Interview
Bayern und Türken ticken gleich

„Isartürkin“ Deniz Aykanat erklärt, warum Bayern und Türken, obwohl sie sich ähnlich sind, nicht unbedingt verstehen.

15.05.2019 | Stand 16.09.2023, 5:33 Uhr

„Isartürkin“ Deniz Aykanat arbeitet in München, wuchs dort auf und lebt in Regensburg. Ihre Wurzeln liegen mütterlicherseits in Riedenburg. Foto: Ulrike Gasser

Deniz Aykanat lebt in Regensburg und arbeitet in München. Ihr Vater ist Türke, ihre Mutter Deutsche. Ihre Wurzeln liegen aber im Landkreis Kelheim – ihre Mutter stammt aus der Nähe von Riedenburg. Die Münchnerin hat mit ihrer SZ-Kolumne „Isartürkin“ für Furore gesorgt, die sie auch in ein Buch gegossen hat. Im MZ-Interview spricht sie darüber, was bei der Integration falsch läuft, dass Bayern und Türken eigentlich gleich ticken – sich aber doch oft nicht verstehen – und warum in ihrem Elternhaus beinahe täglich Abensberger Spargel auf den Tisch kommt.

Frau Aykanat, ihr erster Eindruck vom Landkreis Kelheim war nicht so toll – Sie wurden bei einer Familienfeier in eine Güllegrube geschubst. Hat das Ihre Beziehung zur Region nachhaltig gestört?

Bei einer Familienfeier war ich zumindest nicht mehr. Aber in der Region war ich öfter – vor allem bei Radltouren zwischen Beilngries, Kelheim und Regensburg mit meiner Mama, ihrer Schwester und meiner Cousine. Da gibt es auch eine witzige Geschichte.

Erzählen Sie!

Wir waren mit dem Rad unterwegs, hatten keine Unterkunft gebucht. In Dietfurt war Kirchweih – alles war belegt. In einem Wirtshaus brannte noch Licht. Meine Cousine fragte – auf Berlinerisch – nach einem Zimmer. Sie hatten keins. Als meine Mama dann auf Bairisch nachfragte, bekamen wir eins bei der Wirtin zu Hause. Der Dialekt macht’s aus. Regelmäßig komme ich aber nach Gundelshausen. Dort gehen wir als Familie gerne ins Gasthaus Kellner. Außerdem ist Schneider Weisse das Lieblingsbier meines Mannes. Wir haben also schon eine gewisse Verbundenheit zum Landkreis.

Sie wuchsen aber nicht hier auf, sondern im Wechsel in München und in Marmaris – wo sehen Sie ihre Heimat?

In Deutschland. Nein, in Bayern – das ist ein gewaltiger Unterschied. Das hat schon mein Papa gesagt. Seine erste Station in Deutschland war der Ruhrpott, dann ging es nach Bayern – und hier wurde er mit Deutschland warm.

Woran liegt das?

Weil sich Bayern und Türken ähnlicher sind, als Bayern und Norddeutsche. Die Mentalität passt sehr gut zusammen. Temperament, ein gewisser Grant und Herzlichkeit – das ist bei Bayern und Türken sehr ähnlich.

Dennoch funktioniert das Zusammenleben nicht unbedingt – schreiben Sie auch in Ihrem Buch.

Es gäbe wunderbare Anknüpfungspunkte, aber man kennt sich ganz einfach zu wenig. Außerdem hat die Belastung der außenpolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei ihr Übriges getan. Das wurde eins zu eins auf die Gesellschaft hier übertragen. Alte Vorurteile kamen wieder hoch.

In Kelheim gibt es große Vorbehalte wegen des Kaufs eines Sportzentrums durch die Türkisch-islamische Gemeinde Ditib.

Das wundert mich nicht. Jahrzehnte lang ist sehr viel falsch gelaufen. Anfangs gab es ein Sprachproblem – wenn man nicht redet, entwickelt sich nichts. Das gibt es zwar heute nicht mehr, aber der Wille zur Integration ist teils abhanden gekommen. Viele Türken haben sich in ihrem Außenseitertum eingerichtet, leben abgeschottet in ihren Vierteln. Gerade Verbände wie Ditib orientieren sich zudem stark an der Türkei – auch weil sie vom deutschen Staat lange ignoriert wurden. Beide Seiten sind in einer Bringschuld, sollten ganz offen miteinander kommunizieren. Es gab während der Flüchtlingskrise 2015 ein paar Lichtblicke – aber das ist schon wider dahin.

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Welche Lichtblicke waren das?

Es hört sich erstmal komisch an, aber es kamen eben viele neue Ausländer, die den Deutschen noch fremder waren als die Türken. Damit kamen die Türken, die schon in dritter Generation hier lebten, den Deutschen näher – und wurden plötzlich als Gewinn gesehen: Als Dolmetscher, Integrationspersonen. Ihre Expertise und Qualitäten wurden endlich wahrgenommen. Dann kam der Putschversuch und seine Folgen in der Türkei – und alles war wieder dahin.

Merken auch Sie selbst diese Vorbehalte?

Im Alltag eher weniger, weil ich durch mein „deutsches Aussehen“ sozusagen undercover unterwegs bin. Aber wenn ich Artikel über die Türkei schreibe und dann mein türkischer Name drüber steht, dann gibt es schon Vorbehalte. Ich könne das gar nicht neutral beurteilen und dürfe bestimmte Sachen ja gar nicht, wird mir dann vorgehalten. Völliger Quatsch.

Ihr Name machte Ihnen aber auch schon im Alltag Probleme.

Ja, bei der Wohnungssuche. Es hagelte Absagen. Als ich es dann unter meinem zweiten Vornamen – Anna – und dem Mädchennamen meiner Mutter versuchte, wurde ich plötzlich zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen.

Dennoch haben Sie auch nach Ihrer Hochzeit Ihren Namen behalten. Warum?

Ich habe mit und wegen meines Namens schon so viel durchgemacht, da wäre es mir wie ein Einknicken vorgekommen, ihn abzulegen.

Ihr Sohn trägt aber den Nachnamen Ihres Mannes.

Ja, weil man der Realität ins Auge blicken muss. Ich kenne die Nachteile, die ein ausländischer Name mit sich bringen kann. Das wollte ich ihm ersparen.

Ihr Vater hatte laut den Aussagen in Ihrem Buch weniger Probleme – Sie beschreiben ihn als Prototyp des integrierten Türken.

Er spricht perfekt Deutsch und hat sich hier gleich auch mit Deutschen angefreundet. Einen rein türkischen Freundeskreis wollte er nie. Er hat immer gesagt, den hätte er ja in der Türkei. Er ging immer offen auf Menschen zu und liebt die bayerische Lebensweise.

Zu der gehört aktuell auch Spargel – da hat ihr Vater einen klaren Favoriten.

Abensberger Spargel. Bei ihm kommt kein anderer auf den Tisch. Papa sagt, der sei am zartesten, schmecke am buttrigsten und sie von der Qualität und vom Preis-Leistungsverhältnis her überragend – er hat das über Jahre hinweg ausgiebig getestet.

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Ist es bald zu trocken für Spargel-Anbau rund um Abensberg?

Auch vor Ort in Abensberg?

Er hat seine speziellen Bezugsquellen in München, aber wir waren schon in Abensberg. Tolle Altstadt, der einzigartige Hundertwasserturm und gutes Bier vom Kuchlbauer – da kann man es aushalten.

Sie leben ja nun in Regensburg, da ist Abensberg nicht weit weg. War eigentlich ein Umzug in die Türkei jemals Thema?

Für meine Eltern oder für mich?

Sowohl als auch.

Bei meinen Eltern war es ein Hin und her. Mein Papa hatte einen guten Job in Marmaris in der Türkei: Er leitete eine Schiffsbasis für Touristen und war Schreiner – er hatte als Türke gute Geschäftsbeziehungen und zudem als in Deutschland ausgebildeter Schreiner das Label „Made in Germany“. Die Leute rannten ihm die Bude ein. Er sagt öfter, dass er in der Türkei ein reicher Mann geworden wäre. Aber meine Mama wollte unbedingt wieder arbeiten. In Ihrem Beruf als Krankenschwester. Das war in der Türkei nicht möglich. Deshalb blieben sie hier.

Und bei Ihnen?

Für mich käme es allenfalls für eine gewisse Zeitspanne in Frage. Ich habe schon während meines Studiums in Istanbul gemerkt, dass mir Bayern fehlt. IN einer Metropole wie Istanbul fehlt mir die bayerische Gemütlichkeit.

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