Geschichte(n)
G’stöckelte Milch und Semmelschmarrn

Alexander Metz erzählt in seinen Chamer Kindheitserinnerungen heute von den Dingen, die damals zum Essen auf den Tisch kamen.

12.08.2015 | Stand 16.09.2023, 7:02 Uhr
Alexander Metz

Der kleine Alex daheim am Tisch mit der Pflegemama. Da steht zwar eine Cola-Flasche. Aber für den Buben gab’s zum Trinken eher Tee aus Erdbeer-, Himbeer- und Brombeerblättern oder von roten Hagebutten.

Mama kochte jeden Tag ein Mittagessen. Da wir einen mit Holz und Kohle beheizbaren Küchenherd und keinen Elektroofen hatten, waren wir von den häufigen Stromsperren, die in der Nachkriegszeit gerade immer für den Vormittag angekündigt waren, nicht betroffen.

Unter der Woche gab es in der Regel kein Fleisch. Vor dem Essen wurde gebetet: „Komm Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast. Amen.“ Dann machte ich, so wie ich es von der Mama gelernt hatte, die Kreuzzeichen. Mit dem Daumen der rechten Hand ein Kreuzzeichen auf die Stirn, eines auf das Kinn und ein drittes auf die Brust. Mein Versuch, die Kreuzzeichen einmal mit der linken Hand zu machen, löste blankes Entsetzen aus, als hätte ich damit den Teufel heraufbeschworen. Ich beließ es bei dem einen Mal.

Am Montag, dem Waschtag, backte Mama, weil’s schnell gehen musste, einen Auflauf oder einen Pfannenkuchen mit einer selbstgemachten Huibamamalad (Himbeermarmelade) oder einem selbstgemachten Birnenkompott.

Am Mittwoch gab’s Schwammerbrey

Am Dienstag servierte Mama einen Zwirl, einen Kartoffelschmarrn, den man im Volksmund auch einen Gurgelmarterer nannte, weil er schwer zu schlucken war, wenn man nicht genügend Fett für das Herausbraten des Kartoffel-Mehl-Gemischs hatte. Dazu gab es eine g’stöckelte Milch. Milch wurde bei Gewitter generell sauer und gerann, stockte also. Diesen Vorläufer des Joghurts aß man klassischerweise immer zum Zwirl.

Am Mittwoch waren Pilze in einer Essig-Einbrennsoße mit Semmelknödeln die Wahl. Man nannte dieses Pilzgericht, das in der Regel aus getrockneten Pilzen bestand, die wir im Sommer gesammelt hatten, Schwammerlbrey (Schwammerlbrühe). Die mochte ich besonders gern.

Von aufgeschnittenen, alten Semmeln, die man beim Bäcker günstig bekam, machte meine Mama Semmelknödel oder einen Semmelschmarrn. Blieben mittags Semmelknödel übrig, wurden sie in Scheiben geschnitten und am Abend als Essigknödel serviert. Das war praktisch ein Wurstsalat für arme Leute mit Zwiebeln und Gurkerln, aber ohne Wurst.

Essen wurde bei uns nie weggeschmissen. „Do müassatste ja Sinden fiachten“ (da müsstest du dich fürchten, eine Sünde zu begehen), erklärte die Mama eindringlich.

Fleisch vom Rotfischer-Metzger

Das Fleisch kaufte sie in der Regel beim Rotfischer Metzger. Auch wenn Mama Fleischpflanzerl oder gar einen Hackbraten machte, drehte sie das Fleisch selbst durch den gusseisernen Fleischwolf, denn Hackfleisch hätte sich nicht lange gehalten ohne Kühlschrank. Manchmal durfte ich die Kurbel des Fleischwolfs drehen, was in mir sofort den Wunsch weckte, einmal Koch zu werden.

Verderbliche Speisen, wie Wurst oder Käse, legte Mama auf eine runde Marmorplatte, über die sie eine Fliegengitterhaube stülpte. Diese Kühlplatte wurde in unserem dunklen Vorraum auf der Kommode aufbewahrt.

Obst und Gemüse gab es bei uns immer der Jahreszeit gemäß. Das Gemüse holte die Mama auf dem Markt oben. Im Sommer gab es grünen Salat, den man in einem Essigölsalzwasser ertränkte. Manchmal kaufte mir die Mama ein Affenbrot, auch Johannisbrot genannt, weil das so viele Vitamine hatte und billig war, oder getrocknete Bananen. Diese gab es in rechteckige Klumpen gepresst. Ihre schwarze Farbe machte sie unansehnlich, aber da wir frische Bananen nicht kannten, war das für uns kein Problem.

Wenn Mama Gemüse kochte, dann immer in einer dicken Einbrennsoße, egal ob gelbe Rüben, Kohlrabi oder Blumenkohl.

Am Freitag durfte es kein Fleisch geben. Es wäre eine schwere Sünde vor dem Herrn gewesen, am Freitag oder gar am Karfreitag ein Fleisch oder eine Wurst zu verzehren. Solch eine Tat hätte, sollte man plötzlich sterben, den direkten Weg in die Hölle bedeutet.

Und was die Hölle ist, das zeigte mir sehr drastisch ein schauriges Bild in Holz geschnitzt, das in der Klosterkirche ganz hinten auf Augenhöhe eines Kindes zu bestaunen war. Da schmorten arme Menschenseelen in rotgelben Flammen und warteten vergebens darauf, von einem Engel in den Himmel hinaufgezogen zu werden.

In der Alrunastraße war, rechter Hand vom Rathaus aus gesehen, ein Milchladen. In diesem Geschäft wurde hin und wieder am Freitag Fisch verkauft. Und Fisch durfte man ja selbst als anständiger Christenmensch am Freitag essen, ohne Angst vor Höllenstrafen haben zu müssen.

Auf der Marmorplatte der Verkaufstheke, wo sonst Käse und Butter auf Käufer warteten, lagen bereits portionierte Fischstücke. Vor dem Laden bildete sich immer eine Schlange von Wartenden, die alle Fisch kaufen wollten. Fisch sei gesund, meinte die Mama. Ich fand ihn furchtbar, weil er nach Fisch stank, der Fisch, und es für mich schon eine Qual war, das Milchgeschäft am Fischtag zu betreten. Es gab noch eine feste Regel: Fisch durfte nur in den Monaten mit „r“ gegessen werden, also von September bis April.

Essn, wos afn Tisch kimmt!

Was das Essen betraf, war Mama sehr streng mit mir: „Gessn wird, wos afn Tisch kimmt!“ (Gegessen wird, was auf den Tisch kommt). Und der Teller musste leer gegessen werden. Eine Qual für mich! Ich mochte keinen gebackenen Fisch, wenn er nach Fisch roch, und es ekelte mich vor der dicken Fettwulst des sonntäglichen Schweinebratens.

Ich hatte in frühester Kindheit schon einen Alptraum. Ich träumte, in einer Windmühle, obwohl ich eine solche noch nie gesehen hatte, gefangen gehalten zu werden. Und die Leute in der Mühle zwangen mich, Schweinespeck zu essen.

Der Onkel Hans fühlte sich besonders dazu verpflichtet, mich zum Essen zu zwingen. Onkel Otto dagegen ließ schon mal eine Schweineschwarte von meinem Teller auf seinen verschwinden.

Also, wie ich schon vorwegnahm, am Sonntag gab es ein im Rohr gebratenes Wammerl, ein Stück Schweinefleisch, das zu zwei Drittel aus Speck bestand und deshalb auch eine fette Bratensoße hergab. Das Fleisch kaufte die Mama am Samstag beim Rotfischer Metzger. Ich freute mich auf die Bratensoße und auf die Knödel aus geriebenen, rohen Kartoffeln, welche Mama nach dem Kirchbesuch selbst machte und drehte. Auf den Schweinespeck hätte ich gerne verzichtet.

Der süße Huibasaft

An ganz besonderen christlichen Feiertagen, wie Pfingsten, Peter und Paul oder am Prangertag (Fronleichnam), briet die Mama ein Schnitzel in der Pfanne, das sie mit selbst geriebenen Semmelbröseln panierte. Auch wenn die Werbung mit dem Spruch „Bei de Leimer, da bleima“ (bei den Leimer-Semmelbröseln, da bleiben wir) die besten Semmelbrösel der Welt anbot, blieb die Mama bei ihren Bröseln, die sie aus altbackenen und deshalb billigen Semmeln vom Bäcker Sturm mit ihrem alten, von der Großmutter ererbten Reibeisl (Reibeisen) herstellte.

Zum Abendessen kochte meine Mama manchmal einen Gries- oder Reisbrei, den sie mit Zimt und Zucker bestreute. Besonders gern mochte ich Mamas selbstgemachten, dickflüssigen Huibasaft (Himbeersaft) dazu. Die Milch für den Brei holte sie in einem Millebitscherl, einer Aluminiumkanne, in dem Milchgeschäft in der Alrunastraße, wo es freitags auch manchmal Fisch zu kaufen gab.

Die Milch wurde mit einem Hebel aus einer wuchtigen Aluminiummilchkanne gepumpt, die unter dem Ladentisch versteckt war. Milch war nicht pasteurisiert und musste deshalb abgekocht werden. Ich durfte immer die Milchhaut und den Rahm, der sich beim Kochen am Boden und am Rand des Topfes absetzte, mit dem Finger ausschlecken. Trotz des Abkochens wurde die Milch schnell sauer, vor allem bei Gewitter. Dann gerann sie und wurde als gestöckelte Milch zum Zwirl (Kartoffelschmarren) gegessen.

Besonders gern mochte ich auch eine heiße Milch mit Honig, in die man eine Semmel einbrockte. Der Honig war ein goldbrauner Kunsthonig aus dem Konsum, den es dort als Würfel, eingewickelt wie eine Margarine, gab. Er wurde über dem Feuer geschmolzen und in einem Einmachglas aufbewahrt. Aus dieser Zeit stammt auch der Ausspruch „Sitzt do wia a Packerl Kunsthonig“ (Du sitzt hier wie ein Päckchen Kunsthonig).

Sonst gab es zum Abendessen meist Brot, immer mit Margarine bestrichen, und darauf eine rote Mettwurst, einen Hering aus der Dose, mal mit, mal ohne Tomatensoße, oder eine dünn geschnittene Blutwurst mit Speckwürfeln vom Konsum. Als Käse kannte man nur die in Silberpapier eingewickelten Käsedreiecke zum Streichen.

Die Wurschtsuppn

Eine Teepuppe, wie andere Nachbarn, hatten wir nicht. Obwohl ich mit einer solchen liebäugelte, seit man Teepuppen in der Schießbude auf dem Volksfest oder im Glückshafen gewinnen konnte. Eine Teepuppe diente zum Warmhalten der Teekanne. Der obere Teil war ein Puppenkörper aus Porzellan oder Plastik, der in einem bauschigen, kunstvoll drapierten Rock steckte, den man über die Kanne stülpen konnte.

Am Schlachttag gab’s beim Mühlbauer-Metzger in der Propsteistraße eine „Wurschtsuppn“. Das war das heiße Wasser, in dem die Würste vor dem Verkauf gebrüht wurden. Wenn darin eine Leberwurst aufgeplatzt war, dann war die Wurschtsuppn eine richtige Wurstsuppe und eine ganz besondere Delikatesse für manche Leute.

Kein Fleisch von der Freibank

Nicht jedoch für meine Mama. Trotz aller Bescheidenheit bei unseren Mahlzeiten, konnte sie an einer Wurschtsuppn keinen Gefallen finden. „Da graust ma ja scho bloß vom Hischaung“, meinte sie abfällig und beobachtete von unserem Dornbergerl-Fenster aus die Frauen („de Flüchtlingsweiwer“), die vor dem Metzgerladen in der Propsteistraße Schlange standen, um in einer Milchkanne oder einem Henkeltopf die Wurstbrühe für wenige Pfennige nach Hause zu tragen.

Dieselbe Meinung wie zu der Wurschtsuppn hatte meine Mama übrigens auch, was das Fleisch von der Freibank anbelangte. Unter dem Gewölbe im Rathaus war ein kleiner Laden, die Freibank. An ein, zwei Tagen in der Woche verkaufte dort ein Metzger Fleisch von notgeschlachteten Tieren zu sehr günstigen Preisen. „Liaba iss i gor koa Fleisch als a solchenes“, konstatierte die Mama und schüttelte sich dabei, um ihrem Ekel sichtbar Ausdruck zu verleihen.

Der Autor Alexander Metz (69) lebt heute in München. Die ersten neun Jahre seiner Kindheit hat er in der Chamer Propsteistraße 6 bei einer Pflegemutter verbracht.Über diese Zeit schreibt er in der Serie “So war’s, ned anders!”. Nachzulesen sind die Geschichten auch auf unserer Homepage unterwww.mittelbayerische.de/cham.