Orthopädiehandwerk
Das Holzbein hat ausgedient

Das Kelheimer Sanitätshaus Seitz setzt auf Carbon und Elektronik. Das macht Menschen mit Amputationen das Leben leichter.

24.10.2018 | Stand 16.09.2023, 5:57 Uhr
Elfriede Bachmeier-Fausten

Michael Seitz jun. zeigt eine zeitgemäße Prothese aus Carbon, Titan und Aluminium mit Mikroprozessor gesteuertem Kniegelenk und eine noch vor knapp 50 Jahren übliche Holzprothese. Fotos: Bachmeier-Fausten (4), Seitz (2)

Wie in vielen Bereichen des täglichen Lebens – sei es am Arbeitsplatz, zu Hause, beim Autofahren oder Telefonieren – hat sich in Orthopädie-Technik in den vergangenen Jahrzehnten ein Wandel vollzogen. So werden heutzutage Prothesen aus Carbon, Titan und hochlegiertem Aluminium angefertigt. Auch ein Mikroprozessor kommt bei einem solchen Hilfsmittel zu Einsatz, der von Sensoren mit Informationen versorgt wird. Das Programmieren erfolgt mittels Notebook und Bluetooth-Verbindung. Auch der Nutzer kann selbst über sein Smartphone Regelungen vornehmen. Ein Kniegelenk beispielsweise wird nicht mehr mit einem Schraubendreher eingestellt, sondern über ein Notebook programmiert. Holzprothesen (mit wenigen Verbindungen aus Metall) haben schon lange ausgedient.

Den Wandel, sowohl vom Material als auch von der Technik, hat der Kelheimer Meister und Techniker im Orthopädie-Handwerk, Michael Seitz jun. (63) während seiner langen beruflichen Tätigkeit erlebt und auch in seiner Firma vollzogen. Mit der Zeit gehen, das war und ist dem Unternehmer und seinem Geschäftspartner Reiner Dannhorn stets wichtig. Michael Seitz jun. hat lediglich noch eine Holzprothese als Erinnerungsstück an seine Ausbildungszeit Anfang der 70er Jahre in der Unfallklinik Murnau.

Bevor der Kelheimer seine Meister- und Technikerprüfung in Frankfurt erfolgreich ablegte, war er in München und Los Angeles tätig. Mit der modernen Technik mit Carbon, Titan, Aluminium, Elektronik und Mikroprozessoren ist er bestens vertraut. Senior Adolf Neumayer, der aufgrund eines Verkehrsunfalls seit 1965 Unterschenkel amputiert ist, hatte seine erste Prothese von Michael Seitz‘ Vater angefertigt bekommen aus Holz, wie es damals üblich war. „De war schwar“, so Neumayer beim Vergleich zu seiner heutigen Kurzprothese aus Carbon und Silikon-Vakuum-Technik. Mit den Worten „Der is guad. Er ist immer auf dem neuesten Stand“, bringt Neumayer seine Wertschätzung gegenüber Fachmann Michael Seitz jun. zum Ausdruck.

Mühelos Stufen bewältigen

Carbon und Titan haben dem Meister zufolge bereits im Zuge der Modularprothese (sie ist aus einzelnen Teilen zusammengefügt) in den 80er Jahren in der technischen Orthopädie „Einzug gefunden“. Als einen der Vorteile gegenüber der früheren Holzprothesen nennt er: „Eine Kniekonstruktion oder ein Fuß können ausgetauscht werden.“ Die Technik mit Bewegungssensor ermögliche beispielsweise eine schnelle Reaktion eines Kniegelenks. Eine Treppe oder ein Berg kann mühelos bewältigt werden. Eine moderne Prothese kann ebenso im Wasser getragen werden.

Michael Seitz hat auch Kunden die mit einem zeitgemäßen Körperersatzteil Ski fahren, Snowboard fahren und mit einem Mountainbike unterwegs sind. Neben der großen Verbesserung der Beweglichkeit gibt es auch optisch gegenüber früher andere Möglichkeiten: entweder eine Schaumkosmetik oder eine Kosmetik in 3D-Druck, dabei „gibt es weder für Form und Farbe Grenzen“.

Es gibt drei Ursachen

Die meisten Menschen haben laut Michael Seitz jun. aufgrund einer Durchblutungsstörung („mit und ohne Diabetes“) eine Amputation. Das sei bei 87 Prozent der amputierten Personen der Fall. Es folgen Tumorerkrankungen und Unfälle (jeweils vier Prozent) als Ursachen für den Verlust eines Körperteils. Der Personenkreis „braucht ein Leben lang eine Betreuung“ durch einen Orthopädietechniker.

In der Orthopädie-Werkstatt des Sanitätshauses Seitz gibt es trotz aller modernen Errungenschaften in diesem Gesundheitshandwerk auch noch Schere, Hammer und Zange. Und ein Orthopädietechnik-Mechaniker muss sich laut Unternehmer Seitz in Anatomie auskennen, das Gipsen (ein Negativ wird gegipst und ein Positiv moduliert) beherrschen, Schnittzeichnungen anfertigen, mit thermoplastischem Material und Metall umgehen können.

Unter den circa 60 Mitarbeitern des Kelheimer Betriebs sind 14 Azubis. Davon lernen einige den Beruf des Orthopädietechnik-Mechanikers. Michael Seitz jun. ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten, der in Frankfurt seine Ausbildung absolvierte, in der Unfallklinik Murnau als Orthopädietechnik-Meister tätig war und sich 1960 in Kelheim in der Altstadt selbstständig machte. Den Betrieb übergab er 1994 an den Sohn und dessen Geschäftspartner Reiner Dannhorn.

„Ich bin sozusagen in das Geschäft reingewachsen von Kindesbeinen an“, sagt Michael Seitz jun.. Er hofft, dass sein Sohn Daniel, der noch zur Schule geht, sich ebenfalls für den Beruf des Vaters entscheidet und die Familientradition fortsetzt. Das Thema moderne Prothesen-Technik ist Sohn Daniel nicht fremd ebenso wie dem Geschäftspartner von Michael Seitz jun., Reiner Dannhorn, der als gelernten Bandagist auch vom Fach ist, sich aber im Betrieb überwiegend um Verwaltungsaufgaben kümmert.

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