Award
Eine Portion Pep fürs Arbeitstier

Wer bei Design nur an Handtaschen denkt, ist falsch gewickelt. Carolin Paintner verpasste einem Roder preiswürdige Optik.

20.04.2018 | Stand 16.09.2023, 6:07 Uhr

Das Schwergewicht mit Designerin Carolin Paintner und Marketingleiter Maximilian Englbrecht Foto: Weigert

Ob Marketingleiter Maximilian Englbrecht tatsächlich mit einer Zusage gerechnet hat bei seinem Angebot? Die Reporterin dürfe den Tiger gerne ein Stück Probe fahren? Die kann zwar Autos in Parklücken bugsieren. Aber der Tiger ist von seinen Dimensionen her so ziemlich das Gegenteil von jeder Art von Auto. 15 Meter lang, mit Vorbau und einem Riesenbunker hintendran. Einer Fahrerkabine, in die man erst einmal über eine Leiter gut zwei Meter hochkraxelt und die eher ein Cockpit ist. Unter der „Haube“ im Heck 768 Pferdestärken.

Der Tiger 6 ist der neueste Zuckerrüben-Roder des Sittelsdorfer Erntemaschinenbauers Ropa – und neuerdings preisgekröntes Designobjekt. Er zählt zu den Siegern des Red Dot Design Awards 2018 (s. Infostück), in der Kategorie Nutzfahrzeuge. Verantwortlich für die Tiger-Optik zeichnete Carolin Paintner.

Von Mode zur Maschine

Vor fünf Jahren sprang die studierte Mode-Designerin im Familienunternehmen ins kalte Wasser, wie sie sagt. Von Mode und Filmausstattung zur Erntemaschine – für die 33-Jährige ist das kein Widerspruch. „Design hat im Endeffekt mit einer Botschaft zu tun, die man vermitteln will. Mit Emotionen.“ Wer etwas von der Materie verstehe, könne das – egal ob bei einem Kleidungsstück oder einem Rübenroder.

Sehen Sie in unserem Video, wie der Tiger aussieht und sich anhört und noch einiges mehr:

Die vergangenen drei Jahre beschäftigte Carolin Paintner der Tiger 6. Bei einem Quartettspiel könnte man allein mit dessen inneren Werten Mitspieler ausstechen. Der Dreiachser bringt leer ohne Zuckerrüben 33 Tonnen auf die Waage, kann hinten nochmals 30 Tonnen Rüben fassen. In den Tank passen 1320 Liter Kraftstoff. Maximal bringt er es auf der Straße auf Tempo 40.

Trotz allem brächte ein Auto, das auf einen Acker fahren würde, mehr Druck pro Reifen auf den Boden als der Tiger, sagt Marketingleiter Maximilian Englbrecht. Dass die Maschine so vergleichsweise „samtpfötig“ daherkommt und sich auf hügeligem Gelände auf beiden Seiten zum Hang neigen kann, verdankt sie Technikern und Konstrukteuren. Dass der Tiger vom Eindruck her dennoch dynamisch und modern wirkt, seiner Designerin.

Während oben am Berg über dem 40-Seelen-Dörfchen die Maschinen gefertigt werden, sitzen unten im früheren Paintner-Hof Technikteam und Designerin im 15-Mann-Großraum-Büro zusammen und tüfteln. Mit der zweidimensionalen Zeichnung von ihrem Vater und Seniorchef Hermann Paintner fing die konkrete Arbeit an. Die übertrug die Designerin ins 3D-Zeichenprogramm auf ihr iPad. Was folgte, war ein monatelanges Ringen um perfekte Form und Details.

Ropa hatte zwar auch externe Berater für Produktdesign konsultiert. Deren Vorschläge – etwa vieles nicht aus Stahl, sondern aus Glasfaserkunststoff zu fertigen, wurden aber wieder verworfen, sagt Carolin Paintner. Auch wenn das Material flexibler fürs Design gewesen wäre. Doch Glasfaser lasse sich viel schlechter recyceln und ein einheitliches Farbbild hätte sich damit auch nicht erreichen lassen.

Eine weitere Maxime bei Ropa sei es, „dass wir abgesehen von Reifen oder Motor alles selbst produzieren“. Weil nach dem Willen der Designerin die Unterkonstruktion so befestigt sein sollte, dass man es nicht sieht, musste auch die Produktion neue Wege gehen.

Statt unzähliger Schrauben oder Schweißpunkte sollte der neue Roder eine glatte Oberfläche haben. Mit einem eigens entwickelten Klebeverfahren sei das nun möglich, so Paintner.

Erstmals bekam der Tiger einen Kotflügel. Der seinerseits quasi schwebt, „weil man keine Schrauben sieht“. Asymmetrische Bauteile wie der Kühlergrill feierten Premiere. Sie tragen zum dynamischeren Eindruck bei.

Früher war der Tiger einfach nur Gelb. Doch er „sollte nicht länger einfach nur ein großer gelber Fleck in der Landschaft sein“, schildert Carolin Paintner ihre Überlegungen. Sie verpasste ihm hell- und dunkelgraue Teile. Seien es farbliche Akzente oder ganze Bauteile. Aber auch „Weglassen“ ist eine Kunst beim Design, sagt Carolin Paintner. Der Tiger sollte am Ende schließlich nicht verkleidet aussehen.

Doch nicht nur der äußere Look wurde neu, auch die Fahrerkabine ist es. Ropa beschäftigt neben Carolin Paintner eine Mitarbeiterin, die nur daran arbeitet. Der Fahrer sollte das Gefühl bekommen, dass er Platz hat und eine gute Sicht nach unten aufs Feld. Ein neuer Sitz, eine neue Konsole mit Touch-Terminal und Rückfahrkameras sind nun integriert.

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Kabine wie Optik und technische Komplexität des Tigers überzeugten die Jury beim Red Dot Award (s. Infostück). Die ließ nicht nur Unterlagen kommen, sondern einen Tiger 6 zum Anschauen und Fahren nach NRW. Wie viele Mitbewerber sie konkret in ihrer Kategorie ausgestochen haben, weiß Carolin Paintner nicht. Mit Ropa gewannen ein Schubmaststapler aus Schweden, ein Traktor aus Finnland, ein Gegengewichts-Gabelstapler aus Schweden, zwei Bagger aus der Türkei, ein Mähgerät aus Dänemark und ein Harvester aus der Schweiz.

„Natürlich steht bei uns die Technik an erster Stelle, der Award ist das i-Tüpfelchen oben drauf.“Designerin Carolin Paintner

Auch wenn Seniorchef Hermann Paintner den Sieg beim Red Dot Design Award recht bodenständig kommentiert haben soll, knallten die Sektkorken. „Natürlich steht bei uns die Technik an erster Stelle“, sagt die Designerin. Sie freut die Bestätigung von außen. „Der Preis ist das i-Tüpfelchen, die Kür, oben drauf.“

Im Gegensatz zur Reporterin kann sie den Tiger auch selbst bewegen. „Zumindest geradeaus auf dem Feld.“ Bei der Probefahrt sitzt Matthias Zick vom Kundendienst am Steuer. Er lenkt den Tiger so mühelos übers Gelände, als wär’s ein simpler Traktor.

Fast wie ein Sportwagen

Für ihn fährt sich die Maschine „fast wie ein Sportwagen“. Man spüre die Power, die im Antrieb stecke, die Lenkung sei sehr direkt und das Kurvenverhalten sehr gut. Gut, der Mann ist parteiisch. Eindruck macht der Tiger aber auch auf die Laiin. Mitnehmen könnte sie ohnehin keinen. Nicht nur zwecks fehlendem Rübenacker. Der Preis hat auch was von Luxus-Sportwagen. 500 000 Euro. Netto, ohne Transport.

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