MZ-Serie
Was aus den Domspatzen-Freunden wurde

Diesmal erzählt der Chamer Domspatz Alexander Metz, wie es nach der Schulzeit mit Verwandten und Klassenkameraden weiterging.

27.05.2018 | Stand 16.09.2023, 6:12 Uhr

Timo und Werner waren die besten Freunde von Alex im Domspatzen-Internat in Etterzhausen. Fotos: Metz

Mein bester Freund Werner, ohne den ich die harten Zeiten im Internat wohl kaum überlebt hätte, ging nach dem Abitur mit seinem Zwillingsbruder Timo nach Paris, um Altphilologie zu studieren. Nach einer gewissen Wartezeit kehrten beide nach München zurück, um sich hier intensiv dem Medizinstudium zu widmen.

Werner wurde ein vielgefragter und geschätzter Frauenarzt in München. Seine Praxis lag direkt beim Marienplatz. Wir blieben ein Leben lang gute Freunde und schafften es auch irgendwie immer wieder, im selben Haus zu wohnen. Werner starb mit 60 Jahren an einem Krebsleiden, das er geradezu heroisch annahm.

Auch sein Zwillingsbruder Timo wurde Arzt. Wir sind noch heute beste Freunde. Wir haben sogar 1984 zusammen geheiratet, als unsere Frauen schwanger waren, und machten uns gegenseitig Trauzeugen. Seinen trockenen Humor hat Timo bis heute bewahrt.

Der Ache, der schon zu unserer Schulzeit ein anerkannter, hochbegabter, aber auch sehr fleißiger Geiger war, wurde Professor an der Musikhochschule in München. Seine Karriere nahm jedoch ein jähes Ende, als ausgerechnet ihn, den Violinvirtuosen, eine Kolophoniumallergie befiel, die ihn schließlich zwang, seinen Beruf aufzugeben. Ache lebt seit vielen Jahren mit seiner Frau in Spanien.

Läppschi, der Lehrer in Cham

Der Läppschi, der gutmütige Mitschüler aus Roding, dessen Segelohren oftmals Opfer der Bestrafung waren, verließ 1961 Schule und Internat der Domspatzen. Zu spät erst habe ich erfahren, dass er viele Jahre Lehrer für Englisch und Sport an einem Chamer Gymnasium war und dass er schon sehr früh diese Welt verlassen musste. „Er kam von der Schule nach Hause, setzte sich in seinen Sessel, um sich auszuruhen. Er wachte nicht mehr auf“, weiß seine Frau zu berichten. Zu gerne hätte ich ihn gefragt, wie er die Zeit bei den Domspatzen und seine spezielle Bestrafung in Erinnerung hatte.

Gerne hätte ich auch mit dem ehemaligen Präfekten und Theologiestudenten gesprochen, der den Läppschi mit schnalzenden Fingern grinsend auf die Ohren schlug, um zu erfahren, was ihn dazu bewogen hatte, ob er das gar lustig fand. Aber leider ist auch er schon tot. Er starb als Pfarrer einer kleinen Oberpfälzer Gemeinde im Alter von 73 Jahren. In seinem Nachruf steht zu lesen: Er war von tiefer Katholizität geprägt und ein Mann der klaren Worte. Als ich den Kiese, der nicht nur mir die Augen blau geschlagen hatte, endlich über Google fand und ihn am Telefon fragte, warum er so grob im Umgang mit uns gewesen sei, konnte er sich daran nicht mehr erinnern. „Ich weiß nur eines“, gestand er mir, „ich hatte immer nur Heimweh.“ Er ist irgendwann einmal aus Schule und Internat geflogen, arbeitete beim Zoll und lebt jetzt auch im Ruhestand.

Von Dieter, der mich wegen meiner hohen Stimme immer verspottete, erfuhr ich vor ein paar Jahren, als ich ihn endlich gefunden hatte, dass seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren und er von einem Onkel erzogen worden war, der ihn zu den Domspatzen schickte. Dieter blieb, wie so viele andere auch, nicht bis zum Abitur, sondern holte selbiges auf einer Privatschule nach. Er wurde Zahnarzt und betrieb eine erfolgreiche Praxis in Berchtesgaden. Warum er mich immer gehänselt hat, konnte er nicht beantworten. Er erinnert sich kaum mehr an diese Zeit.

Lesen Sie hier: Das Ende der Domspatzen-Serie „Der zerbrochene Engel“: Nun berichtet der Autor, was mit den Akteuren von damals passiert ist.

Der Künstler in Bali

Wolfgang bzw. Lupo, der Schlafwandler und Geschichtenerzähler, blieb zeit seines Lebens ein verhuschter, aber genialer Künstler. Er begann 1966 nach dem Abitur ein Studium der Schulmusik und Orgel bei Franz Lehrndorfer, seinem früheren Lehrer, und Kompositionslehre bei Koryphäen wie Günter Bialas und Wilhelm Killmayer.

Als Schüler von Olivier Messiaen in den 1970er Jahren sah er sich inspiriert, neue Wege der Komposition einzuschlagen. Zu Studienzwecken verbrachte er in den 1990er Jahren einige Zeit auf Bali, um fernöstliche Musikstile in seine für mich oftmals sehr eigenwilligen Kompositionen einfließen zu lassen. Dort infizierte er sich an einer Hepatitis, die schließlich zu seinem Tod am 11. Juni 2007 führte.

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Peter Tomtscheck, den Sohn der Puppenspielerfamilie, dessen Eltern uns Kinder in Cham einmal jährlich mit ihrem Marionettentheater erfreuten und der schließlich meinen Gipsengel zum Fliegen brachte, fand ich nach 60 Jahren als Rentner in Berlin wieder. Von Beruf war er Sozialpädagoge. Ein Zweig seiner Familie betreibt noch immer ein Puppentheater.

Mein frommer Klassenkamerad und -Primus, der hochbegabte Hans-Ludwig, der mit dem Jazz, der sogenannten Negermusik, kam sehr jung auf tragische Art und Weise ums Leben. Als er nach dem Pilzesuchen aus dem Wald trat, erfasste ihn ein Auto. Hans-Ludwig war auf der Stelle tot. Er war gerade mal 35 Jahre alt.

Alexander, mein Namensvetter, den wir den Gschandtner nannten und der sich mit dem Singen anfangs gar nicht leicht tat, wurde ein gefeierter Operntenor. Er sang unter anderem im Gärtnerplatztheater in München und lebt jetzt in Hannover. Der Vetter, den ich wegen seiner frühen Reife und seiner Haare auf der Brust beneidete, wurde Doktor der Chemie. Er ist mittlerweile ebenfalls im Ruhestand und singt noch immer als Bass im Chor der Innphilharmonie mit.

Der Tod der Pflegemama

Ihre Tochter, meine vielgeliebte Cousine Gabi, heiratete in der Schweiz einen berühmten Sternekoch, baute und führte mit ihm zusammen ein Hotel und Restaurant in Klosters, den Walserhof, in dem die Königshäuser und die Prominenz der ganzen Welt verkehrten. Gabi ist glückliche Oma von zwei Enkelkindern.

Meine Pflegemutter, die ich 1965 bei meiner Abiturfahrt zum letzten Mal in Cham lebend angetroffen hatte, starb 1970 an gebrochenem Herzen, wie mir eine Chamer Freundin anvertraute. Sie habe es nie verwunden, dass man mich ihr weggenommen hatte.

Ich kam in Begleitung der Tante Maja zur Beerdigung meiner Pflegemutter, meiner Mama, nach Cham. Sie bewachte geradezu eifersüchtig meine Gefühle meiner Mama gegenüber. Ich hatte damals nicht die Stärke, meine echte und tiefe, mit Schuldgefühlen beladene Trauer zu zeigen. Man hätte sie mir bestimmt als Zeichen der Undankbarkeit ausgelegt.

Das Grab meiner Mama ist längst aufgelöst. Ein anderes Grab liegt darüber. Aber immer, wenn ich in Cham bin und vom Bahnhof durch den Friedhof rüber ins ProCurand zur Chorprobe gehe, bleibe ich ein Vaterunser lang vor diesem Grab stehen und sage: Mama, ich dank Dir für alles.

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