Brauchtum
Tote „rutschten übers Brettl“

Elfriede Dirschedl referierte bei den Familienforschern im Landkreis Cham über das Sterben früher – heute – morgen.

13.10.2021 | Stand 15.09.2023, 23:49 Uhr
Elfriede Dirschedl im Element: Mit ihrem ausführlichen und bildreichen Vortrag zum Totenbrauchtum von früher, heute und morgen sorgte sie für alles andere als Langeweile. −Foto: Schmidbauer

Über das „Totenbrauchtum früher – heute – morgen“ referierte Elfriede Dirschedl aus Schorndorf, 2. Vorsitzende der Familienforschung in der Oberpfalz (GFO) und Vorsitzende der GFO-Familienforscher im Landkreis Cham, am Samstag im Kreis der Familienforscher in der Klostermühle in Altenmarkt. Obwohl der Vortrag doch etwas umfangreicher war, tat dies der Begeisterung der interessierten Zuhörerschaft keinen Abbruch. „Ich hätte auch noch länger zuhören können“, lautete nur eine positive Stimme im Auditorium. Im Anschluss bestand die Möglichkeit zur Kontaktpflege und für Forscherhilfen.

Der Totenbrauch gehöre „naturgemäß“ zu den ältesten Bräuchen der Welt, so Dirschedl. Das Bild, das sich der Mensch vom Tod mache, habe sich aber stark gewandelt. Wie selbstverständlich die Leute vor noch nicht allzu langer Zeit mit dem Tod lebten, verdeutlichten Erinnerungen alter Bayerwald-Bewohner. Man hatte nicht selten einen Sarg auf dem Dachboden stehen, um für den Fall gerüstet zu sein, dass im Winter jemand im Haus starb und der hohe Schnee eine baldige Bestattung verhinderte. Heute zeigten sich die Familien immer mehr auseinandergerissen, viele hätten in den Städten keinen Kontakt zu Wohnungsnachbarn. So könnten Tote durchaus über Tage in ihren Wohnungen liegen, bis der Verwesungsgeruch auf sie aufmerksam macht.

„Was man für die armen Seelen tut, wird vielfach belohnt“, hieß es früher. Es sei kaum ein Tag vergangen, an dem nicht für die armen Seelen gebetet wurde und um das ewige Licht, das ihnen leuchten möge. Es wurden Bruderschaften für das Arme-Seelen-Gebet gegründet, in Bayern seit dem 14. Jahrhundert allein 212.

Mit einem Leichnam machte man sich früher nur wenige Umstände, er wurde in ein Leinentuch gewickelt, man nähte dieses zusammen und legte den Toten auf ein Brett. Die Leiche blieb im Haus bis zum Begräbnistag, es gab damals noch keine Leichenhäuser. Am Friedhof ließ man den Toten auf dem Brett ins Grab hinunter, löste die Bänder und zog das Brett wieder heraus. „Er hat übers Brettl rutschen müssen“ war eine der gängigen Redewendungen zum Totenbrett. War jemand sterbenskrank, hieß es: „Der wird auch bald übers Brettl rutschen.“ Das Begraben auf dem Brett fand um 1886 noch in abgelegenen Gegenden statt. Im Allgemeinen war der Sarg aber seit etwa 1870 überall eingeführt. Als Särge aufkamen, blieben die Aufbahrbretter nach der Beerdigung zurück. So entstand der Brauch, sie als Erinnerung an den Toten aufzustellen. Auch Karner, wie in Chammünster, und innen bemalte Seelenhäuser, wie in Schorndorf, verwiesen auf denTod.

Bräuche, Sagen und Legenden rund ums Sterben waren früher zahlreich und vielschichtig. Ankündigung eines Todes waren z. B., wenn die Wanduhr stehen blieb oder die Uhr bzw. das Kreuz von der Wand fiel. Blieben bei einem Verstorbenen die Augen offen, so würde ihm bald ein Familienmitglied nachfolgen. Gleich nach Eintritt des Todes wurde das Fenster geöffnet, damit die Seele in den Himmel aufsteigen konnte. Der Geistliche wurde gerufen, der den Toten versehen musste, d. h., dass er ihm die letzte Ölung gab.

Drei Nächte Totenwache

Die Nachbarn und Verwandten kamen zur Totenwache, die drei Nächte hintereinander dauerte. Allerdings wurde auch immer wieder an den Bischof gemeldet, dass bei Sterbefällen „manch Unfug“ getrieben wurde und besonders die Burschen und Mädchen die Totenwache als Vorwand nahmen, um abends von Zuhause loszukommen, wobei die jungen Männer nicht selten statt am Totenbett am Kammerfenster landeten.

In der Regel ließ man die Toten drei Tage in der Stube liegen. Solange die Toten im Haus waren, wurde für sie der Rosenkranz gebetet. Der Tag der Beerdigung begann mit dem „Sarglegen“. Beim Leichenzug zum Friedhof durften sich Kutscher und Kreuzträger nicht umschauen, um dem Toten nicht als Erste nachzufolgen. Klar geregelt waren Kosten für ein Begräbnis, eine „Kondukt-Beerdigung“ mit allem Drum und Dran kostete Ende des 19. Jahrhunderts den Gegenwert von zwei stattlichen Ochsen.

Nach der Beerdigung ging es zum Leichentrunk, bei dem nicht selten viel getrunken wurde, da es die Gäste nichts kostete. Früher konnten sich aber meist nur die großen Bauern einen Leichentrunk leisten. Als Andenken an die Verstorbenen wurden Totenzettel (Sterbebildchen) an die Trauergäste ausgeteilt. Diese Zettel enthielten viele persönliche Daten für heutige Familienforscher. Der älteste erhaltene Totenzettel wurde 1663 in Köln gedruckt. Die erste nachweisbare Todesanzeige erschien im Jahr 1753 mit Merkmalen heutiger Todesanzeigen. Bereits vor dem 17. Jahrhundert wurden von der Obrigkeit feste Trauerzeiten vorgeschrieben, meist ein Jahr für nahe Verwandte. Auch auf alte Friedhöfe und deren Wandel, die Totengräber von früher und die Bestattungskultur bis in die heutige Zeit wurde von Elfriede Dirschedl ausführlich eingegangen. Der Anteil an Feuerbestattungen ist bundesweit inzwischen auf ca. 70 Prozent angestiegen. Durch die zahlreichen Kirchenaustritte gibt es mittlerweile viele Bestattungen außerhalb von Friedhöfen, z.B. in Fried- bzw. Bestattungswäldern unter Bäumen, Naturbestattungen in Naturfriedhöfen, in Friedhöfen mit Aschestreuwiesen (das Verstreuen erfolgt anonym), Seebestattungen in ausgewiesenen Gebieten der Nord- und Ostsee oder auf einem der Weltmeere (Koordinaten des Beisetzungsortes werden in einer Seekarte vermerkt) oder Luftbestattungen durch Ascheverstreuen aus einem Flugzeug. „Allerdings ist die Baumbestattung in Deutschland die einzige erlaubte Möglichkeit, sich seinen Bestattungsort außerhalb eines Friedhofes selbst zu wählen“, so Dirschedl, „aber die Erdbestattung ist definitiv ein Auslaufmodell“.

Allerseelen: Glaube:
Früher bekamen die Patenkinder von ihren Paten einen süßen Allerseelenzopf aus Hefeteig mit vielen Rosinen. Mancherorts hieß dieser auch „Godelwecken“ (Pate oder Patin wurde Göd oder Godin genannt), Seelenspitz oder Seelenstriezel.Jedes „Vergelt’s Gott“ für diese Spende erlöste nach altem Glauben eine Seele aus dem Fegefeuer. Einfachere Seelenzöpfe verteilte man vor allem unter den Armen, nicht selten wurden von den Bäuerinnen bis zu 300 solcher „Seelenzöpfl“ gebacken. (cls)

Die zunehmende Digitalisierung unseres Alltags merkt man auch im Bereich der Trauerkultur. Wer über Friedhöfe geht, findet immer öfter QR-Codes auf der Rückseite von Grabsteinen oder auf separat platzierten Memofakten, die durch das Scannen mit einem Handy auf eine Internetseite führen. So verbindet der „digitale“ Grabstein den realen Bestattungsort mit einem virtuellen, internetbasierten „Trauerraum“. Friedhof-Apps, die den Besucher zum Grab navigieren, sind seit einiger Zeit auf dem Markt, allerdings hat sich dieser Trend noch nicht so durchgesetzt.

Auch auf Internetportalen kann man seine Trauer und Beileidswünsche darbringen. Sie sind ein möglicher Weg, um Abschied zu nehmen und ersetzen heute oft die Teilnahme an der Beerdigung. Doch sie können nicht ein persönliches Wort, eine Umarmung oder Trauerbewältigung mit Gesprächen ersetzen.

Trauern im Netz liegt im Trend

QR-Codes sind immer mehr eine Form der Trauer, da sie es Angehörigen erstmals ermöglichen, das Leben und Wirken des Verstorbenen umfassender darzustellen, zu bewahren und mit Neuem zu ergänzen. Mit Hilfe des Smartphones kann jeder den Verstorbenen kennenlernen. Gerade die jüngere Generation bevorzugt diese Art der Grabinschrift, so z. B. Yannik aus Bad Ems: 2011 ertrank der damals 20-Jährige bei einem Surfurlaub. Auf seinem Grab liegt ein Stein mit einem QR-Code, mit dem jeder Grabbesucher auf der Website von Yanniks Leben erfahren kann: Bilder, Videos, Lebenslauf. Für seinen Vater war es wichtig, sich auf diese Weise mit dem frühen Tod seines Sohnes auseinanderzusetzen. Allein im ersten Jahr hatte Yanniks Trauerseite über 70 000 Besucher.

„Dies zeigt, wie Trauerkultur im 21. Jahrhundert immer mehr aussehen wird“, so Dirschedl, „QR-Codes werden zunehmend gefragt und durchwegs positiv gesehen.“ Denn wenn jemand aufgrund der Globalisierung weit entfernt oder im Ausland wohnt, und deshalb nicht zur Trauerfeier oder zum Grab kommen kann, so kann er den Verstorbenen virtuell besuchen. Der Enkel in Australien braucht kein Flugticket mehr und muss nur den Computer einschalten oder aufs Smartphone schauen, um an der Bestattung der Oma in Deutschland teilzunehmen. Er braucht nur jemanden, der ihm ein Foto des QR-Codes schickt. „So bleiben Familien auch über weite Entfernungen miteinander verbunden in Trauer und Freude“, sagt Elfriede Dirschedl. (cls)