Sport
Der Kämpfertyp mit der Beinprothese

Christopher Kolbeck hat durch Krankheit den Unterschenkel verloren. Dennoch ist er heute Triathlet – und stärker denn je.

28.07.2018 | Stand 16.09.2023, 6:00 Uhr
Armin Wolf

Triathlet Christopher Kolbeck mit seinen unterschiedlichen Beinprothesen. Foto: altrofoto.de

Wenn Christopher Kolbeck bei Wettkämpfen wie beim Triathlon in Nittenau mitmacht, dann ist er ein Hingucker. „Das ist mir bewusst und das verstehe ich auch, da habe ich kein Problem damit“. Dem 34-Jährigen fehlt der linke Unterschenkel und er startet bei derartigen Wettkämpfen mit speziellen Prothesen. Geboren 1983 in Furth im Wald und aufgewachsen in Neukirchen beim Hl. Blut, war er schon als Kind sowohl sportlich als auch musikalisch unterwegs. Kolbeck erinnert sich noch gut: „Neben dem Sport waren Gesangs- und Instrumentalunterricht angesagt, danach ging’s zum Biken oder zum Tischtennis. Außerdem hatte ich ein Snakeboard, war sehr oft bergwandern und ein begeisterter Skifahrer.“ Was kein Wunder war, denn der Hohe Bogen lag direkt vor seiner Haustür.

Im Frühjahr 1998 war Christopher Kolbeck wieder einmal beim Skifahren. Plötzlich bekam er Schmerzen am Fuß. „Der linke Fuß war drei Tage lang taub, ich wurde geröntgt und dabei stellte sich heraus, dass ich einen tennisballgroßen Knochentumor im Sprunggelenk hatte – und das als Vierzehnjähriger.“

Im August 1998 wurde der Junge zum ersten Mal an der Regensburger Uniklinik operiert. Es sollte der Beginn einer langjährigen Leidenszeit werden. Von 1998 bis 2009 gab es sieben große, komplizierte Operationen, dazu mehrere kleine Eingriffe. Immer wieder tauchte der Tumor auf. 2004 musste das Sprunggelenk versteift werden. Die Krankenakte Kolbecks sollte am Ende drei Ordner füllen.

Nach dem Abitur hatte er zwischenzeitlich in Regensburg sein Studium begonnen. Ziel: Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte werden. Einen Großteil der Schulzeit und des Studiums verbrachte er auf Krücken. „Es waren genau vier Jahre und zwei Monate, das erklärt auch meine noch jetzt extrem hohen Kraftwerte, denn ich habe mich fast nirgends hinfahren lassen. Mit meinem Kumpel bin ich auch den Hohen Bogen hoch, bin viel gewandert – mit Radhandschuhen und den Krücken“. Dazu gehört viel mentale Stärke – und die hat Christopher Kolbeck. „Genervt haben mich die Eltern, die beim kleinsten Wehwehchen ihre Kinder mit dem Auto am liebsten bis ins Klassenzimmer gefahren haben.“ 2007 dann ein großer Eingriff in München: Der komplette linke Bauchmuskel wurde entfernt und mit Hilfe einer Meshgraft-Hauttransplantation an das Sprunggelenk transplantiert. „Die Ärzte haben alles versucht und eine sogenannte Defektdeckung vorgenommen – der Bauchmuskel fehlt mir leider bis heute sehr“, erzählt Kolbeck. Mit intensivem Krafttraining schaffte er es, ein wenig Fitness zu behalten. Der 1,90 Meter große Sportler wog damals 123 Kilogramm, heute sind es 25 Kilo weniger. Doch alle ärztliche Kunst half nichts. 2009 war klar: Es muss amputiert werden. „Die Amputation war die einfachste OP, ich habe mich mit den Ärzten beraten und gemeinsam haben wir besprochen, wo amputiert wird.“

Schmerzen bei der Hochzeit und während des Examens

Drei Monate vorher fand die standesamtliche Hochzeit mit Ehefrau Sabrina statt. „Das war eine ganz spannende Zeit in meinem Leben, die Hochzeit und auch das Examen an der Uni standen an. Ich hätte eher operiert werden sollen, wollte aber vorher das Examen abschließen, Schmerzmittel nehme ich ungern, also hatte ich eben richtig große Schmerzen.“ Es war eine schnelle Operation, nach einer halben Stunde war die Amputation vorbei.

Dann begann die Reha und mit ihr die Bemühungen sich darüber zu informieren, wie man trotz Prothese radfahren oder laufen kann. Kolbeck: „Es gab sehr wenig Infos. Ich konnte das gar nicht glauben, denn das war eine regelrechte Wissenslücke.“ Gemeinsam mit einem Orthopädietechniker in Nittenau ging’s deshalb an die Arbeit, ans Basteln und Probieren, bis eine Prothese fürs Radfahren fertig war. Ableger der gemeinsamen Entwicklung werden noch heute paralympisch genutzt. Nach einer Kontaktaufnahme mit dem Bayerischen Behindertensportverband durfte Kolbeck im Frühjahr 2010 mit dem Behindertenradsportkader ins Trainingslager nach Mallorca fahren. Zwei Wochen konsequentes Training, sogar 100-Kilometer-Ausfahrten standen auf dem Programm. 2010 und 2011 dann die ersten Radrennen.

Durch Zufall lernte der Sportler 2010 den damaligen Geschäftsführer der isländischen Firma Össur, einer der Weltmarktführer in Sachen innovativer Prothetik und Orthetik, kennen. Der stellte ihm eine Lauffeder zur Verfügung. So eine Feder wollte Chris, wie ihn seine Freunde nennen, schon lange. „Krankenkassen zahlen hier leider nichts, obwohl sich Menschen mit Handicap noch mehr bewegen müssten, um fit zu bleiben“, sagt er. Zum ersten Mal seit 2004 versuchte er sich am Lauftraining. „Es waren unglaubliche Schmerzen, da wurden Muskeln bewegt, die seit Jahren nichts mehr gemacht hatten, aber ich habe damals trotzdem vor Freude geweint.“ Kurz darauf setzte ihn ein Lauf über drei Kilometer für zwei Wochen außer Gefecht. „Ich war schlichtweg übermotiviert und hatte es übertrieben. Mein Stumpf war aufgescheuert und offen, Ich musste langsamer tun. 30 Meter laufen, 30 Sekunden stehen, kleine Schritte, Lauf-ABC, alles damals in Lappersdorf am Regen“. Leute blieben stehen, um ihn anzufeuern, aber es gab auch negative Erfahrungen: Eine Mutter bittet ihn, die Prothese zu verstecken, weil ihre Tochter „sowas nicht sehen soll“.

Plötzlich ging es für den Sportler wieder überall bergauf

Trotz des harten Trainings war mit der ersehnten Lauffeder auch Christophers Triathlonfieber aus Jugendtagen wieder erwacht. Und inzwischen hatte sich auch beruflich viel getan. Nach dem Examen führte ihn sein Weg nicht ans Gymnasium, sondern Kolbeck unterrichtete und forschte als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität. Später machte er noch seinen Doktortitel in Germanistik. Im Dezember 2012 kommt Tochter Anna auf die Welt – und tolle sportliche Erfolge stellen sich ein. Er wird im Paratriathlon mehrfach bayerischer und deutscher Meister. Lieblingsdistanz ist die olympische über 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und zehn Kilometer Laufen. Seit April 2015 arbeitet der Sportler als Marketingleiter in Deutschland, Österreich und der Schweiz für die Firma Össur. Dort kann er sein Know-how optimal einbringen.

Chris Kolbeck ist europaweit unterwegs, bleibt aber immer am Training dran und entdeckt beim Joggen gerne neue Städte. Das Pensum ist groß: Zwei Laufeinheiten mit zusammen drei Stunden, ein langes Radtraining mit bis zu 150 Kilometern, dazu zweimal Schwimmen und Krafttraining pro Woche. Am liebsten bestreitet er Triathlons mit Menschen ohne Behinderung. Geschwommen wird ohne Prothese, dann geht’s raus aus dem Wasser, eine Prothese liegt bereit, mit deren Hilfe kommt er zum Fahrrad. Die Radprothese wird eingeklickt – und dann kann es losgehen. In der Wechselzone steht dann seine Lauffeder, mit der er die Laufstrecke absolviert.

„Ich habe mich zuletzt mehr auf das Laufen konzentriert, weil ich am 7. Oktober in Köln meinen ersten Marathon mit Prothese schaffen will“, erzählt der Nittenauer begeistert. Die größte Unterstützung kommt von seiner Familie. Töchterchen Anna begleitet ihn gerne beim Lauftraining mit dem Fahrrad und ist unheimlich stolz auf den Papa mit seiner Sprungfeder. Ein Hadern mit dem Schicksal kam für Chris nie in Frage: „Ich bin ein absoluter Kämpfertyp!“

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.