Lebensretter
Wenn jede Sekunde fürs Überleben zählt

An diesem Dienstag werden in Regensburg Menschen geehrt, die in Sattelbogen Klemens Simml vor dem Verbluten retteten.

22.01.2018 | Stand 16.09.2023, 6:12 Uhr

Klemens Simml zeigt, wo ihn die Flex verletzt hat. Foto: Klöckner

Die Arbeit am Balkon, wo es passiert, in der Thannried Straße in Sattelbogen, haben Dominik und Benjamin Simml für ihren Vater nach dem Unglück beendet. Dort steht am 12. Juni 2017 gegen 16 Uhr ein Gerüst, um die Farbe von den Balkonbrettern abschleifen und diesen neu streichen zu können. Darauf kniet Klemens Simml, drei Tage nach seinem 47. Geburtstag, mit der kleinen Flex in der Hand und seinem heute 18-jährigen Sohn Benjamin.

Der Dritte auf dem Balkon, der 14-jährige Sohn Dominik Simml, ist ins Haus gegangen – um Geschnetzeltes zu braten, soweit er sich am Freitag vergangener Woche erinnert. Denn dazu kommt er nicht mehr – wenig später rettet er mit seinem Bruder sowie mit Carina Wanninger und Stefan Weiß das Leben des Vaters. Dafür bekommt das Quartett an diesem Dienstag aus der Hand von Regierungspräsident Axel Bartelt eine Anerkennungsurkunde bei der Regierung der Oberpfalz – für eine vorbildliche Erste-Hilfe-Leistung in einem schwierigen Fall.

Der Zufall half mit

Denn es hätte die letzte Geburtstagsfeier von Klemens Simml sein können, wenn nicht die vier da gewesen wären. Einer allein mit dem Schwerverletzten wäre zu wenig gewesen, selbst mit zwei Helfern wäre es schwer geworden, ein Verbluten zu verhindern, da einer Hilfe holen musste. Wie der Zufall so spielt, ist Carina Wanninger, die auch in Sattelbogen wohnt und im Stall hinter dem Haus der Familie Simml ihr Pferd stehen hat, an diesem Montag eigentlich gar nicht vor Ort. „Ausnahmsweise war ich da, sonst komme ich freitags!“, sagt sie. Der Anlass: Ihr Pferd bekommt neue Hufe – deshalb ist auch Hufschmied Stefan Weiß aus Geiersthal mit ihr vor dem Stall. Bis sie die Hilferufe hören.

Die Flex reißt tiefe Wunden

Was ist passiert? Es passiert das, was passieren kann: „Die Flex verkantet zwischen zwei Brettern oder an einer Schraube“, erinnert sich Klemens Simml. Sie schlägt ihm auf den Unterarm und reißt ihm dort eine klaffende Fleischwunde. „Ich habe sie dann fallengelassen!“, sagt der 47-Jährige.

Sie landet auf seinen Oberschenkeln – und sägt ihm eine tiefen L-Schnitt in die Innenseite des linken Oberschenkels. „Ich habe das gar nicht gemerkt – ich stand wohl unter Schock wegen des Unterarms“, vermutet er. Erst als er runterschaut, sieht er das eigentliche Malheur, eine zerfetzte Arbeitshose und viel Blut rund um die weiter rotierende Flex.

Dann knien Dominik Simml und Stefan Weiß am linken Bein des Verletzten, versuchen mit Verbänden und durch Abbinden mit einer Hundeleine die Blutung zu stillen. Doch der Druck ist zu groß. Immer noch quillt Blut aus der großen Wunde. Sekunden, die entscheiden. Jeder der vier, so Carina Wanninger, habe im Kopf nach einer Lösung aus dem eigenen Erste-Hilfe-Kurs gesucht. Es kommt Klemens Simml zugute, der die ganze Zeit bei Bewusstsein ist und von Carina Wanninger immer wieder angesprochen wird, dass dem Quartett Erste Hilfe kein Fremdwort ist. Die engagierte Wasserwachtlerin etwa belegt alle zwei Jahre einen Kurs zur Auffrischung, Sohn Dominik hat gerade erst einen an der Mittelschule Roding absolviert. Ihm fällt in der Dramatik des Augenblicks das Entscheidende ein – sie nehmen einen Holzscheit, um damit zu zweit auf die Wunde zu drücken. Das funktioniert besser.

Endlos lange 15 Minuten

Benjamin Simml eilt währenddessen zur Hauptstraße im Dorf, um Notarzt und Sanitäter zu lotsen. Zu verwinkelt liegt das Haus. „Da sind die 15 Minuten lang geworden, bis die Notärztin da war“, erinnert sich Carina Wanninger: „Die hat uns dann gefragt, ob wir mit Infusionen Bescheid wissen.“ Da müssen sie passen. Die Ärztin legt an jeden Arm eine Infusion, um den Körper schnell mit Flüssigkeit zu versorgen.

Klemens Simml bekommt ein Betäubungsmittel, wird wenig später intubiert und beatmet. Der Rettungshubschrauber landet auf der Pferdekoppel, bringt den Schwerverletzten zur Intensivstation der Barmherzigen Brüdern. Und lässt ein Quartett zurück, das jetzt erst richtig begreift, was geschehen ist. „Ich habe erst einmal fünf Zigaretten geraucht mit dem Polizisten“, lacht Carina Wanninger.

So etwas Dramatisches erlebt man nicht jeden Tag, da sind sich Dominik Simml und Mutter Sonja Simml sicher. Die Krankenschwester ist an dem Montag wenig später von der Arbeit in Regensburg nach Hause gekommen, hat Polizei, Sanitäter und den Auflauf gesehen – ohne zu wissen, was passiert ist. Sie sieht noch den Hubschrauber davon fliegen, doch auf dem Hof sei es seltsam ruhig gewesen und der Polizist am Eingang habe sie nicht weitergehen lassen wollen.

Klemens Simml, der beim Autohaus Cham arbeitet, kann heute im Juni gleich zweimal Geburtstag feiern. Er hat auch nach einem halben Jahr noch mit den Folgen des Unfalls zu kämpfen, die Innenseite des Beins ist taub und die Bewegungsmöglichkeiten sind eingeschränkt. Doch er hat überlebt – dank der vier Helfer.

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