Lebensrettend
Auf den 60. folgt der erste Geburtstag

Von Herzen dankbar ist Wolfgang Brey im wahrsten Wortsinn einem fremden Toten: Dessen Herz schlägt jetzt in dem Neustädter.

15.06.2018 | Stand 16.09.2023, 6:06 Uhr

Nach Monaten auf der Intensivstation hat Wolfgang Brey jetzt Zeit, zusammen mit seiner Frau Christine all die Briefe, Karten, Zeichnungen, gute Wünsche nochmal zu sichten, die ihn in seinen schwersten Monaten am Leben gehalten – genauso wie die Unterstützung seiner Frau und der beiden Töchter. Foto: Hutzler

Ein dreiviertel Jahr Klinik, 18 Operation, Komplikationen wie aus dem Lehrbuch: „Medizinisches Wunder“ darf man es da getrost nennen, wie gut gelaunt Wolfgang Brey heute dasitzt: mager zwar und noch geschwächt, aber fast wieder „ganz der Alte“, der umtriebige Herzblut-Pädagoge. Den jetzt ein neues Herz antreibt.

Eine Virusgrippe, vor Jahren, hat alles Übel ausgelöst, davon ist Wolfgang Brey heute überzeugt. Im Bett bleiben? Kam für den Leiter der Aventinus-Mittelschule Abensberg nicht in Frage – Penizillin und Sauna, das musste reichen. „War natürlich grundfalsch“, sagt er reumütig. Die Folge spürte der Bad Gögginger ab 2012 schleichend. Das Joggen fiel immer schwerer, irgendwann wurde jeder Schritt zu viel. Die Ärzte stellten bei ihm eine Herzmuskel-Erkrankung fest (dilatative Kardiomyopathie) und setzten ihm einen Defibrillator ein – er registriert, wenn das Herz aus dem Takt gerät und bringt es per Stromstoß wieder in seinen Rhythmus.

Einige Jahre kämpfte Brey mit Defi und Medikamenten noch gegen seine sinkende Belastbarkeit an. Aber an einem Freitag im Herbst 2016 eröffneten ihm die Ärzte am Universitätsklinikum Regensburg (UKR): „Ihnen hilft nur noch eine Herz-Transplantation“.

„Warum ausgerechnet ich?!“

„Ich war fertig“, sagt der heute 60-Jährige über diesen Augenblick. „Ich hab’ nie geraucht, nie gesoffen, nie übertrieben“ – ausgerechnet ihn trifft so was? Dazu die Aussicht auf eine schwere Operation – und vor allem die bange Frage: Findet sich überhaupt ein passender Spender??

Doch für eine Transplantation ging es Brey damals sowieso noch zu „gut“.

Das änderte sich Anfang 2017 rapide. Drei Mal verpasste ihm sein Defi lebensrettende Stromstöße. Im März kam er stationär ins Rodinger Krankenhaus, das in Kooperation mit dem UKR Herztransplantations- Patienten betreut; im April wurde er ans UKR verlegt. Am 25. April, das Datum weiß Christine Brey noch heute, sagte Professor Dr. Christof Schmid, Leiter der UKR-Klinik für Herz-, Thorax- und herznahe Gefäßchirurgie, klipp und klar zu ihr und den beiden Töchtern: „Ohne Kunstherz überlebt Ihr Mann die nächste Nacht nicht“. Der Schritt, gegen den sich Brey Monate gesträubt hatte, wurde unvermeidlich.

Warten in höchster Dringlichkeit

Seine Frau holt eine Pappkiste, herein. Ein Kästchen darin: das Kunstherz, das ihr Mann an jenem Tag eingesetzt bekam. Dazu ein dicker Schlauch, der aus dem Körper nach draußen führte, und schwere Akkus. Sport, Baden, selbst Duschen – für immer vorbei, der Infektionsgefahr wegen. Wolfgang Brey schüttelt den Kopf: „Das wäre nicht mein Leben gewesen!“ Damals war es sein Lebensretter, zusammen mit einem maschinellen Herz-Lungen-Bypass (ECMO). „Überall aus meinem Mann standen Drähte und Schläuche raus“, sagt Christine Brey schaudernd. Einen inneren Infektionsherd mussten die UKR-Ärzte mit neuen Operationen bekämpfen – „ich hab’ wirklich alles mitgenommen“, umschreibt Wolfgang Brey seine laut Prof. Schmid „sehr untypische“ Häufung von Komplikationen.

Parallel dazu mühte sich der Leiter des Bereichs Herztransplantation, Prof. Dr. Stephan Hirt (Christine Brey: „unser Engel“), Wolfgang Brey auf die „High-Urgency“-Liste für ein Spenderherz zu bekommen. Ende Juli glückte es – aber die erste acht-wöchige Listung verstrich, ohne passendes Organ.

Noch eine Listung, die acht Wochen fast schon vorbei – da kam Hirt am 25. Oktober nachts in Breys Zimmer: „Wir haben ein Herz für Sie!“ Und eilte zum Flugzeug, um am folgenden Vormittag an einer anderen Klinik dem toten Spender das lebensrettende Herz zu entnehmen. Einem Mann, der 28 Jahre alt wurde, weiß Brey. „Ich hab’ mir vorher überlegt: Wie gehst Du mit dem fremden Herz um? Aber ich hatte kein Problem, es zu akzeptieren. Ich bin dem Spender einfach unendlich dankbar.“

Mit dem Stationsteam freute sich Familie Brey riesig – „dass was schiefgehen könnte, haben wir verdrängt“, sagt Christine Brey: „Wir hatten grenzenloses Vertrauen in die Ärzte“. Um 17 Uhr die erlösende Nachricht von Transplanteur Christof Schmid: OP geglückt! Und Breys Körper akzeptierte das fremde „Bauteil“. Es dauerte aber noch Wochen, bis er überm Berg war. Essen war ihm damals ein Gräuel, der 81-Kilo-Mann magerte bis auf 53 Kilo ab. Am 23. Dezember 2017 gaben die Ärzte seinem Drängen nach und entließen ihn heim.

Über Ärzte und Pflegekräfte der UKR sind er und seine Familie voll des Lobes – „sie haben uns immer unterstützt und aufgebaut“. Aber alle Heilkunst hätte trotzdem nicht gereicht, ist Wolfgang Brey nach diesen schweren Monaten überzeugt: Dass seine Familie ihn jeden einzelnen Tag besucht hat, „hat mich am Leben gehalten“ – und dass ihm so viele Menschen Mut gemacht haben. Schüler und ihre Eltern, Politiker, Vereinsvertreter – eine ganze Schachtel voller Briefe, Zeichnungen, guter Wünsche hat er gesammelt.

„Da kann man ja nicht alles falsch gemacht haben“, sagt Wolfgang Brey lächelnd. Und reaktiviert allmählich den lange verdrängten Schulleiter in sich wieder. Froh ist er zwar, dass er noch bis 1. September Zeit zur Erholung hat – aber spätestens dann will er wieder angreifen: „Ich bin ein Kämpfer.“

Im Interview mit der Mittelbayerischen erklärt Prof Dr. Christof Schmid, Leiter der Klinik für Herz-, Thorax- und herznahe Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Regensburg, die medizinische Seite der Transplantation:

Wie oft finden am UKR Herztransplantationen statt?

Zwischen 10 und 15 pro Jahr, letztes Jahr waren es 11.

Und wie viele wären nötig gewesen?

Auf unserer Warteliste waren letztes Jahr 37 Patienten, die kein Spenderherz erhalten haben.

Wie erfolgt die Auswahl?

Hauptkriterien sind Dringlichkeit (normal oder hoch dringlich wartend), die Wartezeit, Blutgruppe (A, B, O), Alter und Größe/Gewicht. Die Auswahl trifft ein Computer bei der Stiftung Eurotransplant im niederländischen Leiden.

Wie verläuft, vereinfacht, eine Herztransplantation?

Nachdem ein Spenderorgan angeboten wurde, fährt ein Entnahmeteam zum Organspender, inspiziert das Organ und entnimmt es im Rahmen einer Multiorganentnahme. Zeitgerecht geht der Empfänger in den Operationssaal und wird durch das zweite OP-Team vorbereitet. Nach telefonischer Mitteilung, dass das Spenderorgan gut ist und entnommen wurde, kann die Empfänger-Operation beginnen. Idealerweise ist der Patienten soweit vorbereitet (also auch an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen), dass das kranke Herz unmittelbar entfernt werden kann, wenn das neue Herz zur Tür hereinkommt. Das alte Herz wird entfernt und das neue eingenäht. Sobald dies ausreichend funktioniert, kann die Herz-Lungen-Maschinen-Unterstützung und dann die OP beendet werden.

Ist eine Herz - die schwierigste Transplantation?

Nein. Eine normale Herztransplantation ist technisch relativ einfach, das postoperative Management kann dennoch schwierig sein. Schwierig(er) wird’s bei Voroperationen (frühere Herzoperationen oder Kunstherzunterstützung), und wenn das neue Herz nicht gut funktioniert.

Wie hoch ist die Lebenserwartung mit einem „neuen“ Herzen?

Im Durchschnitt leben die Patienten laut großer weltweiter Registerstudien etwa 12 Jahre, vereinzelt aber weit über 20 Jahre. (hu)

Der Bad Gögginger Wolfgang Brey ist nicht der einzige Landkreis-Bürger, der mit einem Spenderorgan lebt. Im Jahr 2014 brauchte eine Mainburgerin quasi „über Nacht“ eine neue Leber.Die dramatischen Umstände ihrer Transplantation hat sie damals der Mittelbayerischen geschildert.

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