Hilfe in Cham
Lichtsteine sorgen für lächelnde Senioren

Das BRK wurde von einer Lawine von 339 bemalten Steinen überrollt, die Heimbewohnern in Willmering Glücksmomente bescheren.

16.03.2022 | Stand 15.09.2023, 6:45 Uhr
Aus einem Stein und einem Facebook-Post wurde eine Riesensache: 339 bunt bemalte Steine übergaben Susanne Koller (2. v. li.) und Annette Grund (re.) an Karin Soukup (2. v. re.) −Foto: Frank Betthausen, BRK

Sie wollten schon immer einmal wissen, wie viel Freude ein bunter Stein auslösen kann? Vor der Käsetheke im Supermarkt, am Eingang zur Bankfiliale, neben dem Wanderweg oder in einer Tagespflege-Einrichtung, wie sie das Rote Kreuz in Willmering betreibt? Dann sollten Sie diese Geschichte lesen! Sie handelt von einer Facebook-Gruppe, einer heimlichen Grußbotschaft – und davon, wie aus drei Steinen in wenigen Tagen 339 werden…

Die Geschichte beginnt am 16. Februar, als Karin Soukup, die Leiterin der BRK-Tagespflege in der Willmeringer Schulstraße, vor der Tür einen rot bemalten Stein entdeckt. Auf der Vorderseite steht das Wort Liebe – auf der Rückseite sind neben der Aufforderung „finden, freuen, posten“ die Initialen AG und der Hashtag #Lichtsteine zu finden.

Ein wenig Liebe vorbeigebracht

Die 46-Jährige gehört der seit Januar bestehenden Facebook-Gemeinschaft Lichtsteine an (siehe Infoteil). Grund lebt in Etterzhausen bei Regensburg und arbeitet in der Objektleitung bei der Wackler Group. Für das Facility-Management-Unternehmen ist sie an zwei Tagen pro Woche am Bürostandort in Willmering tätig – in direkter Nachbarschaft zur BRK-Tagespflege.

„Meine Mutter, die 2019 gestorben ist, hat auch eine solche Einrichtung besucht“, erzählt sie. „Ich habe mir gedacht: Mein Gott, was hätte sie sich gefreut, wenn sie so einen Stein gefunden hätte!“ Also nutzte sie einen ihrer Arbeitstage in Willmering, um im Innenhof in der Schulstraße drei Steine zu verstecken – einen, das Herz, fand Soukup gleich, einen zweiten entdeckte sie am nächsten Morgen, der dritte blieb verschollen…

Der Verlust wog jedoch nicht allzu schwer, denn mit der Berichterstattung über Annette Grunds Geste kam, um im Bild zu bleiben, ein Stein ins Rollen, der selbst BRK-Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner in Staunen versetzte. Die Macher der bundesweiten Initiative Lichtsteine freuten sich so sehr über den Artikel, den das BRK bei Facebook und Insta-gram veröffentlichte, dass Administratorin Susanne Koller spontan per Messenger anfragte, für wie viele Mitarbeiter und Senioren der Kreisverband denn Steine benötige.

Die Verantwortlichen nannten der 40-Jährigen aus Köfering bei Regensburg, die in der Leitstelle des Krankenhauses Barmherzige Brüder arbeitet, 35 Tagesgäste und zwölf Mitarbeiter – dazu die neun Bewohner und 14 Beschäftigten der Senioren-Wohngemeinschaft im Stockwerk oberhalb, die ebenfalls bedacht werden sollten. 70 Steine! Mehr als genug, dachten sich Karin Soukup und ihre Kollegin Bettina Alt, die Leiterin der Senioren-WG.

Was dann geschah, müsste in Stein gemeißelt werden: Koller machte in „ihrer“ zu diesem Zeitpunkt 339 Mitglieder umfassenden Facebook-Gruppe für das Rote Kreuz mobil – um nur knapp eineinhalb Wochen später gemeinsam mit Annette Grund fünf Körbe mit prächtig bemalten Steinen in Willmering vorbeizubringen. 339 Exemplare waren zusammengekommen – fast fünfmal so viele wie vereinbart und exakt so viele, wie die Gruppe zu diesem Zeitpunkt Aktive hatte.

Hobbykünstler aus Leverkusen, Dortmund, Dresden, Hamm und Kiel hatten zum Pinsel oder Acrylstift gegriffen, um den BRK-Beschäftigten und Senioren im fernen Landkreis Cham ein Lächeln übers Gesicht huschen zu lassen. Und wie immer, wenn es um die Initiative Lichtsteine geht, machten alle mit: Frauen, Männer, Rentner, Kinder, Jugendliche.„Einer hat 30 Stück gemalt“, berichtet Koller. Wie Grund hat die 40-Jährige immer fünf, sechs oder noch mehr Steine in ihrer Tasche dabei, um sie an passenden Orten und bei stimmigen Gelegenheiten irgendwo abzulegen.

Vieles geschieht ganz spontan – etwa wenn sich Koller entschließt, einen Stein im Vorbeigehen einem Kind im Supermarkt vor die Füße „fallen zu lassen“. Oder wenn sie an einem älteren Herrn vorübergeht und ihm fast unbemerkt eine der „Grußbotschaften“ in den Korb legt, der an seinem Rollator befestigt ist. Um den Wiedererkennungswert zu steigern, beschriften die Gruppenmitglieder ihre Werke mit ihren Initialen oder ihrer Postleitzahl. „Einer meiner Steine ist siebenmal gepostet worden“, sagt Koller. Mehrfach im Bayerischen Wald, in Tschechien… Ein anderer sei plötzlich am Gardasee aufgetaucht.

Der Finder darf entscheiden

Grundsätzlich werden fünf bis zehn Prozent der Steine abgelichtet und in den sozialen Netzwerken gezeigt. Der Rest? „Der Finder darf entscheiden, was er macht – ob er den Stein behält oder wieder versteckt“, erklärt Koller. Viele Menschen verschenken ihn nach ihren Erfahrungen oder behalten ihn als Glücksbringer. So wie die Bankangestellte, an deren Schalter Annette Grund einen ihrer Steine wiederentdeckte – oder die Supermarkt-Mitarbeiterin, die ihren Talisman direkt neben der Kasse abgelegt hatte…

Und die Arbeit mit den Steinen? Wie schwer ist die? Koller muss lachen. Sie sei eine typische Vierer-Schülerin in Kunst gewesen und habe anfangs an ihrem Talent gezweifelt. Bis sie sich einen Ruck gab und sich sagte: „Ein Herz und einen Spruch – das schaffst du schon irgendwie.“ Mittlerweile bemale sie seit rund zwei Jahren Steine. „Und man wird tatsächlich immer besser“, sagt sie. Und: Jeder entwickle mit der Zeit seinen eigenen Stil. „Man erkennt die Steine der anderen Mitglieder“, sagt Grund über die Gruppe Lichtsteine, die mit Lumi ein eigenes Maskottchen hat.

Zum Bemalen eignen sich nach ihren Worten fast alle Arten von Steinen, die sich beim Sonntagsspaziergang oder beim Gassigehen mit dem Hund finden – bevorzugt formschöne, glatte Flusskiesel. Nur aus Beton oder selbstgegossen sollte die „Malunterlage“ nicht sein: Diese Steine werden brüchig, wenn sie länger der Witterung ausgesetzt sind und eignen sich laut Grund nicht für das Hobby. Und keiner der Künstler weiß schließlich vorher, über welchen Zeitraum hinweg seine Arbeit in der freien Natur Regen, Schnee und Sonne standhalten muss.

Koller entdeckte ihren ersten Stein an einem besonders emotionalen Tag. Im Frühjahr 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, die sie als Krankenhaus-Beschäftigte zu diesem Zeitpunkt doppelt aufwühlte, kam sie am dritten Todestag ihres Vaters vom Friedhof. Sie war in Gedanken, betrübt, unsicher… Auf einmal fiel ihr Blick auf eine Parkbank vor dem Eingang. Dort lag ein Stein mit der Aufschrift „Lebe, liebe, lache“: für Koller ein Mutmacher! Und: der Anstoß, anderen Menschen mit eigenen Steinen Gutes zu tun!

Welche Wirkung die Arbeit der 40-Jährigen und ihrer Facebook-Mitstreiter hat, wird überdeutlich, als sie an diesem Nachmittag mit Annette Grund, Karin Soukup und Bettina Alt in der Tagespflege und der Senioren-WG in Willmering einen Teil der 339 Steine verschenkt, die bei der deutschlandweiten Malaktion zusammengekommen waren.

Ziel:Boom:
Die Mitglieder haben es sich zum Ziel gesetzt, Steine liebevoll-kreativ mit Acrylfarbe zu bemalen, mit wetter- und lichtfestem Lack zu überziehen und sie öffentlich auszulegen. Allen Findern wollen sie so kleine Glücksmomente im Alltag bescheren.Das Hobby, das aus den USA seinen Weg hierher fand, erlebt in Deutschland seit dem ersten Corona-Lockdown einen großen Boom.

Eine ältere Dame fragt kindlich-aufgeregt, ob sie einen zweiten nehmen dürfe… Ein Mann mit Brille und Schnauzer legt seinen Stein still vor sich auf dem Tisch ab und lächelt sekundenlang selig vor sich hin. Und ein Herr mit Glatze und grauem Haarkranz tut es ihm gleich. Er hat heute Hochzeitstag! Der Stein, den er sich ausgesucht hat, ist bunt gemustert und hat ein großes Herz in der Mitte. Nach dem Rundgang durchs Haus bleiben weit mehr als 250 Steine übrig. Sie sollen auf weitere BRK-Einrichtungen und an weitere Rot-Kreuz-Mitarbeiter im Landkreis Cham verteilt werden…