Glosse
Wladimir Putin in Wackerling?

Autor Ulrich Effenhauser aus Runding hat eine literarische Jahresrückschau für uns verfasst – über eine monströse Begegnung.

27.12.2018 | Stand 16.09.2023, 5:49 Uhr
Ulrich Effenhauser
Wladimir Putin regelt Dinge bekanntlich gerne selbst – doch welche Lumperei plant er auf der Müllumladestation Wackerling? Autor Ulrich Effenhauser ging dieser Frage in der Augusthitze todesmutig nach. −Foto: picture alliance / Mikko Stig/Le

Ich bin mir sicher, dass er es gewesen ist! Ich habe mich ja selbst gewundert. Was will ein Mann wie er an so einem Ort? Wladimir Putin in Wackerling! Ich habe ihn genau gesehen, zwei Autos vor mir hat er wie ich darauf gewartet, endlich vorgelassen zu werden. Ich weiß sogar noch das Datum: der 3. August 2018!

Sicher, ich hatte schon zwei Tage nonstop unsere Garage gestrichen, es hatte 35 Grad, seit Wochen kein Regen mehr, und beim Einladen des Mülls hatte ich mit einer herausstehenden Schraube den Autohimmel aufgerissen. Aber deswegen kann man noch lange nicht behaupten, ich sei unzurechnungsfähig gewesen an diesem Tag! Natürlich war ich aufgeregt. Wäre doch jeder gewesen, wenn er den Wert seines Dieselautos noch weiter reduziert hätte – und dann auch noch Wladimir Putin begegnet wäre, in einer Müllumladestation!

Beweismaterial oder Atommüll?

Was genau er hier entsorgte, konnte ich nicht sehen. Kurzzeitig dachte ich, es handle sich um Aktenkoffer. Augenscheinlich war Putin damit beschäftigt, Beweismaterial zu vernichten, für solche Zwecke ist das abgeschiedene Wackerling in unserem abgeschiedenen Landkreis ja der ideale Ort. Hinter den Gebäuden verlaufen außerdem Schienen, vielleicht verfrachten die Russen mit ihren Zügen über den ehemaligen Ostblock sensibles Material zu uns, das dann in Schwandorf als harmloser Hausmüll verbrannt wird, professionelle Müllwäsche sozusagen, man kennt solche Transaktionen aus Babylon Berlin.

Atommüll wollte ich mir lieber nicht vorstellen – nicht auszudenken, wenn bekannt würde, die Russen und namentlich ihr Präsident höchstselbst benutzen Wackerling als Umschlagplatz für ausrangiertes Plutonium! Wer Putin kennt, der weiß, dass er sich in seinem Staat ja um alles kümmert, auch den Giftanschlag von Salisbury soll er angeordnet haben; vermutlich hat er die Mission vom März sogar persönlich durchgeführt – als ehemaliger Geheimdienstmann ist er ja mit allen Tricks vertraut. Manchmal erinnert mich Putin geradezu an Lord Voldemort, sowohl äußerlich als auch cha-rakterlich. Wahrscheinlich hat er unsere Mannschaft bei der WM in Russland auch mit einem fiesen Lähmungszauberspruch belegt, deshalb ist der Jogi ausgeschieden! – In welch großer Gefahr wir uns also an diesem 3.8. auf dem Wertstoffhof zu Wackerling befanden, ahnte niemand – außer mir.

Ich hatte nun einen inneren Konflikt: Zum einen sollte ich so schnell wie möglich unser Gerümpel wegschaffen (unter anderem ein blechernes Baumarktregal, bei dessen Aufbau ich mir damals beinahe die Pulsadern aufgeschnitten hätte). Danach musste ich zum Essen erscheinen, weiterstreichen, Kinder zum Geburtstag fahren etc. etc. Auf der anderen Seite war ich in dieser weltgeschichtlichen Wackerlinger Stunde der Einzige, der den Landkreis und womöglich ganz Bayern vor einer Katastrophe bewahren konnte.

Die anderen Deponiebesucher wollte ich nicht in die Sache mithineinziehen, ich war völlig auf mich allein gestellt. Die Sonne brannte unerbittlich auf die Kühlerhaube, mein T-Shirt klebte vor Schweiß, die Anzeige zeigte mit giftgrünen Ziffern 37 Grad und 11.58 Uhr. High noon! Im Radio hieß es, die Weinbauern seien glücklich angesichts der Hitze, die Getreidebauern nicht. Donau- und Regenpegel auf Tiefststand. Klimawandel! Von einem Staatsbesuch Putins keine Rede. Als Waffe wählte ich das Regalseitenbegrenzungsteil aus Blech. Ganz unten, wo Verschlussstück 4f mit Verbundteil 8b zusammenzustecken war, waren noch meine Blutreste zu erkennen.

Plant Putin einen Wahl-Fake?

Putin wuchtete gerade eine Gasflasche in den Container, Altmetall kommt doch nach drüben, dachte ich mir erbost. Ich näherte mich der Halle 3. Auf einmal hupten sie von hinten. Ich war dran! Ich lief zurück, ließ mich wiegen – Putin entsorgte gerade einen Flugzeugpropeller (wollte er die Chamer Flugtage sabotieren oder war es ein Teil von Mathias Rusts alter Cessna?) – und fuhr so schnell wie möglich in die Halle 4. Mein Zittern übertrug sich auf mein Blechschwert. Ich wollte ihn zur Rede stellen, auch wegen der Gasflasche und der Ukraine.

Aber er war verschwunden! Keine Spur mehr von Voldemort und dem Volvo! Offenbar hat man ihn gewarnt. Er befand sich sicher schon auf der Bundesstraße, mit dem Ziel, in München das bayerische Weltraumprojekt auszuspionieren oder mit den AfD-Leuten zu beratschlagen, wie man digitalisierungszeitaltermäßig die anstehende Landtagswahl faken kann. Ich entlud, so schnell es ging, ließ mich wiegen, zahlte, fuhr in die Stadt – nirgends eine Spur von Wladimir Putin. Dann fuhr ich nach Hause zum Essen. Mehr konnte ich nicht für unsere Heimat tun. Es gab Spaghetti. Die Kinder hatten Ketchupmünder. Meiner Frau erzählte ich nichts, ich wollte sie nicht in Gefahr bringen. Ich bin mir sicher, dass er es gewesen ist!

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