Kultur
Nürnberg: Ensemble singt zum Abschied

Musikrevue mit viel Pop und wenig Drama: Mit „Raumstation Sehnsucht“ verabschieden sich einige Schauspieler vom Publikum.

06.06.2018 | Stand 16.09.2023, 6:09 Uhr

Einige Schauspieler müssen wegen des Wechsels an der Spitze ihren Hut nehmen. Foto: Staatstheater Nürnberg

Wir schreiben das Jahr 2018. Früher als erwartet, steht der Menschheit ein historischer Wendepunkt bevor. Ein kleiner Planetenzwerg im großen Weltall kann besiedelt werden. Wir sehen eine scheinbar zufällig zusammengewürfelte Gruppe auserwählter Erdlinge, die im Raumfahrtbahnhof auf den Abflug in die neue Welt wartet.

Damit greift das Ensemble die eigene Abreise vom Nürnberger Staatstheater auf. Durch den Wechsel an der Theaterspitze müssen die meisten Schauspieler nach der Spielzeit ihren Hut nehmen. Nur die lang gedienten Kammerschauspieler wie Frank Damerius und Michael Hochstrasser dürfen bleiben. Mit der mehr als zweistündigen Zeitreise durch die Popgeschichte sagt der Rest des Ensembles nun ganz laut Servus. Statt Tränen fließt Champagner bei diesem Abschied in Strömen.

Für Bettina Ostermeier, die musikalische Leiterin am Schauspielhaus, ist zum Abschluss der Spielzeit seit fast zehn Jahren ebenfalls Endstation in Nürnberg. Mit der operettenhaften Nummernrevue „Raumstation Sehnsucht“ legt Ostermeier gemeinsam mit der stimmlich durchaus begabten Schauspieltruppe einen fröhlichen, aber wenig dramatischen Abgang auf das Bühnenparkett.

Die kurzen Dialoge zwischen den Popnummern hat Friederike Engel geschrieben. Als Untertitel hat man dem Stück die Zeile „Songs of Love and Change“ verpasst. Mit einem Augenzwinkern und ohne Bitternis will man der Jobsituation kurz vor dem Ende des Engagements begegnen. Genau 23 Ständchen von Michael Jackson bis Take That singen die Schauspieler zum Ende ihrer Zeit in Nürnberg dem Publikum. Das ist etwas zu viel des Guten.

Hier finden Sie weitere Informationen zum Theaterstück:

Abflug ohne Rückkehr

Zum Auftakt bettelt Stefan Willi Wang beim Publikum um Almosen. Er wolle die Erde verlassen. Für immer mit dem Raumschiff den blauen Planeten hinter sich lassen und im Weltall ganz von vorne anfangen. Dumm nur, dass Stefan Willi Wang kein Geld für das Ticket hat. Gut, dass sich die Auswanderer den Rückflug sparen wollen. Für immer soll der Abschied sein. Doch die Rakete hat Verspätung. Also zünden sich Josephine Köhler (spielt die Eine) und Bettina Langehein (mimt die Andere) eine Kippe zur Verkürzung der Wartezeit in der verglasten Raucherkabine an. Das werden sie an diesem Abend noch häufiger tun. Das liegt daran, dass meistens nur ein Schauspieler zum Mikrofon greifen darf. Wenn zum Beispiel „die Frau mit dem Ding“ (Lilly Gropper) einen Madonna-Hit trällert, ist der Rest der interstellaren Reisegesellschaft zum Schweigen verurteilt. Stumm vertreiben sie sich dann die Zeit beim Einkaufen im Duty-free-Shop. Andere genehmigen sich an der Raketen-Bar einen letzten Drink, bevor das Raumschiff abhebt. Zwischen den 23 Songs gibt es sogar Raum für Liebeleien. Die ganz großen Gefühle wollen aber nicht über die Rampe zum Publikum überspringen. Dafür ist das dramatische Gerüst zu dünn. Weil sich die Macher dafür entschieden haben, die vielen verschiedenen Musiknummern lediglich durch kurze Dialoge inhaltlich zu verknüpfen, kommt am Ende nur eine Nummernrevue dabei heraus. Die ist in der Lage, mit Spaß und Trash für sehr gute Laune zu sorgen. Wo gibt es die sonst bei Abschiedsszenen?

Raue Kehle mit Hut

Gute Leistungen der singenden Schauspieler, wie Bettina Langehein mit dem französischen Roadtrip-Klassiker „Voyage, Voyage“, werden vom Publikum mit Zwischenapplaus quittiert. Ein echter Rockstar ist allerdings wohl nur an Michael Hochstrasser verloren gegangen, der mit rauer Kehle und Hut den allerletzten Leonard Cohen-Hit „Traveling Light“ vom allerletzten Cohen-Album „You Want It Darker“ dermaßen gut ins Mikrofon raunzt, dass es vor lauter Gänsehaut plötzlich mucksmäuschenstill im Publikum wird.

Apropos Publikum: Das diskutiert in der Pause, was es von dem Popmusik-Potpourri halten soll. „Schauspieler sind eben keine Opernsänger“, sagt der eine. „Die wollen sich halt verabschieden“, sagt die andere.