Menschen
Zweite Familie, zweite Heimat in Gschwand

Gerrit Stevens aus Kiel wollte ein Praktikum bei der Schreinerei Bierl machen. Daraus wurde eine Lehre und eine Zeit vieler Erfahrungen.

22.07.2021 | Stand 16.09.2023, 1:43 Uhr
Michael Riederer
Die Belegschaft der Schreinerei Bierl verabschiedete Gerrit Stevens (Mitte sitzend). −Foto: Michael Riederer

Was anfangs für eine Fake-E-Mail gehalten wurde, hat sich über die Jahre zu einer Bereicherung und einem guten Miteinander entwickelt. Alles begann 2018, als Schreinermeister Helmut Bierl eine besondere E-Mail in seinem Postfach fand. Gerrit Stevens aus Kiel hatte ihm eine Anfrage für ein zweiwöchiges Praktikum in Bierls Schreinerei geschrieben. Nachdem Bierl dies als Scherz auffasste, drehte er den Spieß um und lud den Kieler herzlich zum Praktikum ein.

Der Schreinermeister hatte die Mail bereits vergessen, als im August des gleichen Jahres plötzlich Gerrit vor der Türe stand und sein Praktikum antrat. Während der zwei Wochen zeltete er am nahegelegenen Campingplatz. Er konnte sich ein Bild vom Beruf des Schreiners machen, weshalb er sich kurz darauf entschied, diesen Beruf zu erlernen. Während seiner zweijährigen Ausbildung durfte er nicht nur das Handwerk des Schreiners kennenlernen, sondern auch die bayerische Kultur. 800 Kilometer von der Heimat entfernt, sei es „fast wie in einem anderen Land“ für ihn gewesen, berichtete er. Ein Kulturschock sei etwa anfangs der Besuch des Drachenstich-Volksfestes gewesen, als er gesehen habe, aus welchen „Kübeln“ die Bayern ihr Bier trinken. Auch ansonsten lernte er den Freistaat, seine Traditionen, Bräuche und Landschaften intensiv kennen. Während seines dritten Lehrjahres bekam er sogar die Chance, am Erasmus-Programm der Europäischen Union teilzunehmen, bei dem er drei Wochen lang ein Praktikum bei einer Schreinerei in Südtirol machen durfte.

Die gesamte Belegschaft profitierte von dem anfänglich vermeintlichen Scherz, berichtete Chef Helmut Bierl. „Man lernt viel voneinander und miteinander.“ Er findet es beeindruckend, dass Gerrit sich auf dieses Abenteuer in einem „fremden Land“ ohne Freunde oder Familie eingelassen habe. Er wurde sofort in das Team, das wie eine große Familie sei, aufgenommen. Dadurch sei es ihm auch leichter gefallen, sich schnell zurechtzufinden.

Seine Gesellenprüfung meisterte Gerrit Stevens als zweitbester seines Jahrgangs. Zudem belegte er den zweiten Platz beim Wettbewerb „Die Gute Form“ mit seinem Highboard. Nach der Lehre arbeitete er noch ein Jahr in Gschwand. Jetzt kehrt er in seine Heimat zurück, um sich zum Holztechniker weiterzubilden. Sowohl die beruflichen als auch die kulturellen Erfahrungen würden ihm sein Leben lang positiv in Erinnerung bleiben, sagt er.

Bei einer kleinen Firmenfeier wurde er von der gesamten Belegschaft, welche über die Jahre zur zweiten Familie wurde, verabschiedet. Als kleines Präsent erhielt er von Helmut Bierl und dessen Frau Erika einen Geschenkkorb mit regionalen Spezialitäten sowie ein Buch mit bayerischen Landschaftsbildern. Mit schwerem Herzen geht es nun für ihn wieder zurück in seine Heimat – mit dem Wissen, in Gschwand eine zweite Heimat gefunden zu haben. (fmi)