Legende
„Auf Asche hätte ich Usain Bolt besiegt“

Olympiasieger Armin Hary spricht über seine schwierige Karriere, den Niedergang der Leichtathletik und Sprintgott Usain Bolt.

17.04.2018 | Stand 16.09.2023, 6:09 Uhr

Armin Hary (Mitte, Nr. 263) gewinnt bei den Olympischen Sommerspielen 1960 in Rom die Goldmedaille im 100-m-Spintfinale. Bereits 1958 holte sich Armin Hary in 10,0 Sekunden den Weltrekord – als letzter Europäer. Foto: dpa

Er war der schnellste Mensch der Welt. Doch auch seine Karriere war schnell vorbei. Sie währte nur drei Sommer. Bis zu seinem Olympiasieg von Rom 1960 war Armin Hary nicht nur seinen Konkurrenten, sondern auch seiner Zeit so deutlich voraus, dass sein Name bis heute nachklingt. Dreimal musste er die hundert Meter in 10,0 Sekunden laufen, bis die Kampfrichter seinen Weltrekord anerkannten. Bis heute war kein anderer deutscher Sprinter je schneller. Nun wurde er bei der Sportlerehrung im Landkreis Kelheim für sein Lebenswerk geehrt. Im MZ-Interview spricht Armin Hary, der heute im Landkreis Kelheim lebt, über seine Erfolge, seine schwierige Karriere, den Niedergang der deutschen Leichtathletik und, dass er Usain Bolt geschlagen hätte.

Herr Hary, wie schnell ist der einst schnellste Mensch der Welt heute noch unterwegs?

Auf jeden Fall langsamer als früher, aber immer ohne Hast und Eile. Ich habe mich aber eher auf Ausdauer verlagert, fahre gerne mit dem E-Bike. Das hole ich drei- bis viermal in der Woche raus. Viel mehr geht leider nicht mehr.

Das muss mit 82 Jahren aber auch nicht unbedingt sein.

Ich würde gerne noch Tennis oder Golf spielen, aber es geht eben gesundheitlich nicht mehr so, wie ich mir das vorstelle – und dann mache ich es lieber nicht mehr. Da muss man dann auch zu sich selbst so stark sein, es einsehen und in den sauren Apfel beißen.

Apropos Gesundheit – Sie sagten in einem Interview mit der Welt, dass sie gerne 100 Jahre alt werden würden. Steht dieser „Plan“ noch?

(lacht) Solange meine Gesundheit mitspielt, würde ich gerne 100 Jahre alt werden. Insofern existiert der Plan noch. Aber natürlich bleibt in meinem Alter das ein oder andere Zipperlein nicht aus, ich gehe schließlich langsam aber sicher auf die 100 zu. Aber noch ist alles prima, ich habe gesundheitlich keine Probleme.

Probleme gab es dafür zuhauf zu ihrer Zeit als Leistungssportler.

Sie meinen meine Auseinandersetzungen mit Funktionären.

Genau.

Meine Idee, Olympiasieger zu werden oder einmal der schnellste Mann der Welt zu sein, hätten mir die Funktionäre wohl kaputt gemacht. Ich habe mich gerne eingeordnet, konnte mich aber nicht unterordnen. Stramm zu stehen, war mir zuwider. Ich habe mich selbst trainiert und hatte damit Erfolg. Natürlich war ich nicht fehlerlos, aber es waren aus meiner Sicht Kleinigkeiten. Da gab es immer Reibungspunkte. Aber hätte es diese Probleme und Reibereien nicht gegeben, dann weiß ich nicht, ob ich meine Ziele in gleichem Maße erreicht hätte.

Sie waren zweifacher Olympiasieger und Europameister, hielten den Weltrekord – da müsste man doch denken, der Leichtathletikverband hätte Ihnen die Füße geküsst.

So war es aber nicht, eher das Gegenteil war der Fall.

Und letztlich resultierte aus einem kleinen Fehler ihr Karriereende.

So kann man das nicht sagen. Ich wurde mehrere Monate gesperrt. Wegen einer Lappalie. Weil ich mal 70 D-Mark zu viel als Spesen abgerechnet hatte.

Und nach Ablauf der Sperre haben sie ihre Karriere beendet.

Aber nicht wegen der Sperre, sondern aus eigenem Entschluss. Es mag vielleicht Frustration dabei gewesen sein, aber die Entscheidung habe ich für mich getroffen. Ich war Olympiasieger, hatte den Weltrekord – ich war auf dem Höhepunkt, mehr ging nicht mehr.

Würden Sie, aus heutiger Sicht, wieder alles genau so machen?

Ich denke schon. Wenn es allerdings damals schon das Geld gegeben hätte, das es heute im Sport zu verdienen gibt, hätte ich weitergemacht. Ja, ich wäre gerne Profisportler gewesen.

Auch in der heutigen Zeit? Mit allen negativen Begleiterscheinungen? Sie wären, gemessen an ihren damaligen Leistungen, ein Superstar, hätten kein Privatleben, könnten kaum auf die Straße gehen.

(lacht) Von älteren Menschen werde ich auch heute noch auf der Straße erkannt. Von jüngeren nicht – schon allein, weil die nur auf ihr Handy schauen. Aber Spaß beiseite. Die positiven Entwicklungen im Sport überwiegen. Moderne Tartanbahnen, moderne Laufschuhe und, und, und – die sportlichen Möglichkeiten haben sich kolossal zum Positiven verändert.

Wären Sie schneller gewesen?

Das liegt doch auf der Hand. Wir sind damals auf Asche gelaufen, haben zentimetertiefe Löcher in die Bahn getreten. Meine Laufschuhe wogen 400 Gramm, heutige wiegen 80 Gramm. Ich wäre schneller gewesen. Wie schnell, dass ist reine Spekulation.

Lassen sie uns mal spekulieren. Hätten Sie Usain Bolt geschlagen?

Auf Asche hätte er gegen mich keine Chance gehabt, das hätte alleine seine große, bullige Statur verhindert. Er wäre nicht ins Rollen gekommen.

Und auf einer Tartanbahn?

Wenn ich sage, ich hätte ihn geschlagen, klingt es arrogant. Wenn ich sage, ich hätte keine Chance gehabt, klingt das mutlos. Ich hätte es gerne ausprobiert.

Gegen wen wären Sie noch gerne gelaufen?

Alle Großen: Carl Lewis, Maurice Greene, Linford Christie, Donovan Bailey oder auch Jesse Owens. Der König ist und bleibt aber Usain Bolt – wenn auch mit einem Fragezeichen.

Wie meinen Sie das?

Ich will nichts unterstellen, aber ich weiß nicht, ob Bolt in Jamaika jemals richtig kontrolliert wurde. Denn wir müssen uns nichts vormachen, seit er nicht mehr läuft, fehlt der Leichtathletik die größte Attraktion. Und einen Ausfall des Zugpferdes wollte man wohl vorher nicht riskieren. Ich bedauere, dass die Leichtathletik so dopingverseucht ist.

In Deutschland ist der Sport aber wohl sauber.

Dafür aber am Ende. Ich habe schon 1964 in einem Interview gesagt, dass wenn wir so weitermachen, wir bald in der Bedeutungslosigkeit versinken. Die deutsche Einheit hat uns sportlich noch ein paar Jahre gebracht. Heute heißt es bei deutschen Leichtathleten aber immer: Dabei sein ist alles. Dabei sein ist ja schon gut, aber eben nicht alles. Siegen ist alles. Viele der deutschen Leichtathleten scheiden bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften im Vorlauf aus – ja, warum fahren die überhaupt dorthin? Es fehlt grundsätzlich an einem Top-Manager, der die Geschicke der Leichtathletik lenkt.

Hätte Sie so eine Position gereizt?

Doch, aber man fand meine Forderungen und Ideen immer abwegig. Darum habe ich andere Wege eingeschlagen.

Die haben Sie in den Landkreis Kelheim geführt. Warum eigentlich?

Das war Zufall. Ich habe ein Haus gesucht und hier eins gefunden. Es ist landschaftlich sehr schön und auch die Mentalität gefällt mir hier.

Dann bedeutet Ihnen die Ehrung des Landkreises etwas?

Natürlich, ich habe mich sehr darüber gefreut.

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