Nürnberg Von frommen Kunstschätzen und abergläubischen Elementen

Nürnberg –.Die evangelische Kathedrale St. Lorenz ist Wahrzeichen Nürnbergs, Top-Touristenziel und Bürgerkirche zugleich. In ihr finden sich neben frommen Kunstschätzen von Weltrang auch weltliche bis abergläubische Elemente. Viele Details sind gut versteckt, doch die fachkundige Gästeführerin Marie-Louise Meyer-Harries kennt die meisten.
Das Relief von drei Frauen gleich neben der linken Zugangstür der prächtigen Westansicht der Kirche fällt auf den ersten Blick kaum auf. Es zeigt Wilbeth, Ambeth und Borbeth, bekannt als die drei „Bethen“. Sie symbolisieren die göttliche Triade als Erd-, Mond- und Sonnenmutter.
Passende Reminiszenz
„Sie wurden schon früh als Schicksalsgöttinnen angesehen, die im christlichen Sinn als Nothelferinnen angerufen wurden“, sagt Meyer-Harries. Da der Bau der Lorenzkirche bereits 1250 begann, passe diese Reminiszenz an die mittelalterliche Volksfrömmigkeit sehr gut in die Kirche.
Auch die alten Kirchenbänke im Chorraum sind einen genaueren Blick wert. Zu den kunstvoll geschnitzten Figuren, die man in einer Kirche nicht erwarten würde, gehört ein speiendes Gesicht, das seinen Mageninhalt in einem Kübel entleert. An einer anderen Banklehne hat es sich ein junger Mann mit Mütze gemütlich gemacht. Hinter ihm lauert allerdings ein großer Affe. „Ob dieser den Burschen verhöhnt, mit ihm spielen will, oder ob sich der Schnitzer einfach nur einen Spaß machen wollte, das weiß heute keiner mehr“, sagt Meyer-Harries.
Die Fratzen, Schlangen oder Raubtiere, die sich immer wieder in den Kunstwerken verstecken, hätten einen weitaus tiefgründigeren Hintergrund. „Die Künstler wollten darauf verweisen, dass das Böse in der Welt immer irgendwo lauert“, meint die Führerin.
Solche Zeugnisse entdeckt man im steinernen Figurengewirr von Adam Krafts Sakramentshäuschen ebenso wie am berühmten „Engelsgruß“ von Veit Stoß – unter dem Bogen des Schnitzwerks hat sich ein Lindwurm versteckt.
Direkt gegenüber dem Sakramentshäuschen entdeckt man den Johannes-Altar. Wer durch das Gitter in etwa zwei Metern Höhe hindurchlinst, sieht schemenhafte Umrisse von Knochen. Sie sind echt und gehörten einem gewissen Veit, der im Dienste der Patrizierfamilie Imhof stand und beschuldigt worden war, einen silbernen Becher gestohlen zu haben. Veit wurde gefoltert und schließlich gehenkt. Erst danach fand sein Herr den Becher doch wieder an einem Ort, zu dem nur er alleine Zugang hatte. Voller Reue stiftete er Veit den Altar. Die Gebeine des armen Dieners haben die Reformation unbeschadet an dieser Stelle überstanden. „Wieder ein Indiz dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde hier ihren Einfluss der Tradition wegen geltend gemacht haben“, betont die Gästeführerin.
St. Lorenz besitzt viele Türen, die scheinbar ins Nichts laufen. An der Südseite in der Seitenkapelle befindet sich eine solche oben an einem Treppenaufgang. Meyer-Harries weist auf eine kleine, steinerne Rattenfigur mit einem Wurstzipfel im Maul, die auf der obersten Stufe eingemeißelt wurde. Sie bezieht sich auf die Legende vom eingemauerten Mönch. Dieser hatte sich einiges zuschulden kommen lassen und war lebendig eingemauert worden. Angeblich habe ihn aber eine mitleidige Magd durch ein kleines Loch mit Essen und Trinken versorgt. Die Sache flog auf, nachdem man regelmäßig eine Ratte mit einem Wurstzipfel durch die Kirche huschen sah. Der noch lebende Mönch wurde befreit und die Ratte an dieser Stelle verewigt.
Markante Punkte
Eher achtlos schlendern die meisten an zwei markanten Punkten vorbei, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Kirche gekommen sind. Wer sich den Taufstein des 2003 in Nürnberg gestorbenen Künstlers Heinz Heibers genauer ansieht, entdeckt auf der Oberfläche Menschen zu Christus hin-, aber eben auch wegschwimmen – ein Zeichen dafür, dass sich auch Gläubige vom Gottessohn abwenden können.
Und das Fenster in der Gebetsnische gleich rechts neben dem Westportal ziert ganz oben ein Davidstern. „Eine Hommage an die Juden, die im Krieg auch in Nürnberg ihr Leben lassen mussten und denen evangelische Mitbürgerinnen und Mitbürger keine Hilfe leisteten“, interpretiert Meyer-Harries das Zeichen.
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