beispiel: Als sie zu Corona-Zeiten ein Youtube-Video zum problemlosen Einreisen in Kroatien machen, und das Video in wenigen Tagen 50000 Aufrufe hat, werden die Wegners von einer Hotelkette zu einem dreitägigen Urlaub eingeladen. Fünf-Sterne-Luxus pur. „Aber nach den drei Tagen waren wir wirklich froh, wieder in unser Wohnmobil zu kommen, und unsere Zeit sinnvoll zu nutzen.“



Auf der Wunschliste der Wegners stehen noch Reiseziele wie Sizilien, Sardinien, Norwegen oder Irland. Gerade sind sie jetzt, in den Pfingstferien, unterwegs in Italien, wie Statusbilder in den sozialen Medien zeigen. „Wir sind unabhängig, haben keinen große Garten, keine Haustiere... wenn wir das jetzt nicht machen, wann dann?“ sagt Marcel Wegner. „Wer glaubt, er kann alles nachholen, wenn er in Rente ist, wird sich wundern. Man muss jetzt seinen Traum leben und nicht warten, bis es vielleicht zu spät ist.“

Reise-Blog

Internet:Die Wegners teilen ihre Erlebnisse und viele Fotos auf ihrem Reise-Blog:Blog.Urbayer.de

Tipps:„Das wichtigste ist Autarkie“, sagt Marcel Wegner. Solar, Batteriespeicher, Lösungen fürs Internet, um allein stehen zu können. Ein Stellplatz für die Nacht kostet fünf bis 30 Euro, bis zu 70 in der Hauptsaison. Das kann man umgehen und so viel Geld sparen. Wichtig auch: immer genügend Frischwasser an Bord, ausreichend Gas und volle Batterien. E-Bikes machen unabhängiger.