Medizin
Jilly, die Retterin ohne Rettersyndrom

Jillena „Jilly“ Zinsser-Krys ist frischgebackene Notärztin. Wenn es brennt, rückt die Kelheimerin sogar mit Krücken aus.

11.12.2018 | Stand 16.09.2023, 5:51 Uhr
Notärztin Jillena Zinsser-Krys −Foto: Beate Weigert

Sie sind 1,56 Meter groß, zierlich. Schon mal einen blöden Spruch abbekommen?

Ja, aber nicht als Notärztin, sondern in der Notaufnahme der Kelheimer Goldbergklinik, wo ich als Internistin tätig bin. Anfangs bekam ich da einiges zu hören: Sind Sie schon fertig mit der Ausbildung? Kommt da noch ein richtiger Arzt? Aber das gibt sich schnell und man lernt sich deutlich als die behandelnde Ärztin vorzustellen. Ansonsten gilt: Ich bin nur klein, aber ich kann mich schon wehren, wenn es nötig sein sollte.

Sie sind seit kurzem auch Notärztin. Hatten Sie schon Ihren ersten Einsatz?

Beinahe wäre der Brand bei Kelheim Fibres mein erster Einsatz gewesen. Doch der war noch kurz vor der Prüfung. Allerdings bin ich trotz Beinbruchs mit Krücken „ausgerückt“. Weil man anfangs nicht wusste, wie groß das Ganze wird und ob womöglich viele Menschen zu versorgen sind, rückten alle Bereitschaften großflächig aus dem ganzen Landkreis zusätzlich zum öffentlich-rechtlichen Rettungsdienst aus. Auch ich wurde angefragt, ob ich kommen könnte. Und da bin ich hin. Zum Glück ging dann alles glimpflich aus.

Sind Sie dann auch mit Krücken zur Prüfung?

Ja, bin ich. Das hat gleich die Stimmung aufgelockert, als ich das Zimmer betreten habe. Ein Prüfer meinte: Na, dann fangen wir gleich mal mit Frakturen an und das Eis war gebrochen.

Wie muss man sich so eine Prüfung vorstellen?

Vier Wochen vorher erfährt man den Termin. Dann fährt man zur Landesärztekammer nach München. Dort nehmen zwei Notärzte und ein Beobachter die Prüfung ab. Sie ist rein mündlich und dauert eine halbe Stunde. Je nachdem, wie lange man für einen Fall braucht, so viele Fälle kommen dran.

Und lief’s gut?

Ja, mein erster Fall freute mich gleich. So einen hatte ich erst ein paar Wochen zuvor in der Klinik. Einen Patienten, nicht mehr ansprechbar, mit stecknadelgroßen Pupillen. Eine Opiatüberdosierung durch mehrere Schmerzpflaster. Doch als Notarzt muss man nicht unbedingt sofort die richtige Diagnose stellen. Wichtig ist, herauszufinden, um was es geht, oder den Patienten so weit zu stabilisieren, dass er in die nächste oder die geeignetste Klinik gebracht werden kann. Irgendwann dachte ich, jetzt muss es doch vorbei sein. Nach sechs Fällen war dann Schluss. Und ich hörte, dass ich bestanden hatte.

Was muss man vor der Prüfung vorweisen?

Die Grundlagen lernt man in Studium. Wer zwei Jahre Berufserfahrung hat, kann darauf aufbauend den Kurs zum Notarzt absolvieren, der übrigens nicht billig ist. Zum Glück wird man in der Goldbergklinik sehr unterstützt, wenn man das machen möchte. Und man darf immer auch bei Notärzten im Haus mitfahren. Um zur Prüfung zugelassen zu werden, muss man mindestens 50 Einsätze mitgefahren sein.

Was haben Sie dabei alles erlebt?

Manchmal dachte ich schon, ich bin ein Einsatzkiller. Denn immer, wenn ich mich angekündigt hatte, war nichts los. Die Palette der Einsätze ging querbeet, so wie in der Klinik auch. Auch in der Notaufnahme hat man alles. Von der Alkohol-Vergiftung bis zum Darmverschluss. Verkehrsunfälle hatte ich relativ wenige, dafür zahlreiche häusliche Einsätze wie Schlaganfälle oder Schenkelhalsbrüche. Es war aber auch eine Schwangere mit Blutungen dabei. Bei dem Fall hatte ich größten Respekt, weil ich damit im Alltag nur selten zu tun habe. Beim 24-Stunden-Rennen war ich tagsüber für die Rennradfahrer zuständig. Nicht als Not- sondern als Bereitschaftsärztin nur für das Race24. Denn seit zwei Jahren bin ich auch Mitglied beim BRK und dort als Ärztin aktiv. Am Anfang waren hauptsächlich Dehydrationen zu behandeln. Also Teilnehmer, die zu viel Sport getrieben und dabei zu wenig gegessen und getrunken hatten. Dann stießen auf Höhe des Finanzamts ein Radfahrer und ein Auto zusammen. Das sah zunächst furchtbar aus und entpuppte sich am Ende glücklicherweise als nichts.

Warum wollten Sie Notärztin werden? Hat das was mit Retter-Syndrom zu tun?

Manche Kollegen haben womöglich eines. Bei mir würde ich das verneinen. An der Arbeit als Notärztin gefällt mir die Abwechslung zum Stationsalltag. Der Reiz immer neuer Herausforderungen, bei denen man schnell Entscheidungen treffen können muss...

... und nervenstark und cool sein?

Ja, aber bei mir war es schon immer so, dass ich in brenzligen Situationen diejenige war, die einen kühlen Kopf bewahrte und das Nachdenken, was alles hätte passieren können, erst in ruhigen Momenten hinterher kam. In der Goldbergklinik war ich früh und viel in der Notaufnahme, da ist es ja ähnlich.

Opfern Sie als Notärztin nicht noch mehr Freizeit, als ohnehin in Ihrem Beruf?

Um da vielleicht ein Missverständnis aufzuklären. Man weiß, vorab, wann man als Notarzt alarmiert werden kann. Da gibt es für jeden Notarztstandort – sprich in Kelheim, Mainburg und Neustadt – entsprechende Dienstpläne.

„Wenn der Alarm kommt, geht das Kopfkino los. Es schießen einem alle möglichen Szenarien durch den Kopf. Was könnte sein?“Notärztin Jillena Zinnser-Krys

Muss man auch gerne schnell Auto fahren?

Auch das ist bei mir nicht der Fall. Ältere Notärzte fahren zwar auch manchmal selbst zum Einsatz. Doch üblicherweise steuert ein Rettungsdienstkollege das NEF, also das Notarzteinsatzfahrzeug. Und da bin ich – zumindest jetzt am Anfang – auch froh drum, denn wenn die Alarmierung kommt, geht das Kopfkino los. Es schießen einem alle möglichen Szenarien durch den Kopf. Was könnte sein? Da ist schon Adrenalin im Spiel und es geht einem ganz schön die Pumpe. Da möchte ich nicht auch noch aufs Navi und die Strecke achten müssen. Außerdem hat es auch vor Ort Vorteile zu zweit zu sein. Der Kollege kann Material mittragen oder sich um womöglich weitere (Unfall-)Beteiligte kümmern.

Wollten Sie eigentlich schon als Kind Ärztin werden?

Na, der Typ, der davon träumte, mal Primaballerina zu werden, bin ich nicht. Ich habe als Kind viel Zeit in Krankenhäusern verbracht, weil ich viel operiert worden bin. Aber Ärztin hatte ich als Mädchen nicht auf dem Schirm. Ich wollte früh Hebamme werden. Als Jugendliche dachte ich, ich würde mal in der Psychiatrie arbeiten. Nach dem Abi habe ich dort dann tatsächlich ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht.

Und zu heftig?

Nein, das war super. Kann ich nur empfehlen. Und im Nachhinein war die Zeit auch wahnsinnig hilfreich.

Inwiefern?

Am Anfang habe ich einige Fälle, in denen ich viel mit der Familie der Patienten zu tun hatte, mit nach Hause genommen. Doch man lernt schnell, abzuschalten. Sonst kann man das nicht lange machen. Das kommt mir noch heute zugute. Wenn ich aus der Arbeit raus bin, bin ich raus. Auch im Kopf. Gut, in der Anfangszeit in der Klinik mussten sich meine Freunde wohl die ein oder andere Geschichte anhören, was ich an dem und dem Tag Neues erlebt hatte (lacht). Aber nur am Anfang.

Ab wann dürfen sie wieder arbeiten? Wie geht es 2019 weiter?

Bald darf ich wieder arbeiten. Das Krankgeschrieben-Sein war echt eine Strafe für mich. Ab Januar wechsle ich zur Weiterbildung an ein größeres Krankenhaus, die Uniklinik in Regensburg. Von dort aus werde ich sicher auch Notarzt-Dienste fahren. Darüber hinaus werde ich ab 2019 im Gebiet von Neustadt Einsätze fahren und in Kelheim wird dann hoffentlich auch bald ein Platz für mich frei.

Wovon träumen Sie beruflich noch?

Wer weiß, vielleicht leite ich mal eine Notaufnahme. Das könnte ich mir gut vorstellen. Zunächst will ich aber bald meinen Facharzt in der Tasche haben und vielleicht noch den Intensivmediziner draufsetzen. Und dann schauen wir, wohin es mich verschlägt.

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