Erinnerungen
Er dachte: „Jetzt erwischt’s mich“

Franz Janker aus Tragenschwand erlebte als Panzerfahrer den Zweiten Weltkrieg. „Du weißt nicht, wohin du ziehst“, sagt er.

22.07.2015 | Stand 16.09.2023, 7:05 Uhr
Gregor Raab
Heute genießt er die Ruhe und die Sonne daheim in Tragenschwand (Gemeinde Traitsching). Doch im Leben von Franz Janker war es längst nicht immer ruhig und sonnig. −Foto: Raab

Die schrecklichen Eindrücke wird Franz Janker nie mehr vergessen: die Enge im Inneren des Kolosses, zischende Geschosse, quietschender Stahl, reglos am Boden liegende Soldaten. Im Zweiten Weltkrieg hat der 89-Jährige als Panzerfahrer ein unauslöschliches Trauma erlitten. Jahrzehntelang hatte er versucht, die belastenden Bilder zu vergessen. Trotzdem sieht er es heute als seine Pflicht an, seine Erlebnisse mit Appellen an die Nachwelt weiterzugeben.

Manches weiß Janker noch, als wäre es gestern gewesen. Etwa wie ein Aufklärungsflieger seinen unter einer Überführung versteckten Panzer entdeckte und nur um Haaresbreite verfehlte. „Die Detonation erschütterte die Brücke. Sie vibrierte und drohte über uns einzustürzen.“ Vieles ist im Lauf der Jahre in seiner Erinnerung aber auch verschwommen. Doch je länger das Gespräch am Tisch seiner Stube dauert, desto mehr bekommt der Zuhörer den Eindruck, als ob er noch mitten im Geschehen wäre.

Auf den Königstiger umgeschult

Zunächst leistete Janker in Irlbach für sechs Monate seinen Arbeitsdienst ab, bis er seine Grundausbildung in Bamberg antrat. Mehrere Wochen wurde der junge Rekrut, der bereits eine Schusterlehre begonnen hatte, mit militärischem Drill zum Panzerfahrer ausgebildet. Zunächst fand die Ausbildung auf einem Panzerkampfwagen III sowie dem Panzerkampfwagen IV des Herstellers Krupp statt, bis er schließlich auf seiner eigentlichen Kampfmaschine, dem Panther, detailliert eingewiesen wurde.

Zwar fällt es Janker schwer, sich an die Stationierungen in der Folge genau zu erinnern, jedoch blieben ihm aus seiner Ausbildungszeit Orte wie Fallingbostel in der Lüneburger Heide, Besigheim bei Heilbronn und Bamberg in Erinnerung. „Da kommt nachts der Befehl des Leutnants zum Aufbruch, dann packst du deine Sachen und fährst mit dem Tross weiter. Du weißt nicht, wohin du ziehst. Und wenn du ankommst, weißt du nicht einmal, wo du dich befindest.“

Von Saarbrücken aus wurde die Panzerdivision 6 im Sommer 1943 nach Chalais in Frankreich versetzt. Schließlich wurde Janker auf den Königstiger, den stärksten deutschen Kampfpanzer des Zweiten Weltkriegs, umgeschult. Ab dem Herbst spitzte sich die Lage in Nordfrankreich zu. In der Erwartung eines Angriffs der Alliierten verlagerte die deutsche Heeresleitung große Teile der Truppen an die Küste. Die Panzerkräfte waren aber fürs Erste nicht für die vorderste Front bestimmt. Die mächtigen Stahlkolosse sollten im Hinterland warten. Die Oberbefehlshaber erhofften sich durch diese Taktik einen größeren Eingriffsradius.

Als schließlich am 6. Juni 1944 die ersten feindlichen Boote in der Normandie landeten, befand sich Jankers Division in einem Waldstück bei der Kleinstadt Cherbourg. Er erinnert sich: „Wir wurden sofort in Bewegung gesetzt. Niemand hatte mit so einer Übermacht des Gegners gerechnet.“ Im Kampfgebiet spielten sich entsetzliche Szenen ab. Die Deutschen hatten der Überlegenheit der Alliierten nichts entgegenzusetzen.

Es wurde dunkel am Himmel

„Wir versuchten vergeblich, die Stellung zu halten. Hunderte von Flugzeugen donnerten über uns hinweg und ließen einen Bombenteppich herabregnen. Die vielen Fallschirmjäger verdunkelten den Himmel. Diese Invasion war nicht mehr zu stoppen. Ich dachte, das ist das Ende. Jetzt erwischt es mich“, denkt Janker zurück. In ihrer aussichtslosen Lage traten sie den Rückzug an, der ihnen nur unter großen Verlusten glückte. „Viele gute Leute mussten in diesem Gemetzel ihr Leben lassen, die haben die jüngeren nachrückenden und unerfahrenen Soldaten abgeschossen wie die Hasen“, erinnert sich Janker.

Ein Himmelfahrtskommando

Außerhalb der Gefahrenzone sammelten sich die aufgeriebenen Kompanien. Die Wehrmacht holte zum Gegenschlag aus, doch die Einsätze in den Wiesen und Feldern der französischen Provinzen waren ein Himmelfahrtskommando. Angetrieben von den Durchhalteparolen ihrer fanatischen Befehlshaber lieferten sich die Truppen mit den anrückenden Streitkräften schwere Gefechte und stellten sich dem Feind entgegen. Janker gelang es mit seiner Besatzung, mehrere Panzer abzuschießen. „Man musste immer aufs Ganze gehen. Entweder überleben sie oder wir“, bringt er die damalige Zwangslage auf den Punkt.

Die Stahlwände des Gefährts, das er steuerte, boten ihm Schutz vor dem Stahlgewitter des Schlachtfelds, die meisten Infanteristen, die sich hinter dem Heck seines Ungetüms verschanzt hatten, kamen aber im Kugelhagel um. Der Gegner war ihnen in den Kämpfen materiell und personell weit überlegen, so dass sie bei ihren verzweifelten Gegenoffensiven immer wieder stecken blieben.

Nach mehreren gescheiterten Operationen räumte die Armeeführung das Territorium. Das große Blutvergießen war vorläufig gestoppt. „Dann mussten wir die Toten aufsammeln und auf Wagen auflegen, keiner sollte zurückbleiben.“ Auf dem Weg nach Paris lauerten dennoch überall Gefahren. Hinter Hügeln, Waldrändern, oder Dörfern hatten sich französische Widerstandskämpfer verschanzt.

Bestärkt durch den alliierten Vormarsch kämpften sie enthusiastischer denn je und voller Pathos für die Befreiung ihres Landes. Franz Janker erinnert sich: „Vor ihnen mussten man sich besonders in Acht nehmen. Sie kamen aus dem Hinterhalt. Viele Kameraden sind ihnen zum Opfer gefallen.“

Der Krieg kannte bei diesen Auseinandersetzungen seine eigenen Gesetze, wie er sich erinnert. Sobald Jankers Panzerkommandeur einen versteckten Schützengraben entdeckte, steuerte er die Stellung an. Mit kreischenden Stahlketten rollte der Königstiger darauf zu. Die Männer darin ergriffen panikartig die Flucht. Der Richtschütze an Bord erledigte mit dem ratternden Maschinengewehr den Rest.

Janker musste dabei die Erfahrung machen, dass der Todbringer auch zur Todesfalle werden kann. So waren die behäbigen Panzer ständig den Angriffen feindlicher Kampfflugzeuge ausgeliefert. „Die Amerikaner hatten einen Fliegertyp, den hörte man schon aus der Ferne. Wir sagten immer Nähmaschine dazu, da er ähnlich klang.“

In Scheunen und im Wald versteckt

Tagsüber versteckten sie die Panzer meist in Scheunen oder unter Brücken und an Waldrändern. Nicht selten wurde der ganze Panzer eingegraben. Der Zug bewegte sich vorrangig im Schutz der Nacht weiter. Die Piloten der Tiefflieger konnten die fahrenden Kettenfahrzeuge aber wegen ihrer glühenden Auspuffrohre trotzdem ausfindig machen. „Ständig fielen Bomben vom Himmel, aber ich habe immer Glück gehabt“, sagt der 89-Jährige.

Das hatte er auch, als sein Tiger auf eine Mine fuhr. Durch die Wucht der Explosion wurde für den Bruchteil einer Sekunde der tonnenschwere Turm ausgehoben, der beim Zurückfallen den Richtschützen zerquetschte. Janker, der unter ihm am Steuer saß, überlebte die Detonation unverletzt.

Anschließend wurde er nach Ungarn übersetzt, um bei der Plattensee-Offensive den Vorstoß der Roten Armee Richtung Wien abzuwehren. Die Panzerdivision drang bis nach Budapest vor. Während der Straßenkämpfe wurde die Wehrmacht aber eingekesselt. „Die SS-Division Wiking hat uns wieder rausgeschlagen. Das waren ganz Fanatische. Die kannten keine Gnade – mit niemandem, außer den eigenen Leuten.“

Trotz dieses Coups wurden sie bis nach Österreich zurückgeschlagen. Die Mühen der Etappen ließen bei den Soldaten langsam den letzten Rest an Siegeswillen vergehen. In Österreich verschärfte sich durch die weit vorgestoßenen Amerikaner die Situation. In der Führungsebene herrschte das blanke Chaos. Die Einheiten wurden immer weiter zersprengt. „Wir nahmen nur noch vor dem Feind Reißaus. Wir ließen alles mitten im Nirgendwo liegen und stehen.“

Der Ring um sie schnürte sich dennoch immer weiter zusammen. Völlig von der Außenwelt abgeschnitten, stellten sie sich am Ende den Amerikanern. Sechs Monate lang musste Janker anschließend mit seinen Kameraden in einer österreichischen Sandgrube schuften. Als ein Gefangenentransport nach Nürnberg anstand, wurde er von den GI’s als Fahrer ausgewählt. Die Route in die fränkische Metropole sollte über Straubing führen, wo seine Schwester wohnte.

Mit Wucht in den Bombenkrater

Janker sah den idealen Zeitpunkt zur Flucht gekommen. Bereits vor der Abfahrt heckte der vom Heimweh Geplagte mit einem Kumpel aus Berlin einen Plan aus. Das Ziel bestand darin, den Truck durch einen Defekt zum Stehen zu bringen, um im geeigneten Augenblick das Weite zu suchen. Bei Straubing täuschte er einen Fahrfehler vor und steuerte den Transporter in einen Bombenkrater.

Das Kalkül ging auf. Die Achse war auf der Stelle kaputt, eine Weiterfahrt ausgeschlossen. „Der Amerikaner, der bei mir im Führerhaus saß, hat sich fürchterlich aufgeregt“, sagt er und lacht. Alle Mitfahrer wurden auf die übrigen Lastwagen verteilt. Janker und sein Kumpan durften dagegen beim Fahrzeugwrack ohne Bewachung zurückbleiben. Als die Blechkarawane aus ihrer Sichtweite war, machten sie sich aus dem Staub.

Zunächst versteckten sie sich auf einem Friedhof. Anschließend suchten sie einen Bekannten von Jankers Schwester auf, der sie in einem Mistwagen auf einem Floß über die Donau und nach Hunderdorf brachte. Querfeldein schlugen sich die beiden unbemerkt bis nach Tragenschwand durch. Selbst nach Kriegsende mussten sie sich aber vor den durch das Dorf patrouillierenden Soldaten verstecken, da sie keinen gültigen Entlassungsschein vorweisen konnten. Allmählich entspannte sich aber die Situation.

Nach den Wirren des Krieges krempelte der „Abraham Franz“, wie ihnen alle Freunde liebevoll nennen, die Ärmel hoch. Er übernahm die Landwirtschaft seiner Eltern und baute nebenbei ein kleines Fuhrunternehmen auf. 1954 trat er mit seiner Frieda vor den Traualtar. Drei Söhne und zwei Töchter gingen aus der Ehe hervor. Zehn Enkel und sechs Urenkel komplettieren inzwischen seine Familie.