Stellungnahme
Wenn nur Hoffnung auf Besserung bleibt

Florian Dachs, Fachagrarwirt für Baumpflege & Baumsanierung, äußert sich zum Bericht „Der Chamer Baumtod ohne Erinnerung“.

24.03.2021 | Stand 16.09.2023, 3:54 Uhr
Für die Anlieger und Spaziergänger ist es auch die Summe der Maßnahmen, die zählt. Rund um den Hochbehälter wurden inzwischen ganze Waldstücke beseitigt, teilweise von privater Seite. Auch der Ehrenhain verliert durch den Ausbau des Weges seit Jahren Eichen, die beschädigt wurden. −Foto: Johannes Schiedermeier

Dass Wasser unser wertvollstes Gut darstellt, da ohne kein Leben möglich ist, bleibt unbestritten. Und dass wir alle Möglichkeiten nutzen müssen, um jedem Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, steht ebenfalls außer Frage. Neben Wasser ist Sauerstoff der zweite Lebensspender, und der wird nahezu vollständig von grünen Pflanzen produziert, ergo Bäume, Sträucher und dergleichen.

Dass nun ausgerechnet diese beiden Grundlagen des Lebens in Cham miteinander in eine Art „Konkurrenz“ getreten sind, mutet geradezu bizarr an und wirft in mir die Polt’sche Frage auf: „Braucht’s des?“ Und dass darüber hinaus diese Fäll-Aktion keiner so richtig „auf dem Schirm“ hatte, ist gar noch verwunderlicher. Früher hatte man eine Sache im Überblick, heute eigentlich nur noch „auf dem Schirm“, und vielleicht liegt hier ja auch der sprichwörtliche Hase im Pfeffer begraben. Man ist wohl zu sehr damit beschäftigt, auf den Schirm zu starren und die Welt herum, das große Ganze, nicht mehr wahrzunehmen. Wie dem auch sei, ich erlaube mir an dieser Stelle einmal eine bürgerliche Meinung.

Eine Meinung, anhandvon Zeitungstext und Bildern, ohne vor Ort gewesen zu sein oder die Hintergründe zu kennen, geschweige denn die politischen Entscheidungen. Einfach nur eine Meinung, geleitet vom „heiligen Zorn“, in der Hoffnung, dass dieser zukünftig zu einer Umgestaltung von eben solchen Missständen führt, wie schon Thomas von Aquin hinsichtlich der erhofft positiven Wirkung des Zorns angemerkt hatte.

Nicht nur lesen, auch anwenden

Die FLL (Forschungsgesellschaft für Landschaftsentwicklung und Landschaftsbau e.V.), die 1975 gegründet wurde, beschäftigt sich seit nahezu 50 Jahren mit genau dem, was im Zuge dieser Baumaßnahmen als sinnlose Zerstörung angeprangert wird. Vereinfacht gesagt: Die FLL regelt, welche Maßnahmen wie durchgeführt werden sollten, damit kurz- und vor allem langfristig kein oder nur geringer Schaden entsteht. Und das Ganze überaus detailliert, in zahlreichen speziell dafür zugeschnittenen Broschüren. Kurz beschrieben, einfach formuliert und bebildert, für alle Fälle. Beispielsweise die DIN 18920. Oder die RAS-LP4. Standardwerke für Landschaftsarchitekten, grüne Berufe und Gewerke, die sich mit Landschaftsgestaltung jeglicher Art beschäftigen.

Oder speziell in diesem Fall auch die Richtlinie M-162 von der DWA, der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abfall und Abwasser. Den Inhalt kann gerne jeder für sich selber nachlesen, aber genau das ist die Crux: Man muss es lesen! Und anwenden! Denn wie merkte schon der Kabarettist Hagen Rether an: „Was nutzt uns all unser Wissen, wenn wir es nicht zur Anwendung bringen?!“

Und ja, die Regelwerke sind nicht rechtsbindend, aber sie werden von den Gerichten als wegweisend angesehen und im Klagefall herangezogen. Nun springt mich aus der Zeitung ein Bild an, welches eine Schneise der Verwüstung zeigt, auf der einen Seite unterschenkelstarke, ausgerissene Baumwurzeln, auf der anderen Seite ein offener Waldrand und dazwischen des Baumes Schreckgespenst: ein Bagger.

Zweifelsfrei stellen diese FLL- Regelwerke hier für die Verantwortlichen böhmische Dörfer dar, oder wurden einfach, wie so oft, aus Zeit- und Kostengründen ignoriert, auf Kosten von Lebensraum und Sicherheit. Ja, Sicherheit. Weil dieser eröffnete Waldrand mit zerstörtem Wurzelraum plus Bodenverdichtung ist jetzt eine Zeitbombe. Und was der Wind nicht umlegt, wird später dann durch Bodenpilze dahingerafft, welche, durch die Klimaerwärmung begünstigt, in den letzten Jahren stark auf dem Vormarsch sind.

Die offensichtlich leere Wiese daneben, welche deutlich einfacher und auch schadloser zu bearbeiten wäre, war nur zweite Wahl, aufgrund von „schwierigen“ Besitzverhältnissen. (Aber… Moment… Sollte man in Rohrnähe nicht möglichst wenig Wurzeln haben? Wiese-Rohr-Wald… Finde den Fehler!) Schwierige Besitzverhältnisse deshalb, weil: Man hätte womöglich aufwendig mit den Besitzern verhandeln müssen. Um nicht zu sagen: miteinander reden. Nun wird zwar heutzutage an allen Ecken und Enden gechattet, geliked, gepostet, getwittert und gefollowert, aber miteinander reden scheint irgendwie aus der Mode zu kommen.

Was ich bei der ganzen Sache jedoch gar nicht begreifen mag: Diese „Überraschtheit“! Ich übe ja seit vielen Jahren den recht unbekannten Beruf des Baumpflegers aus, sprich, ich begutachte, pflege und fälle Bäume. Und meine Kollegen und ich erstellen regelmäßig bei geplanten Baumfällungen für zahlreiche Städte und Gemeinden Öko-Gutachten, um eine Unbedenklichkeit hinsichtlich Paragraf 39 BnatSchG. und Paragraf 44 BnatSchG. zu bescheinigen, damit die Verantwortlichen nicht hinterher in Erklärungsnot geraten. Anschließend werden diese Baumfällungen in der Tagespresse und mittlerweile auch in den sozialen Medien bekanntgegeben. Das nennt man Transparenz und die wird zum Glück immer beliebter, und sei es nur, um den anschließenden „Shitstorm“ etwas abzumildern.

Der Urzeit-Käfer aus Stuttgart

Zumindest ein paar Fledermäuse haben sofort ein neues Zuhause bekommen, welches sie hoffentlich auch auffinden werden, die anderen Bewohner müssen sich halt noch ein paar Jahrzehnte gedulden, bis auf einer Ausgleichsfläche (das Wort hat Potenzial zum Unwort des Jahrhunderts zu werden) wieder ein Altbaumbestand nachgewachsen ist. Aber was sind denn schon so ein paar Jahrzehnte?

Baumfällung: Beschluss:
War es eine illegale Aktion? Unter den Anwohnern von Chams grüner Lunge am Ehrenhain herrscht Aufregung. Die Stadtwerke haben entlang eines Zuweges zum neuen Hochbehälter eine Allee mit alten Bäumen gefällt. Um eine Druckleitung verlegen zu können, wurde jetzt auch noch der Weg verbreitert, und dabei wurden die Wurzeln der ersten Baumreihe des angrenzenden Waldes abgegraben.Anlieger sind entsetzt, Stadträte etwas ratlos. Wir haben den Stadtratsbeschluss dazu heraussuchen lassen und sind auf Ungereimtheiten gestoßen.

Wussten Sie übrigens, dass Stuttgart 21 damals durch einen Urzeit-Käfer ausgebremst wurde, den Eremiten? Dabei handelt es sich um einen xylobionten Käfer, der auf Mulm angewiesen ist. Mulm, das ist ein Zersetzungsprodukt von Holz. Äußerst selten, dieser Käfer. Und jetzt wahrscheinlich noch seltener. Kommt nur in alten Bäumen vor. Logisch, weil Mulm ja auch nur in alten Bäumen vorkommt. Aber gut, den meisten Menschen ist ein VW Käfer ohnehin viel lieber… War nicht neulich noch Insektensterben? Ach nee, das waren ja Bienen, nicht Käfer…

Wie gesagt, es geht mir nicht um Denunzierung oder Dreckschmeißerei, ich finde nur, dass das alles nicht sein müsste. So viel Geld, so viel vermeintlich schlaue Köpfe und dann so eine Schadensbilanz. Was gedenken sie denn ihren Kindern zu hinterlassen? Einen Bagger? Deshalb nochmals die Frage: Braucht’s das? Ich denke, bei der Antwort sind sich alle einig.