Landwirtschaft
Milchbauer zwischen Dorf und Weltmarkt

Der Rodinger Thomas Frank arbeitet 14 Stunden – für 29,5 Cent pro Liter. Eine multimediale Spurensuche im Landkreis Cham.

18.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:53 Uhr
Mario Geisenhanslüke

Wohin geht die Reise in der Milchwirtschaft? Foto: Rieder/Geisenhanslüke

Es ist seit Jahren dieselbe Leier. Auf der einen Seite: die Milchbauern. Sie klagen über den Preisverfall, über fehlenden Rückhalt, über das Desinteresse der Politik. Auf der anderen Seite: die Bevölkerung. Immer mehr Bio, am besten sehr günstig und aus der Region und auf keinen Fall größere Ställe – so die Forderungen. Ob die Bio-Produkte dann aber wirklich gekauft werden, steht auf einem anderen Blatt. Was beide indes gemeinsam haben: Gesprochen wird über Kennzahlen, über die Theorie und das große Ganze.

Doch wie sieht der Alltag eines Milchbauern in der Oberpfalz aus? Welche Sorgen treiben ihn um? Wie hart schuftet er wirklich? Wie groß ist der Spagat zwischen der oft geforderten Liebe zum Tier und der Tatsache, dass auch ein Bauernhof ein Wirtschaftsbetrieb ist? Die MZ-Redakteure Andrea Rieder und Mario Geisenhanslüke haben einen Tag auf dem „Braunriederhof“ der Familie Frank in Roding im Landkreis Cham verbracht – eine chronologische Spurensuche.

5.30 Uhr – Der Stall erwacht

Der Tag der Familie Frank beginnt bei völliger Dunkelheit. Bevor er sich selbst an den Frühstückstisch setzt, weckt Thomas Frank seine Kühe – und im Stall ist er dabei nicht immer der Chef.

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Es ist jetzt 5.40 Uhr.

Zwischen Regen und B16 liegt der „Braunriederhof“ von Thomas Frank. Ein beerenfarbenes Bauernhaus mit einer hölzernen Sitzgruppe neben der Haustür, ein zum Landmaschinenschuppen umgebauter Stall und ein fast nagelneuer Folienstall. Direkt daran angeschlossen ist das Melkhaus. Beides wurde 2011 gebaut. Rund 600 000 Euro hat der Landwirt investiert. „So einen Stall finden Sie oft in Österreich, aber nicht in Bayern“, sagt Thomas Frank stolz.

Die Franks leben von der Milchviehwirtschaft, von ihren 80 bis 85 Kühen. Sie sind einer von rund 4800 Milchviehbetrieben in der Oberpfalz und einer von 75 000 in Deutschland. Zum Vergleich: 1995 gab es in Deutschland noch fast 200 000 Milchbauern.

Wie viele Kühe gibt es in Bayern und in der Oberpfalz? Wo gibt es die ganz großen Betriebe der Milchwirtschaft in der Region? Die Antworten in unserer interaktiven Grafik:

5.45 Uhr – Das erste Melken des Tages

Vor 50 Jahren wurden Kühe noch mit der Hand gemolken. Daran erinnert sich auch die Chamer Kreisbäuerin Johanna Fischer noch sehr gut. Sie hat 1967 auf einen Hof in Weiding im Landkreis Cham eingeheiratet: acht Kühe, 16 Hektar bewirtschaftet Fläche, zehn Hektar Wald. Heute würde sie wahrscheinlich selbst nicht mehr eine Kuh mit der Hand melken können. „Dafür fehlen mir die Kraft und Übung“, sagt sie.

Heute können schon Melkroboter eigenständig die Arbeit übernehmen – nicht aber bei der Familie Frank.

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Es ist jetzt 6.55 Uhr.

Die Milchbauern erlebten in den vergangenen Jahren eine Krise nach der anderen. Immer sank der Preis für ihr Produkt in den Keller – so tief, dass kaum noch die Kosten gedeckt werden konnten. Der aktuelle Stand: 29,5 Cent. Fünf Cent weniger als noch vor einem Jahr. Und auch damals hofften die Landwirte auf eine Preissteigerung.

„Ich will nicht von einer Krise sprechen, sondern: Die Situation am Markt ist momentan nicht so positiv“, wird Franz Kustner, Bezirkspräsident für die Oberpfalz beim Bayerischen Bauernverband (BBV), beim sogenannten Stallgespräch in wenigen Stunden sagen, zu dem der BBV in diesem Jahr auf den Hof der Franks geladen hat.

Unsere Grafik zeigt die Entwicklung des Milchpreises.

7.00 Uhr – 3500 Liter werden abgezapft

7 Uhr: Das Tuckern eines Lastwagens ist im Melkhaus zu hören. Unbemerkt ist der Fahrer der Molkerei auf den Hof der Franks gefahren und hat schon mit dem Abpumpen der Milch angefangen. Dazu braucht er Bauer Frank nicht. Er kennt sich aus. Jeden zweiten Tag macht er Station in Braunried und holt rund 3500 Liter Milch ab – egal ob Feiertag oder Wochenende. Seit dem Wegfall der Milchquote im April 2015 könnte Bauer Frank rechtlich unbegrenzt produzieren. Das kann und macht er aber nicht.

3500 Liter Milch alle zwei Tage. Das entspricht momentan einem Umsatz von 1032,5 Euro für die Franks. Dafür haben Thomas Frank und seine Frau Martina zwei Tage gearbeitet, mit Unterstützung der drei Kinder, der Schwägerin und des Neffen. 1032,5 Euro – von denen noch nicht die Haltungs- und Betriebskosten abgezogen sind. Der BBV spricht pro Kilo Milch sogar von 35 bis 45 Cent Herstellungskosten.

Rund 4800 Milchbauern gibt es in der Oberpfalz und viele davon fürchten um ihre Existenz. Zukunftssorgen kennt auch Thomas Frank. „Wenn das mit dem Milchpreis noch ein, zwei Jahre so weitergeht, dann wird’s kritisch“, sagt er. Doch gehen er und seine Familie fest davon aus, dass es noch eine elfte Generation auf dem Braunriederhof geben wird. Sohn Johannes steht kurz vor dem Abschluss an der Landwirtschaftsschule. Er wird den Hof eines Tages übernehmen, das steht jetzt schon fest. Und auch die beiden anderen Kinder Daniel (24) und Lisa-Marie (15) arbeiten auf dem Hof mit.

Es ist jetzt 7.25 Uhr.

7.30 Uhr – Jetzt wird gefrühstückt

Wenn die ersten zwei Stunden Stallarbeit getan, die Kühe gemolken und die Kälber versorgt sind, dann – und erst dann – denken Thomas Frank und seine Frau an sich. Thomas Frank verstaut seine Gummistiefel in einem kleinen Raum neben der Eingangstür, huscht durch den Flur. Kalt ist es hier. Das Heizen würde sich wohl nicht lohnen. Zu oft geht die Tür auf und zu.

Mit einer Jogginghose bekleidet kommt er in die Küche. Hier steht der große Esstisch, hier lodert ein Ofen in der Ecke. Noch steht der Christbaum, und auch die drei Weisen aus dem Morgenland betrachten das Jesuskind. Mit dabei am Frühstückstisch heute wie so oft: Sohn Daniel und seine Freundin Jessica. Feste Plätze gibt es nicht – nur für den Bauer Frank: morgens an der Tischseite mit Platz für die Zeitung, mittags am Kopfende.

Es ist jetzt 8.25 Uhr.

8.30 Uhr – Markieren der Kälber

„Am liebsten würde ich das nicht machen“, sagt Thomas Frank, bevor er den jüngst geborenen Kälbern auf seinem Hof die Ohrmarken verpasst.

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Die Wörter Milchbauer und Krise, sie eint eine enge Verbundenheit. Ihr Qualitätsprodukt werde zur Ramschpreisen hinausschleudert, klagen sie. Gefragt nach der größten Sorgen der Oberpfälzer Milchbauern antwortet BBV-Bezirkspräsident Franz Kustner mit zwei Worten: „Der Preis.“

Doch in diese eine Zahl, die am Ende jeden Monats entscheidet, wie viel Euro die Milch von Milchbauer Frank wert gewesen ist, fließen viele Faktoren. „Der Weltmarkt ist offen, und das kann man nicht ausschalten“, sagt Kustners Stellvertreter Josef Wutz. „Wenn unsere Preise zu hoch sind, kauft der Handel in Neuseeland.“ Das größte Problem sehen beide im jüngst verlängerten Russland-Embargo. Denn: Rund 30 Prozent der Drittlandexporte der Milchwirtschaft gingen bisher dorthin. „Den größten Fehler aller Zeiten“ und einen „Schaden für die gesamte Wirtschaft“ nennt Kustner die Embargo-Verlängerung.

Doch der Preis ist nicht alles, was Kustner umtreibt. Während er den Wegfall der Milchquote nicht so dramatisch einordnet („Auch währen der Quote gab es katastrophale Preise“), treibt ihn andere Themen um: Chinas Wirtschaftskrise, Tierschutz, Umweltschutz, die geplante NEC-Richtlinie der EU, die letzten Trockenperioden. Ein Gespräch mit BBV-Präsident Kustner zur Lage der bayerischen Milchbauern ist ein Gespräch über die Lage der Weltwirtschaft.

Es ist jetzt 12.30 Uhr. Zeit für die zweite Pause des Tages.

Im Videointerview nimmt Franz Kustner, BBV-Bezirkspräsident für die Oberpfalz, Stellung zur aktuellen Krise – und sagt, was er dem Nachwuchs raten würde.

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14 Uhr – Hupen für Hoffnung auf Nachwuchs

Das Geräusch von Autoreifen im Schlamm und ein Hupen kündigen Josef Bauer an. Der Besamungstechniker kommt auf den Hof der Franks, wenn er gebraucht wird. Bis neun Uhr kann man auf den Anrufbeantworter sprechen, dann wird man Teil der Tagestour.

Bauer öffnet den Kofferraum seines Geländewagens, den er selbst umgebaut hat. Eine Ablagefläche und Schubladen sind eingebaut, doch das wichtigste ist die graue Metallflasche. In flüssigem Stickstoff lagern hier die kleinen Röhrchen mit den Bullenspermien. Auf einem Aufkleber an der Scheibe steht: „Vorsicht flüssiger Stickstoff. Bei Unfall sofort Türen öffnen.“

Josef Bauer und Thomas Frank schauen gemeinsam über die Unterlagen. Eine Kuh auf dem Hof der Franks ist momentan brünstig. Ein Computerprogramm mit dem Namen „OptiBull“ schlägt normalerweise drei mögliche Stiere für die Besamung vor. „Einen davon habe ich sicherlich dabei“, sagt Bauer.

Er und Thomas Frank einigen sich für heute auf einen Stier. Die Kühe auf dem Hof der Franks haben, anders als früher, keine Namen mehr. Sehr wohl aber die Stiere: „Echtgut“, „Vulkano“ oder „Hades“ stehen zum Beispiel auf der Liste.

Im Stall angekommen zieht sich Josef Bauer einen großen Plastikhandschuh über den Arm. Dann verschwindet er fast bis zur Schulter in der Kuh, nimmt die Ampulle - fertig. Jetzt muss Thomas Frank hoffen, dass es geklappt hat. Bei etwas mehr als 50 Prozent liegt die Quote. Gewissheit hat er nach rund 40 Tagen, dann kommt Josef Bauer für diese Kuh wieder und untersucht sie auf Trächtigkeit. Doch erfreuliche Nachrichten gibt es schon heute. Josef Bauer untersucht drei andere Kühe der Franks, die er vor rund einem Monat besamt hat. Das Ergebnis: Alle drei erwarten Nachwuchs.

Es ist jetzt 14.45 Uhr.

Bildergalerie: der „Braunriederhof“ in Roding

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15 Uhr – Das Futter wird analysiert

Nicht alles kann und will Thomas Frank alleine wissen und entscheiden müssen. Nach dem Besamer kommt Markus Weinfurtner, selbstständiger Futterberater, auf den Hof.

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17.30 Uhr – Zurück im Stall

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