Gesundheit Hoffnungsträger Cannabis
Hanf auf Rezept gibt es seit einem Jahr. Bionorica sieht noch nicht alle Erwartungen erfüllt – auch nicht für die Patienten.

Neumarkt.Eine neue Hoffnung für chronisch Kranke und Schmerzpatienten – unter diesen Vorzeichen hat der Bundestag vor einem Jahr beschlossen, Cannabis auf ärztliche Verordnung hin zuzulassen. Diese Entscheidung hat nicht nur für viele Diskussionen gesorgt, sondern auch dafür, dass der Name eines Neumarkter Unternehmens bundesweit Schlagzeilen gemacht hat: Arzneimittelhersteller Bionorica ist mit seinem Wirkstoff Dronabinol der große Fisch im Teich des deutschen Marktes für Cannabis-Medikamente. Dementsprechend war die neue Regelung für das Unternehmen mit Erwartungen verbunden. Einige davon haben sich erfüllt, sagt Inhaber Prof. Dr. Michael Popp. Trotzdem sieht er in den Cannabis-Medikamenten noch einiges Potenzial – sowohl für das Unternehmen, als auch die Patienten.
Nachfrage ist gestiegen
Seit der Gesetzesnovellierung sei die Nachfrage nach Dronabinol deutlich erhöht und steige weiter, sagt Popp: „Wir sind darauf vorbereitet und haben die Produktionskapazitäten im Vergleich zu 2015 erheblich erweitert. Absatz und Umsatz sind gestiegen, unsere Produktion in Neumarkt ist gut ausgelastet.“ Für den Gesamtumsatz spiele das Cannabinoid-Geschäft aber eine eher untergeordnete Rolle, vor allem im Vergleich zum Zugpferd Sinupret, dem meistgenutzten freiverkäuflichen Erkältungsmedikament in Deutschland. „Bisher entfielen keine zwei Prozent des Umsatzes der Bionorica SE auf Produkte auf Cannabisbasis“, erklärt Popp.
Das sagt die Redakteurin über Cannabis-Medikamente:
Einer der Gründe sei wohl, dass es sich bei Dronabinol um keine Fertigarznei handle, sondern einen Rezepturwirkstoff. „Das bedeutet, dass wir den reinen Wirkstoff an die Apotheken liefern und diese dann daraus individuell für den jeweiligen Patienten ein Arzneimittel herstellen, nämlich Tropfen oder Kapseln“, erklärt Popp. Seit 1998 sei Dronabinol in Deutschland als Rezepturwirkstoff verordnungsfähig. Vier Jahre später übernahm Bionorica einen oberfränkischen Familienbetrieb, der Dronabinol aus Faserhanf herstellte. Heute wird in Neumarkt erzeugt. Für ein Fertigarzneimittel aus Dronabinol hat Bionorica 2015 eine Zulassung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BFArM) beantragt, aber nicht bekommen. Das BFArM hatte weitere Studien zu dem Medikament verlangt. „Aus Sicht unseres Hauses ist diese Ablehnung juristisch zweifelhaft“, erklärt Popp. Derzeit läuft ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln. „Nun warten wir die richterliche Entscheidung ab“, so Popp.
Agentur steuert Anbau
Gesteuert wird das medizinische Cannabis in Deutschland von der Cannabisagentur, angesiedelt beim BFArM. Für 2012 und 2022 hat das einen Bedarf für 5500 Patienten ausgeschrieben – zu wenig, befürchten Kritiker. Bionorica isoliert das Dronabinol aus Cannabisblüten, die es aus Österreich bekommt. „Wir haben auf die gestiegen Nachfrage reagiert und mit unseren Partnern den Anbau entsprechend größerer Mengen vereinbart“, sagt Popp.
Er sei aber der Überzeugung, „dass noch längst nicht alle schwer kranken Patienten, die von Cannabis-Wirkstoffen profitieren könnten, diese auch verordnet bekommen“. Er habe anfangs gehört, bis zu 70 Prozent der Anträge würden von den Krankenkassen abgelehnt. Aktuell gehe er von einer Ablehnungsquote von 40 Prozent aus, sagt Popp. Allerdings dürfen die Kassen laut Gesetz die Kostenübernahme nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen.
Die AOK Bayern, die 40 Prozent der Versicherten im Freistaat betreut, hat bisher 1850 Anträge für eine Cannabis-Behandlung bekommen. Laut Pressereferentin Vedrana Romanovic wurden 1560 Anträge genehmigt. Regionalere Zahlen, etwa zum Landkreis Neumarkt, liegen nicht vor. Die anfangs höheren Ablehnungszahlen begründet die AOK unter anderem damit, dass gerade zu Beginn besonders viele unvollständige Anträge eingereicht worden seien. Weil die neue Regelung Neuland gewesen sei, habe es „auf allen Seiten gewisse Anlaufschwierigkeiten“ gegeben.
Ihr Wissen über Hanf können Sie in diesem Quiz testen:
Wie der Antrag eines Patienten bewertet wird, dafür habe der GKV-Spitzenverband genaue Richtlinien festgelegt, erklärt Romanovic. Beispielsweise müsse sich der Patient schriftlich äußern und der behandelnde Arzt einen Fragebogen ausfüllen. Laut Gesetz dürfen Mediziner eigenverantwortlich entscheiden, ob sie den Patienten Cannabis verordnen oder nicht. Anders als ursprünglich vorgesehen müssen Patienten dafür nicht austherapiert sein.
Wie in Neumarkt Dronabinol produziert wird, lesen Sie hier.
Verordnen können Ärzte ihrem Patienten Cannabis-Extrakt wie Dronabinol oder gemahlene Blüten. Cannabisblüten lehne er ausdrücklich ab, sagt Popp: Die genaue Dosierung sei für den Arzt schwer zu steuern und für den Patienten schwer beizubehalten. „Uns ist wichtig, die therapeutische Nutzung deutlich von jedem Freizeitkonsum abzugrenzen. Auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat sich gegen die Abgabe von Cannabisblüten ausgesprochen: Mit Dronabinol könne der individuelle Bedarf des Patienten besser versorgt werden.
Lesen Sie mehr:
Mehr Nachrichten aus der Region Neumarkt finden Sie hier.
Weitere Artikel aus diesem Ressort finden Sie unter Neumarkt.
Kommentar
Chance für die Zukunft
Cannabis auf ärztliches Rezept und Kosten der Krankenkasse – dass das kein wahrgewordener Kiffertraum ist, sollte inzwischen jedem klar sein. Denn vor...