Heimatgeschichte Unruhe, Angst, Ungewissheit
Timo Bullemer und Christian Fuchs referierten über das Kriegsende 1945 in Untertraubenbach. Das Interesse war riesig.
Cham.Auf sehr große Resonanz ist am Samstagnachmittag die Veranstaltung der örtlichen Soldaten- und Kriegerkameradschaft zum Kriegsende in Untertraubenbach und Umgebung im Frühjahr 1945 gestoßen. Als kompetente Referenten fungierten Chams Stadtarchivar Timo Bullemer und Christian Fuchs aus Penting.
Vorausgehend fand am Weinberg beim Heimkehrerkreuz eine Andacht statt, zu der SuKK-Chef Daniel Zimmermann Stadtpfarrer Dr. Kazimierz Pajor und Pfarrvikar Pater Mejo begrüßte. Nach dem Eingangslied übernahmen die Geistlichen die Gestaltung mit Impulsen und Wechselgebeten. Den Abschluss bildeten ein Gebet für den Frieden in der Ukraine, ein Vater-unser und das Segens- und Schlusslied.
Im bis in die letzte Reihe besetzten St. Martinshaus verwies SuKK-Vorsitzender Zimmermann darauf, dass der Vortrag über die Geschehnisse rund um den 23. April 1945 bereits vor zwei Jahren geplant gewesen war. Doch die Pandemie machte den Termin bis dato nicht mehr möglich. „Krieg in Europa, vor zwei Jahren glaubte niemand, dass sich ähnliches in Europa wiederholen könnte“, so Zimmermann zum Ukraine-Krieg, „diese Veranstaltung ist nun aktueller denn je.“
Dank galt den beiden Referenten. Die SuKK übernahm eine kleine Bewirtung mit Getränken und Leberkässemmeln, wozu die Metzgerei Daiminger aus Waffenbrunn und die Handwerksbäckerei Maurer aus Thierling mit Sachspenden beitrugen. Die Einnahmen wird die SuKK an eine regionale Organisation zur Unterstützung der Ukraine-Flüchtlinge spenden.
Dokumente lückenhaft
„Wir können rein zeitlich nicht alles ansprechen“, so Chams Stadtarchivar Timo Bullemer, der den ersten Teil übernahm. Außerdem stelle sich bei diesem Kapitel der Untertraubenbacher Dorfgeschichte ein weiteres Problem, das noch viel schwieriger zu lösen sei, nämlich die zur Verfügung stehenden Quellen. „Die schriftlichen Dokumente, die gedruckten Artikel und ebenso die Aussagen der Zeitzeugen sind lückenhaft, weichen voneinander ab und widersprechen sich teils sogar komplett.“ Deshalb könnten manchmal keine eindeutigen Aussagen getroffen werden, und es bleibe immer wieder Raum für Spekulationen und unterschiedliche Theorien.
Bullemer rückte die Tage und Wochen vor dem 23. April 1945 sowie den Vormarsch der US-Truppen auf Untertraubenbach ins Blickfeld. „Auch wenn der Krieg offiziell noch bis Mai 1945 dauern sollte, gab es schon Monate zuvor in vielen Bereichen des täglichen Lebens deutliche Hinweise auf die sich abzeichnende Niederlage“, so der Referent, „sie sagten mehr über die Lage an der Front aus als die noch immer Siegeszuversicht verbreitenden Meldungen in Rundfunk und Presse.“
Unübersehbar war die stetig wachsende Zahl an Opfern unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung. Im 1. Weltkrieg verzeichnete man 37 Kriegsopfer in der Gemeinde, im nächsten war die Zahl schon deutlich höher. Aus der Pfarrei Untertraubenbach sind im 2. Weltkrieg 67 Männer gefallen.
Die Mischung aus Unruhe, Angst und Ungewissheit an den Tagen vor dem 23. April 1945 spürten auch die Einwohner der Altgemeinde Thierlstein. Die überwiegende Mehrheit der einheimischen Bevölkerung war gegen die Errichtung von Panzersperren, weil sie signalisierten, dass ein Ort verteidigt werden sollte. In diesem Fall blieb ein Beschuss durch die anrückenden US-Truppen nicht aus, der mit erheblichen Zerstörungen verbunden war.
Auch in Untertraubenbach hatten einige schon große Leiterwagen mit Sachen beladen, um im Fall der Fälle das Nötigste retten zu können bzw. für die Flucht vorbereitet zu sein. Allerdings war nicht jeder überzeugt vom baldigen Eintreffen der US-Soldaten. Doch die US-Streitkräfte rückten auf verschiedenen Routen in Richtung Cham vor. Das in Untertraubenbach verbliebene Militär, Flugplatzoffiziere und aufgesammelte deutsche Soldaten, richteten sich am Westeingang des Dorfes für die Verteidigung ein. Das Militär soll auch das Aufziehen der weißen Fahne verhindert haben.
Als die ersten US-Truppen vor dem Ortseingang von Untertraubenbach auftauchten, wurden sie von den Verteidigern beschossen. Die Amerikaner erwiderten das Feuer, worauf nach und nach zahlreiche Gebäude auf der westlichen Dorfseite in Flammen aufgingen. Weil die Amerikaner einen Häuserkampf vermeiden wollten, umgingen US-Panzer die Ortschaft, drehten etwa beim Gasthaus Ebenbeck und bahnten sich den Weg in Richtung Untertraubenbacher Steinbrücke. Nach Überquerung der Brücke bezogen sie am Weinberg Stellung. Von hier aus konnte der Ort von zwei Seiten unter Beschuss genommen werden. Am Abend des 23. April lagen die Gebäude westlich der Straße überwiegend in Schutt und Asche. Insgesamt waren 18 Anwesen und zwölf landwirtschaftliche Nebengebäude mit Vieh, Erntevorräten, Maschinen und Geräten verbrannt. Darunter befand sich auch das alte Schulhaus.
Am Abend des 23. April eröffneten US-Panzer oder Artillerie das Feuer auf den Traubenberg. Nach zehn bis 15 Minuten schwiegen die Waffen wieder. Anschließend war dieser Bereich des Traubenberges nicht mehr passierbar, da durch die Detonationen entwurzelte Bäume und Äste kreuz und quer herumlagen. Die GIs vermuteten dort deutsche Soldaten oder SS-Wachmannschaften. Beim Kampf gegen die Amerikaner in Untertraubenbach sollen vier deutsche Soldaten gefallen sein.
Auch nach der Ankunft der US-Truppen kamen die Menschen nicht zur Ruhe. Mehr als 1000 ausgehungerte KZ-Häftlinge sollen nach Angaben des damaligen Pfarrers Weiß das Dorf nach Nahrung und Kleidung durchsucht haben. Viele von ihnen wurden hier in den nächsten Wochen verpflegt, ärztlich versorgt und einquartiert.
Todesmarsch der KZ-Häftlinge
Den zweiten Part des Vortrags übernahm Christian Fuchs aus Penting, er beschäftigte sich mit dem Todesmarsch der KZ-Häftlinge, deren Befreiung durch die Amerikaner und die Morde, die durch ehemalige KZ-Häftlinge begangen wurden. Der erste Zug passierte bereits am 22. April 1945 den Landstrich, Tote wurden später meist Wetterfeld zugesprochen. Die Übernachtung des zweiten Zuges erfolgte in der Aumer-Grube am Pfahl.
Nachdem durch die Amerikaner die Plünderungsfreiheit erteilt worden war, bewaffneten sich die Kriminellen und die Stärkeren umgehend. KZler schwärmten daraufhin von Michelsdorf aus und plünderten die umliegenden Dörfer. Aus den Akten geht hervor, dass sich die Bürger von Penting zu einer Art Bürgerwehr zusammengeschlossen haben, um gemeinsam gegen die ständige und akute Bedrohung durch die plündernden KZler vorzugehen. War jemand in Not gekommen, wurde durch das damalige Feuerwehrhorn um Hilfe gerufen. Dieses Horn ist heute noch erhalten und befindet sich im Besitz von Josef Haimerl aus Pfahlhäuser. Weiter ging Fuchs auf einige ganz konkrete Todesfälle und Schicksale im Zusammenhang mit dem Kriegsende ein. (cls)
Ereignisse rund um den 23. April 1945
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Zeitzeugin:
Eine Frau beschrieb die Stimmung zwischen dem Bombenangriff auf Cham und dem Eintreffen der US-Armee im April 1945 folgendermaßen:
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Wortlaut:
„Diese fünf Tage zwischen Angriff und Einmarsch der Amerikaner waren eine Zerreißprobe. Wir an der Ostgrenze des Reiches waren von all dem vielen Schweren, das die Menschen in den Großstädten im Westen des Landes die ganzen Kriegsjahre vorher durchmachen mussten, verschont geblieben. Aber nun war die ganze Stadt voller Hektik, Ungewissheit, voll von flüchtenden Menschen.“ (cls)
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