Fotografie
Die Schönheit des Morbiden

Peter Untermaierhofer nimmt die Besucher seiner Ausstellung „Lost Places“ in Kelheim mit auf eine Reise in surreale Welten.

15.03.2018 | Stand 16.09.2023, 6:15 Uhr

Breakthrough – dieses Bild einer zerfallenden Villa ist eines von Untermaierhofers Motive in der Ausstellung „Lost Places“ Foto: Peter Untermaierhofer

Die Decken sind durchbrochen, doch die Ruine strahlt immer noch Pracht und Pomp aus. Ein verlassener Schlafsaal im Halbdunkel, mit Schimmel an den heruntergekommenen Wänden, Bettgestelle stehen kreuz und quer , Matratzen liegen herum. Szenerien wie diese strahlen schon einen besonders morbiden Charme aus. Das sind Orte, wie Peter Untermaierhofer sie liebt.

Das längst verlassene Krankenhaus, die Villenruine sind nur zwei von zahlreichen Motiven, die der Fotograf aus Burghausen im Archäologischen Museum zeigt. Am Dienstag wird die Ausstellung eröffne. Titel: Lost Places. Das sind Orte, die vom Menschen verlassen und sich selbst überlassen und dem Verfall ausgesetzt sind. Landläufig auch Schandflecke genannt. Es sind die Lieblingsmotive Untermaierhofers.

Verlassene Villa im Wald

Schon als kleines Kind hat sich Peter Untermaierhofer, der auf einem Bauernhof bei Eggenfelden aufgewachsen ist, für verlassene Orte interessiert. „Da gab es im Wald eine verlassene Villa“, erinnert er sich im Gespräch mit der Mittelbayerischen. Mit 20 Jahren, als er seine erste Spiegelreflexkamera bekommen hatte, kehrte er auf Motivsuche zurück zu den verlassenen Orten seiner Kindheitstage. Seitdem zählt er zu einer jungen Fotografenszene, die auf der Suche nach aufgegebenen Gebäuden wie Villen, Hotels, Fabriken, Krankenhäuser und Kirchen sind. Untermaierhofer, von Beruf Diplomingenieur für Medientechnik, widmet sich seit 2008 verstärkt der Fotografie, seit 2009 Lost Places. Ende 2013 erschien sein Bildband „Vergessene Orte im Ruhrgebiet“. 2016 publizierte er neben seiner Werkschau „Lost Places Retrospektive 2013 – 2016“ ein Fachbuch mit dem Titel „Lost Places fotografieren“

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Lost Places – wie passen diese ins Archäologische Museum der Stadt Kelheim? „Verfall, Zerfall – das ist auch ein archäologisches Thema“, sagt Dr. Bernd Sorcan, Leiter des Museums. Zumal sich die Archäologie immer häufiger auch mit Aspekten der jüngeren Geschichte beschäftige. Andererseits sei es aber auch schon immer so gewesen, dass sich das Archäologische Museum mit Kunstausstellungen befasst. Und Untermaiers Fotos seien ohne Frage Fotokunst. Bis aber ein vergammelte Villa, eine abbruchreife Industrieruine zu Fotokunst wird, ist es oft ein langwieriger Weg.

Die Motivsuche ist oft ein kompliziertes Unterfangen. Der Zeitaufwand ist oft enorm, bis Peter Untermaierhofer ein neues Motiv vor der Linse hat. Er muss erstmal einen verlassenen Ort finden. Das bedeutet tagelange Online-Recherchen, Suchen in diversen Newsportalen. Es gibt auch ein europaweites Netzwerk von Lost Places-Fotografen, wie Peter Untermaierhofer einer ist. Das liest sich einfacher als es ist. Denn ohne gegenseitiges Vertrauen geht nichts. Es gibt viele, berichtet Untermaierhofer, die diese Informationen ausnutzen würden um aufgegebene Gebäude zu zerstören oder mit Graffiti zu verunstalten.

Peter Untermaierhofer auf Motivsuche:

„Ab und zu habe ich aber das Glück, dass ich während einer Autofahrt einen verlassenen Ort findet“, sagt Untermaierhofer. Wie beispielsweise auf der Fahrt nach Kelheim, um hier im Archäologischen Museum die Bilder für die Ausstellung zu hängen. . Zwischen Regensburg und Kelheim ist er an einer alten Fabrik vorbei gekommen, die ihn durchaus interessieren würde. Aber nicht jeder verlassene Ort eignet sich als Lost Place. Da ist es entscheidend, wie sich der verlassene Ort präsentiert. Idealerweise verfügt der Ort über schöne Decken oder liegen gelassenen Ausstattungsgegenständen. Der Verfall muss sozusagen Qualität haben. „Am besten wäre eine Mischung aus Verfall und Leben“, erklärt der Fotograf. Peter Untermaierhofer erlebt es immer öfter, dass schöne verlassene Orte mit Graffitis beschmiert sind. Dann sind sie als Lost Place uninteressant. Die Recherche- und Fotoreisen führen ihn oft weit weg von zu Hause. „Es ist nämlich einfacher in Italien, Belgien, Frankreich oder Ostdeutschland ein verlassenes Gebäude zu finden, als in Bayern. Denn in Bayern werden die meisten Gebäude gleich nachdem sie geräumt oder verlassen wurden, abgerissen“ sagt Untermaierhofer.

Lost Places in Kelheim

Wer Untermaierhofers Bilder betrachtet fühlt sich mit einer surrealen Welt konfrontiert. Da geht es dem Fotografen nicht anders, wenn er zum ersten Mal mit einem neuen verlassenen Ort gegenübersteht. „Das ist schon ein wahnsinnig geiles Gefühl“, schwärmt er.

Und dann gibt es noch eine Steigerung: Tschernobyl. Im Frühjahr 2017 ist er in die Sperrzone bei Prypjat am havarierten Atommeiler gereist – mit Kamera, dem ganzen Fotoequipment. Und einem Geigerzähler am Gürtel. „Das ist schon noch einmal eine andere Nummer.“ Rund 280 verlassene Häuser, eine Geisterstadt und der riesige Sarkophag, in dem der Atommeiler einbetoniert ist. Drei Jahre war Untermaierhofer alt, als die Welt am 26. April 1986 mit der Nuklearkatstrophe in Block 4 des Atommeilers konfrontiert wurde. „Das ist schon surreal“, sagt Untermaierhofer über seinen Besuch in der Geisterstadt, „so könnte es auch nach einem Atomkrieg aussehen.“

Über seine Exkursion nach Tschernobyl wird Untermaierhofer im Rahmen seiner Ausstellung einen Vortrag halten.

Auch die Ausstellung „Vorzügliche Betten zu billigsten Preisen“ über die Anfänge des Tourismus in Kelheim ist im Archäologischen Museum zu sehen.

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