Prävention
„Salafisten fliegen raus“

Nabil Hourani baut ein Netzwerk gegen religiöse Radikalisierung auf. Sein neues Projekt wendet sich besonders an Schüler.

27.12.2017 | Stand 16.09.2023, 6:17 Uhr

Nabil Hourani arbeitet gegen religiös begründete Radikalisierung. Foto: Pelke

Nabil Hourani kümmert sich im Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg seit 2016 um ein Netzwerk gegen religiös begründete Radikalisierung. Der 35-jährige Politikwissenschaftler sucht dabei Kontakt zu den muslimischen Gemeinden. Im Januar startet ein neues Präventionsprojekt unter der Überschrift „Wie wir leben wollen“, mit dem Hourani besonders die Schulen in Nürnberg ansprechen will.

Herr Hourani, wie ist die Stimmung unter den Muslimen in Nürnberg?

Schlecht. Es gibt andere Städte in Bayern, zum Beispiel München, wo die Stimmung noch schlechter ist. In der Landeshauptstadt sind allein in diesem Jahr zahlreiche Moscheen geschlossen worden. Nicht aus politischen Gründen, sondern aus verwaltungstechnischen Gründen. Viele Moscheen mussten einfach wegen Überfüllung schließen. In Nürnberg haben wir dieses Problem derzeit bei zwei Moscheen. Ei ne Moschee musste zumachen, weil sie keinen anständigen Notausgang hatte.

Schauen die Städte einfach genauer hin?

Warum genauer hingeschaut wird, weiß ich nicht. Fakt ist, dass die Städte tatsächlich genauer auf die Gebetshäuser und Moscheen schauen. Dadurch werden verstärkt bauliche Mängel festgestellt. Mit der Folge, dass viele Moscheen schließen müssen. Das erhöht den Besucherdruck auf die noch bestehenden Moscheen. Obendrein sorgen die Schließungen für eine schlechte Stimmung unter den Muslimen.

Wie können Sie in dieser schwierigen Situation vermitteln?

Das ist nicht leicht. Ich gehe zu den muslimischen Vereinen und versuche für mehr Verständnis auf beiden Seiten zu werben. Ich kann Ihnen ein Beispiel aus meiner jüngsten Praxis erzählen. Hier in der Stadt hatte sich ein „Islamforum Nürnberg“ gegründet, das bewusst ein lokales Islamverständnis verfolgen wollte. Die Gemeinde hat auch Räume gefunden. Weil kein Notausgang vorhanden war, musste die Gemeinde ihren Gebetsraum wieder schließen. In der Konsequenz droht mir dadurch ein wichtiger Kooperationspartner verlorenzugehen. Schuld ist nicht die Stadt. Um das klar zu sagen. Auch nicht der Verein. Schuld an der prekären Raumsituationen ist der schwierige Immobilienmarkt mit seinem kleinen Angebot und hohen Preisen. Vereine finden dadurch kaum noch bezahlbare Gebetsräume in der Stadt. Mit allen negativen Folgen insbesondere für die Jugendarbeit.

Sind die Jugendlichen Ihre Hauptzielgruppe bei der Präventionsarbeit?

Jugendliche sind prinzipiell am ehesten gefährdet. Die Jugendlichen suchen nach Identität. Heute kommen viele junge Menschen besonders in den Großstädten aus gemischten Familien. Das macht die Identitätssuche schwieriger. Wo gehört ein Jugendlicher hin, der in Nürnberg geboren ist, aber deren Eltern aus Syrien kommen? Diese Jugendlichen sind leichte Beute für religiöse Identifikationsangebote.

Muss die Gesellschaft diesen Jugendlichen mehr Offenheit entgegenbringen? Oder müssen diese Familien versuchen, sich besser zu integrieren?

Das können die Familien alleine kaum schaffen. Wenn der syrische Vater seinem Jungen sagt: Du bist Deutscher. Dann ist das nur glaubwürdig, wenn die Deutschen diesen Jungen auch als Deutschen akzeptieren. Wir haben eine schizophrene Situation bei dieser wachsenden Gruppe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Diese Jugendlichen kleiden sich westlich. Und sie hören die gleiche Musik wie ihre deutschen Altersgenossen. Sie haben sogar ähnliche Vorstellungen von Sex und Liebe. Gleichzeitig suchen sie ihre Identität verstärkt in ihren Herkunftsländern. Das hat in meinen Augen damit zu tun, dass Jugendliche mit ausländischen Wurzeln in Deutschland nicht richtig akzeptiert werden. Allein der Begriff der ausländischen Wurzel ist falsch. Mein Vater ist beispielsweise Palästinenser. Meine Mutter ist Deutsche. Meine eigenen Wurzeln liegen aber in Schwaben, wo ich aufgewachsen und zur Schule gegangen bin. Und hier in Nürnberg und Erlangen, wo ich studiert habe. Wir stufen Menschen viel zu sehr nach Abstammung und Herkunft und nicht nach Persönlichkeit ein.

In der politischen Arena ist seit der Flüchtlingskrise allerdings weniger Multikulti und mehr deutsche Leitkultur angesagt. Ist das falsch?

Mein Ziel ist ein neues Identitätsverständnis. Wir stecken Leute in Schubladen nach Religion, Herkunft und Geschlecht. Sinnvoller wäre es in meinen Augen, die Leute danach zu bewerten, was sie machen.

Das ist eine schöne Idee. Was passiert, wenn die Menschen weiter in Schubladen denken? Spornt das zur Integration an oder fördert es Abschottung?

Nach jedem Terroranschlag sollen sich die Muslime distanzieren. Das ist nicht ganz unverständlich, aber auch nicht ganz fair. Was haben die Muslime in Nürnberg damit zu tun, wenn ein Gewalttäter aus Afghanistan mit einer Axt in einem Zug um sich schlägt? Diese Sippenhaft der Muslime führt eher zu einer Trotzreaktion. Auf der anderen Seite hatten wir die NSU-Morde, wo die Polizei zunächst unter den Opfern ermittelt hat. Vor allem für türkische Mitbürger ist das ein Bruch in ihrem Deutschlandbild gewesen. Das hat den Glauben an den hiesigen Rechtsstaat erschüttert.

Allerdings verbessert sich die Situation in Herkunftsländern wie der Türkei derzeit nicht gerade. Anders gefragt: Gibt es auch positive Entwicklungen durch den zunehmenden Druck?

In Nürnberg haben Salafisten in allen Moscheen Haus- oder Redeverbot. Wenn die auffällig werden, fliegen die Salafisten konsequent raus. Es gibt einen offiziellen Treffpunkt der Salafisten-Szene beim Kopernikusplatz.

Gehen Sie dorthin und suchen das Gespräch?

Nein, da kann ich allein nichts ausrichten. Das ist der harte Kern. Dort ist keine Prävention mehr möglich. Da sind die Sicherheitsbehörden zuständig. Da laufen schon Prozesse gegen einzelne Personen. Da geht es auch nicht mehr nur um Propaganda. Dieser Treffpunkt wird im Verfassungsschutzbericht sogar namentlich erwähnt. Damit sind die Fronten geklärt.

Wie hoch schätzen Sie die Zahl von radikalisierten Jugendlichen in Nürnberg ein?

Der Verfassungsschutz geht von rund 50 Islamisten mit Gefahrenpotenzial um Nürnberg aus. Wir wissen, dass es darunter auch radikale Jugendliche gibt. Wie viele, wissen wir nicht genau. Das Problem ist, dass sich manche Jugendliche nur kurzzeitig aus Provokation radikalisieren. Wenn ich als „Salafist“ verkleidet in die Schule gehe, genieße ich volle Aufmerksamkeit.

Sieht man deshalb immer mehr junge Frauen mit Schleier?

Ich denke, dass gehört in diese Richtung. Für junge Musliminnen ist es supereinfach, sich mit einem Kopftuch abzugrenzen. Wir versuchen, mit einem neuen Programm diesen Jugendlichen Alternativen anzubieten. Wir gehen dabei nicht auf Problemfälle direkt zu, sondern sprechen die Klasse als Ganzes an. Dabei müssen die Jugendlichen auf die Frage, wie wir leben wollen, eigene Antworten finden. Wir fragen also nicht, was ist gut oder was ist schlecht am Islam. Wir fragen ganz konkret, wie wir hier in Nürnberg mit allen Unterschieden gemeinsam leben wollen.