Glaube
Fasten mit Augen und Ohren

Die Fastentücher mit ihren Motiven in der Pfarrkirche von Haibühl sind etwas Besonderes – und führen den Betrachter zu innerer Einkehr.

16.03.2021 | Stand 16.09.2023, 3:47 Uhr
Regina Pfeffer
Das Sichtbare verhüllen, das Hörbare reduzieren – das ist Askese für die Sinne. Die Fastentücher in der Haibühler Pfarrkirche St. Wolfgang in ihrer Schlichtheit schärfen die Wahrnehmung und ermöglichen neue spirituelle Erfahrungen und Impulse. −Foto: Regina Pfeffer

Mehr als ein alter Brauch sind die großen violetten Fastentücher in der Pfarrkirche St. Wolfgang in Haibühl. Drei überdimensionale Vorhänge verhüllen den Haupt- und die beiden Seitenaltäre. Am Aschermittwoch aufgehängt, werden die Fastentücher, auch Hungertuch oder „velum templi“ (Vorhang des Tempels) genannt, erst am Karsamstag wieder entfernt. Die sechswöchige Verhüllung von Kreuzen, Figuren und Bildern in der Kirche – vor allem Darstellungen des auferstandenen, im Himmel thronenden Christus – lässt sich auch heute noch als „Augenfasten“ deuten, das die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche des Glaubens lenkt.

Die besonderen liturgischen Regeln der Fastenzeit weisen auf die Möglichkeit hin, mit Augen und Ohren zu fasten. Das ist aktueller denn je. In einer Zeit, in der die tägliche Bilder- und Klangflut die Sinne ausreizt, kann eine wenigstens zeitweilige, bewusste Einschränkung des Augen- und Ohrenkonsums nur guttun. Es hilft, das gewohnte Umfeld aufmerksamer, intensiver wahrzunehmen. Alltägliches, Vertrautes anders zu sehen, gilt als erster Schritt zu einer Verhaltensänderung, zur „Umkehr“, von der das Evangelium spricht. Durch diese Tradition wird dem anschließenden Osterfest ein viel stärkerer Glanz verliehen.

Biblische Motive

Im Gegensatz zu anderen reich bebilderten Tüchern sind die Haibühler Tücher in schlichtem Violett mit biblischen Motiven versehen. Lila gilt als Farbe der Buße. Die Farbe setzt sich zusammen aus Rot und Blau. In der altkirchlichen Symbolik ist Rot die Farbe des Irdischen, Blau die des Himmlischen. Das ist oft in Darstellungen von Maria, der Mutter Jesu, zu beobachten: Sie wird gemalt in einem roten Kleid, das ihr Menschsein symbolisiert, und einem blauen Überwurf – sie wird gleichsam mit himmlischer Natur überkleidet. Bei der Buße und der Umkehr geht es darum, dass sich Himmel und Erde berühren und durchdringen. Der Gläubige breitet sein Leben vor Gott aus, lässt sich auf ihn ein, lässt ihn in sein Leben ein.

Schöpferin dieser Kunstwerke, die so alt sind wie die Pfarrkirche selbst (Bauzeit 1977/78, Kirchenkonsekration durch Weibischof Vinzenz Guggenberger am 30. Juli 1978), ist Paula Altmann († 2019), die ehemalige Haushälterin von Max Heitzer, der von 1971 bis 1989 als Pfarrer von Haibühl wirkte.

Unter ihren geschickten Händen entstanden die Banner, die in der Fastenzeit 1979 das erste Mal Verwendung fanden. Als Material wählte Altmann weiche, hochwertige Baumwolle. Die Motive sind aus Filz und wurden von ihr in Handarbeit aufgenäht bzw. gestickt. Auf dem mittleren Tuch am Hochaltar sind die Leidenswerkzeuge (Passionswerkzeuge, lateinisch: arma Christi – Waffen Christi) zu finden. In Brauntönen gehalten, erinnern das Kreuz mit dem Titulus crucis (INRI), die zur Kreuzabnahme verwendeten Leitern, Kreuznägel mit Hammer, Zange zur Entfernung der Kreuznägel und die Lanze, mit der ein römischer Soldat Jesus die Seitenwunde zufügte, an das Geschehen am Karfreitag. Sie stehen in direkter Beziehung zum Leiden und Sterben Jesu, ebenso wie die Dornenkrone und das Grabtuch, dargestellt auf den beiden Seitenaltären.

Die Ursprünge des Brauchs liegen vermutlich im jüdischen Tempelvorhang begründet, wobei die Tradition, ein Fastentuch vor den Altar zu hängen, bis ins 9. Jahrhundert reicht. Um das Jahr 895 wird erstmals von dem Brauch berichtet, in der Fastenzeit den Altar- und Chorraum mit Tüchern zu verhängen, um der Gemeinde die Sicht auf das Allerheiligste zu verwehren. Die Verhüllung war eine Bußdisziplin, eine „Askese für die Augensinnlichkeit“. Bis ins 12. Jahrhundert war das Fastenvelum ein schmuckloses weißes Leinentuch. Später bestickte oder bemalte man die Tücher mit volkstümlichen Bibeldarstellungen (Passion Christi), die der Glaubensunterweisung der Gemeinde dienten.

Die Redewendung „am Hungertuch nagen“ (darben, ärmlich leben) ist indirekt mit dem Fastentuch-Gebrauch verbunden. Sie bezieht sich nicht nur auf die herrschende materielle Armut, sondern auch auf die optisch erzwungene, scheinbare Gottferne.

Zurückhaltung bis zum Osterfest

Das „Fasten mit den Augen“ wird in der 40-tägigen Vorbereitungszeit auf Ostern durch das „Fasten der Ohren“ ergänzt. Abgesehen von der derzeitigen Corona-Pandemie, die den Gemeindegesang gänzlich verbietet, zeigt sich auch bei der musikalischen Gottesdienstgestaltung Zurückhaltung. Ab Aschermittwoch ändert sich einiges in der Liturgie: Auf den Gesang von Gloria und Halleluja wird verzichtet, Kirchenschmuck und Orgelmusik werden zurückgefahren. Der Auszug des liturgischen Dienstes erfolgt in Stille.

Damit soll aber keineswegs auf das Lob Gottes verzichtet werden. Als Einladung an die Gläubigen gilt, dem Kantorengesang und der Orgelmusik zu lauschen und innere Einkehr zu halten. Vom Gründonnerstag bis zur Osternacht schweigen Orgel und Kirchenglocken.

Bis Gründonnerstag können die Fastentücher für Gebet und Andacht während der Öffnungszeiten der Kirche besichtigt werden. Gebetsvorlagen für zu Hause liegen am Schriftenstand auf. Pfarrer Johann Wutz will dazu anregen, im Gotteslob auf Schatzsuche zu gehen, es durchzublättern und innezuhalten. „Schon allein dadurch bewegen wir uns im Raum des Gebets und in der Gegenwart Gottes“, so der Geistliche.

Das Gotteslob versteht sich als Gesangs- und Gebetbuch, auch für zu Hause mit der Familie. Als typische Andachtsformen der Fastenzeit weist Wutz auf zwei Kreuzwegandachten im Gotteslob (GL 683, GL 934) und auf die Andacht zur Ölbergstunde (GL 938) hin. Besonders jetzt in Corona-Zeiten eigne sich sehr gut die Andacht zum Heiligsten Herzen Jesu (GL 933) oder die Tagzeitenliturgie (Morgenlob für die österliche Bußzeit, GL 623, vollständige Vesper, GL 637-640). Zur Vorbereitung auf den Empfang des Bußsakraments empfiehlt Pfarrer Wutz die Nummern GL 593, 594 und 599.